Zusammenfassung
Hintergrund
Anders als das Thema Überversorgung werden die Themen Rationierung und Priorisierung in Deutschland seit etwa 5 Jahren zunehmend innerhalb der Ärzteschaft und im Austausch mit gesundheitspolitischen Akteuren diskutiert.
Fragestellung
Dieser Beitrag stellt die Zusammenhänge und Abgrenzungen zwischen Rationalisierung, Priorisierung und Rationierung dar. Er erläutert, warum und wie die deutsche Ärzteschaft das Thema Überversorgung transparent und intensiver als bisher adressieren sollte.
Diskussion
Eine ethisch gebotene ärztliche Rationalisierung umfasst maßgeblich den Abbau von Überversorgung. Um Bereiche der Überversorgung zu identifizieren und Dringlichkeiten festzulegen, bedarf es einer Priorisierung von Indikationen und Maßnahmen. Auch eine Rationierung ist nicht per se ethisch problematisch, wenn sie sich aufgrund begrenzter Ressourcen und nach angemessenen Bemühungen um Rationalisierung sowie weiteren politischen Aufgaben nicht vermeiden lässt. Dennoch gewinnt eine durch die Ärzteschaft angestoßene Debatte um Rationierung erst dann an Legitimität, wenn durch angemessene Bemühungen der Abbau von Überversorgung angemessen reduziert wurde. Als ein möglicher Ansatz wird die US-amerikanische Choosing-Wisely-Initiative vorgestellt. Ergänzende, vielleicht sogar effektivere ärztliche Initiativen zum Abbau von Überversorgung sind denkbar.
Schlussfolgerungen
Die deutsche Ärzteschaft bedarf einer expliziteren Verständigung nach innen und nach außen über die Angemessenheit der bisherigen Aktivitäten zum Abbau von Überversorgung und zum Bedarf weiterer Aktivitäten. Diese Aufgabenbereiche sollten von der Ärzteschaft primär im Sinne einer verbesserten Patientenversorgung und erst sekundär im Sinne wirtschaftlichen Handelns verstanden werden.
Abstract
Background
The topics of rationing and priority setting have been increasingly discussed over the past 5 years in Germany by physicians together with other health care stakeholders. The topic of overuse, however, has not been discussed with similar intensity and publicity.
Objectives
This analysis paper outlines the relationships and differences between efficiency, priority setting, and rationing. Furthermore, it argues why and how German physicians should address the topic of overuse with more transparency and intensity.
Discussion
Efforts of physicians to rationalize health care mainly comprise efforts to decrease overuse. The identification of important areas of overuse includes the prioritization of indications and medical interventions. Rationing health care can be unavoidable, for example, because other strategies such as rationalization, price regulation or disinvestments are not sufficient to avoid scarcity of financial resources. In such a case, rationing health care is unavoidable and, therefore, cannot be unethical per se. However, the debate on rationing becomes more legitimate if physicians demonstrate sufficient efforts to reduce overuse sufficiently. The Choosing Wisely initiative in the USA is outlined as one interesting option of how physicians could demonstrate and prove such efforts. Additional and more effective strategies to decrease overuse might be possible.
Conclusion
German physicians demand a more explicit communication within their communities and together with other stakeholders on the appropriateness of existing and potential future activities to decrease overuse. Such initiatives to avoid and decrease overuse should primarily be motivated through the ethical principle of beneficence, while the effect of cost containment should be considered as a welcomed side effect.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. D. Strech gibt an, dass er eine Arbeitsgruppe zum Thema „Gemeinsam klug entscheiden“ des Netzwerks für Evidenz-basierte Medizin (DNEbM) ehrenamtlich leitet. Diese Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit möglichen Methoden für eine deutsche Choosing-Wisely-Initiative. Finanzielle Interessenkonflikte bestehen keine. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Strech, D. Der Abbau von Überversorgung als Teil der ärztlichen Berufsethik . Z Gerontol Geriat 47, 17–22 (2014). https://doi.org/10.1007/s00391-013-0590-9
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Schlüsselwörter
- Deutsche Ärzteschaft
- Rationalisierung
- Ökonomische Entwicklung
- Kostenkontrolle
- Kosten im Gesundheitswesen