Zusammenfassung
Hintergrund
Das Thema der ärztlichen Rationierung wird in Deutschland zunehmend öffentlich diskutiert. Klärungsbedarf besteht u. a. für die Frage, wie ärztliche Rationierung bei zugleich bestehenden Rationalisierungsreserven z. B. im Bereich der Überversorgung grundsätzlich legitimiert werden kann.
Diskussion
Dieser Beitrag erläutert und analysiert das Verhältnis von Rationalisierung und Rationierung aus ethischer Perspektive und führt in empirische Forschungsergebnisse zum Status quo aus ärztlicher Sicht ein. Diese normativen und empirischen Vorarbeiten werden anschließend mit Ausblick auf mögliche Handlungsoptionen kritisch diskutiert.
Schlussfolgerung
Grundsätzlich lässt sich schlussfolgern, dass die Selbstverwaltung expliziter nach innen und außen kommunizieren müsste, wie und mit welchen Zielvorgaben versucht wird, eine ineffiziente Ressourcenverwendung (z. B. durch Überversorgung) in angemessenem Umfang zu reduzieren. Ähnliche Aktivitäten, wie sie aktuell in den USA unter dem Label Choosing Wisely® durchgeführt werden, könnten einen ersten Schritt zur Sensibilisierung von Öffentlichkeit und Ärzteschaft für das Thema Überversorgung darstellen.
Abstract
Background
The topic of bedside rationing is increasingly discussed in Germany. Further need for clarification exists for the question how bedside rationing (e.g., in the area of overcare) can be justified despite coexistent inefficiencies.
Discussion
This paper outlines and analyses the relationship of waste avoidance and rationing from an ethical perspective. Empirical findings regarding the status quo of bedside rationing and rationalization are presented. These normative and empirical explorations will then be further specified regarding opportunities for future physician-driven activities to tackle overuse.
Conclusion
The self-government partners in Germany should communicate more explicitly within their communities and to the public how and with which benchmarks they aim to reduce inefficient health care (overuse) in an appropriate manner. Physician-driven activities such as the “Choosing Wisely®” initiative in the USA could provide a first step to raise the awareness for overuse among physicians as well as in the public.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. D. Strech gibt an, dass er ehrenamtlich eine Arbeitsgruppe zum Thema „Gemeinsam klug entscheiden“ des Deutschen Netzwerks für evidenzbasierte Medizin (DNEbM) leitet. Diese Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit möglichen Methoden für eine deutsche Choosing-Wisely®-Initiative. Finanzielle Interessenkonflikte bestehen nicht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Einige der in diesem Beitrag dargestellten Erläuterungen basieren auf Vorarbeiten, dargestellt u. a. in [22][23].
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Strech, D. Rationalisierung und Rationierung am Krankenbett. Med Klin Intensivmed Notfmed 109, 27–33 (2014). https://doi.org/10.1007/s00063-013-0279-2
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