Der Leonberger Oberbürgermeister Bernhard Schuler und der Böblinger Landrat Roland liegen im Clinch. Der Konflikt um das Krankenhaus lässt alte Wunden wieder aufbrechen.

Leonberg/Böblingen - Vor gut einem halben Jahr war die Welt noch in Ordnung. Roland Bernhard wurde in Leonberg beim Pferdemarkt mit Ovationen empfangen. Der Böblinger Landrat und der örtliche Oberbürgermeister Bernhard Schuler fuhren beim großen Umzug durch die alte Oberamtsstadt gemeinsam auf einer Kutsche, an der hinten ein LEO- und ein BB-Kennzeichen angebracht waren. Bernhard hatte sich mit Erfolg dafür eingesetzt, dass im Kreis Böblingen wieder das emotional tief verankerte LEO auf Autos prangen darf. Und der Landkreis feierte im Frühjahr in Böblingen seinen 40. Geburtstag, sogar der Ex-Regierungschef Erwin Teufel gratulierte als Festredner.

 

Als Roland Bernhard Ende November im Einkaufstempel Leo-Center zu einer Diskussion unserer Zeitung kommt, ist die Stimmung umgeschlagen. 300 Zuschauer sind da, und sie stehen wie ein Mann gegen den Landrat, gegen Böblinger Zentralismus, gegen die Krankenhauspläne des Landrats. „Das ist der schleichende Tod des Krankenhauses“, schleudert die Betriebsratsvorsitzende Ute Geiger dem Chef der Kreisverwaltung entgegen, und es erhebt sich flammender Applaus. Der Leonberger Löwe fühlt sich nicht mehr wohl in seinem Revier.

Ein paar Monate zuvor im Leonberger Rathaus: der seit 20 Jahren amtierende, inzwischen weißhaarige Oberbürgermeister Bernhard Schuler sitzt in seinem weitläufigen Büro. Von dort aus hat er einen Blick auf das Leonberger Krankenhaus auf dem Berg. „Wir haben seinerzeit sogar auf ein Wohngebiet verzichtet, um Platz für den Rettungshubschrauber zu schaffen“, erzählt Schuler. Vom Rathaus aus sieht man auch die Innenstadt, die von der großen Wunde des ehemaligen Bausparkassen-Areals gekennzeichnet ist. Die „Leobau“ war einst der Stolz der Stadt, 2009 wurden die Hochhäuser gesprengt. Nun ist dort eine riesige Brachfläche, über deren Nutzung seit Jahren verhandelt wird.

Symbol einer früheren Epoche

Man hat viel verloren in Leonberg in den vergangenen Jahrzehnten. Nicht nur die Bausparkasse, auch das Kino, viel hochwertigen Handel und Einwohner nach Stuttgart oder an ehrgeizige Nachbarkommunen. Bernhard Schuler redet gerne und viel über die Vergangenheit. Ja, das Rathausgebäude selbst ist ein Symbol einer früheren Epoche. Es stammt aus den 50er Jahren, war früher einmal das Leonberger Landratsamt, als es den Kreis noch gab. Inzwischen ist der graue Bau mit den Resopaltischen selbst baufällig, die Verwaltung braucht eine neue Bleibe. Ironie der Geschichte, könnte man meinen.

Bernhard Schuler gilt als trockener Beamter, der solide, aber ohne zu viel Charisma regiert. Irgendwann im Sommer aber hat den 57-Jährigen der Ärger gepackt. „Das macht mich richtig wütend“, sagt er immer wieder, wenn er die Pläne des Böblinger Landrats für ein großes Zentralklinikum betrachtet. Und er macht sich Sorgen, dass dadurch das Leonberger Krankenhaus ausgeblutet und langfristig geschlossen wird.

Die Atmosphäre zwischen Roland Bernhard und Bernhard Schuler, die bei ihren gemeinsamen Auftritten bei der Motorradshow Glemseck 101 gerne mal als die „beiden Bernhards“ tituliert wurden, ist inzwischen frostig bis eisig. So gut wie möglich gehen sie sich aus dem Weg. Auch dann noch, als nach der hitzigen Diskussion im Leo-Center ein Tross ins beliebte Brauhaus Sacher am Leonberger Bahnhof zieht: Die beiden Kommunalpolitiker trinken ihre Halbe zwar am selben Tisch, wechseln aber kein Wort. Es ist eine heftige persönliche Fehde, die beide austragen.

„Wir sind eher nach Stuttgart ausgerichtet“

Worum geht es bei diesem Konflikt im Klinikverbund Südwest, der auch den Kreis Calw umfasst? Die Defizite der sechs Häuser explodieren auf mehr als 20 Millionen Euro, daher hat der Landkreis ein Gutachten vorgelegt, wie die Strukturen geändert werden sollen. Auf dem Flugfeld zwischen Böblingen und Sindelfingen, einem Wohn- und Gewerbegebiet auf dem Areal einer alten US-Kaserne, soll ein Gesundheitstempel für 350 Millionen Euro entstehen, der so viel Gewinn erwirtschaftet und Patienten anlockt, dass die Defizite der restlichen Krankenhäuser in Leonberg und Herrenberg damit ausgeglichen werden können.

Das Problem dabei: Leonberg müsste die renommierte Gefäßchirurgie und Chefärzte abgeben, während die Klinik in Herrenberg die Gynäkologie behalten dürfte. Doch im Nordkreis glaubt man, dass diese Rechnung nicht aufgeht. 3000 Patienten müssten laut Gutachter von Leonberg nach Böblingen verlegt werden – das wird angezweifelt. „Niemand wird nach Böblingen fahren, wir sind eher nach Stuttgart ausgerichtet“, sagt Oberbürgermeister Schuler.

Beim Kampf um das Krankenhaus entfaltet Schuler eine ungeahnte Dynamik. „Der Landrat hat sich über den Tisch ziehen lassen“, sagt er unverblümt. Schuler hat eine eigene Version der Krankenhausgeschichte, wonach der Landrat eigentlich kein Zentralklinikum wollte, aber vom Sindelfinger Oberbürgermeister Bernd Vöhringer dazu genötigt wurde. Das dementieren Bernhard Schuler und Bernd Vöhringer aber vehement.

Die vielen Kämpfe des Landrats

Ortswechsel: auch der höchste politische Vertreter des Landkreises Böblingen sitzt in einem grauen Betonbau, der einen herrlichen Rundumblick über die Stadt hat. Roland Bernhard amtiert seit 2008, auch er gilt bisweilen als trocken, hat aber einen guten Draht zu den Fraktionen im Kreistag und ist deutlich leutseliger als das Leonberger Stadtoberhaupt.

Bernhard ficht gerade viele Kämpfe aus. Gerade erst hat er mit der Stadt Sindelfingen einen Deal ausgehandelt, deren städtisches Krankenhaus zu übernehmen. Zudem kämpft er für einen Autobahndeckel und streitet mit dem Kreistag über Personalkosten, viel zu tun also für den früheren Vizelandrat von Calw.

Die scharfe Kritik aus dem Norden hat Roland Bernhard persönlich genommen, es herrscht Funkstille zwischen dem Böblinger Landratsamt und dem Leonberger Rathaus. „Kandidieren Sie doch für den Kreistag und arbeiten Sie mit“, lässt der Landrat an Schuler ausrichten. Kürzlich hat Bernhard im Kreistag sogar mit Hilfe einer Grafik vorgerechnet, dass Leonberg acht Millionen Euro mehr vom Kreis erhält, als es an Kreisumlage abführt.

Das Krankenhaus als Symbol für den Streit

Bernhard hält Schulers Haltung für gefährlich. „Es haben schon viele private Betreiber bei mir angeklopft“, sagt der Landrat. Er sei überrascht über den plötzlich massiven Widerstand aus dem Norden.

Gerne und häufig ist der 56-Jährige in Leonberg in einem Viertel voller Kreiseinrichtungen: Auf dem Berg in Richtung Rutesheim liegt das vom Landkreis getragene Berufsschulzentrum, die Außenstelle des Böblinger Landratsamts, wo inzwischen hauptsächlich LEO-Kennzeichen ausgegeben werden, sowie das Krankenhaus. Ja, der Landkreis hat einiges gebaut oder erhalten, seit Leonberg „eingekreist“ wurde.

Das Krankenhaus ist nun zum Symbol des Kreisstreits geworden. Moderne Gebäudeflügel grenzen unmittelbar an sichtbar renovierungsbedürftige. Es ist ein typisches Kreiskrankenhaus, das mit Fallpauschalen kämpft und sich mühsam einen Ruf erarbeitet hat in der Gefäßchirurgie.

Das Gesicht dazu ist Joachim Quendt, ein kompetenter Chefarzt, der stets verbindlich auftritt und allein durch seine Person viele Privatpatienten an das Klinikum bindet. „Manche wollen eben nicht zum Schmidtle, sondern zum Schmidt“, sagt er. Die Reform der Kliniken könnte mit sich bringen, dass er kaum noch in Leonberg wäre. Das treibt Joachim Quendt um, der zugleich für die Freien Wähler im Kreistag sitzt. Wie viele Kollegen weist er darauf hin, dass ein Krankenhaus nur funktionieren könne, wenn es Topangebote gebe.

Die Kehrseite der Medaille

Und doch darf er nicht zu viel sagen. Sein Dienstherr Roland Bernhard hat ihm auf einer Veranstaltung nahegelegt, sich doch „im Sinne des Klinikverbundes“ zu äußern. Das sei kein Maulkorb, aber doch ein Hinweis. Eine Reaktion, die eigentlich eher untypisch ist für den Kreischef. Der Landrat ist hin- und hergerissen zwischen den riesigen Defiziten und den lokalen Interessen. „Ich mache mir Sorgen, ob die Krankenhäuser überhaupt noch kommunal zu halten sind“, sagt er.

Das ist die Kehrseite der Medaille. In Böblingen nämlich sieht man die Lage ganz anders. Die übergroße Mehrheit des Kreistages und der Landrat haben sich auf den Pfad des Neubaus begeben. Roland Bernhard appelliert an das gemeinsame Kreisbewusstsein, wenn die Leonberger ankündigen, lieber nach Stuttgart zu gehen. „Sind wir ein Kreis, sind wir ein Verbund, oder nicht?“, fragt er bei der großen Debatte im Leo-Center. Die 300 Zuhörer reagieren keineswegs wie erhofft, sondern empört.

Mit so massivem Widerstand hat Roland Bernhard offenbar nicht gerechnet. Bei der ersten Attacke aus dem Leonberger Rathaus wirkte er verstört. Nun versucht er, die Interessen auszugleichen. Schließlich will er nicht als derjenige in die Geschichte eingehen, der die vier Jahrzehnte dauernde mühsame Annäherung im Landkreis wieder zerstört hat. Er wirkt in diesen Tagen oft wie ein Getriebener, der versucht, es allen recht zu machen. Fast täglich füllen Leserbriefe die Lokalzeitungen, das Thema wird auch die närrischen Parolen der Fasnetssaison bestimmen.

Das kommunalpolitische Gleichgewicht ist in Gefahr

Das kommunalpolitische Gleichgewicht ist in Gefahr. Es geht um mehr als die verletzte Eitelkeit von zwei Kommunalpolitikern. Es herrscht geradezu Aufruhr in Leonberg. Man fürchtet um das Krankenhaus – und damit um eines der letzten verbliebenen Statussymbole. Der Gemeinderat der Stadt hat 100 000 Euro für eine Kampagne eingeplant, man will sich mit den Bürgermeistern des Umlandes zusammenschließen. Sogar aus Heimsheim im Enzkreis kommt Unterstützung – der Altkreis lebt wieder auf.

Eigentlich war er im Alltag der Menschen nie tot, denn Leonberg befindet sich seit 1973 sozusagen in einem Zustand ständiger Zerrissenheit. Wie viele Landkreise wurde der Kreis Leonberg vor 40 Jahren Opfer der Verwaltungsreform, doch hier wurde ein Lebensraum quer durchtrennt. Die Stadt Gerlingen etwa kam zum Kreis Ludwigsburg, die mit Leonberg fast zusammengewachsen ist. Auch Ditzingen oder Korntal-Münchingen, die traditionell stark nach Leonberg ausgerichtet sind, wurden abgetrennt. Und im Westen kamen drei Gemeinden in den Enzkreis.

So liegt Leonberg nun eingezwängt am Autobahnkreuz. Die Stadtgesellschaft und die des Umlandes fühlt sich oft wie ein Fremdkörper zwischen der Landesmetropole und dem Autozentrum in Sindelfingen/Böblingen. Überhaupt, das ambivalente Verhältnis zu Böblingen: mehr als eine zu große Entfernung, es ist eine emotionale Distanz. Der Landrat hoffte, auf einem guten Weg zu sein. Die neue S-Bahnlinie S 60 hat zum ersten Mal seit einem Jahrhundert wieder eine Direktverbindung von Böblingen nach Leonberg geschaffen.

Bernhards Sorgefalten sind tief

Und doch gibt es zwischen der Kreisstadt an der A 81 und der alten Oberamtsstadt am Autobahnkreuz einen mentalen Graben. „Der Berg dazwischen ist nicht nur geografisch“, hat Bernhard Maier einmal gesagt. Er stammt aus Renningen, also dem Leonberger Hinterland, und ist der Vorgänger von Roland Bernhard. Der dritte Bernhard im Bunde sozusagen, ein Elder Statesman, der gerne in der Regionalversammlung noch den Botschafter des Kreises gibt. In der Krankenhausdebatte hält er sich vornehm zurück, doch seine Sorgenfalten sind tief.

Natürlich gibt es Verbindungen von Leonberg in das Zentrum des Landkreises. Viele Pendler arbeiten etwa bei Daimler in Sindelfingen. Doch wenn es um Einkaufen, Kulturgenuss und Freizeitvergnügen geht, orientieren sich die Bürger fast ausschließlich in Richtung Stuttgart. Außerdem existiert im Alltag der allermeisten der Altkreis Leonberg noch immer.

Am deutlichsten zeigt sich das bei einem Besuch im Leo-Center. Der Einkaufstempel hat kürzlich ebenfalls seinen 40. Geburtstag gefeiert, und ist einer der Leuchttürme, die Leonberg noch geblieben sind. Christian Andresen ist kein Einheimischer, ganz im Gegenteil. Der 32-Jährige kommt aus Norddeutschland, und kennt die Geschichte der Kreisreform nun beileibe nicht. In seinem Büro in der ersten Etage des Einkaufszentrums in der neuen Stadtmitte zeigt er eine Karte, in der die Kundenströme eingezeichnet sind. „Hier wird ganz genau der Altkreis Leonberg abgebildet“, erzählt der smarte Manager. Tatsächlich kommen die Kunden von Heimsheim und Wimsheim im Enzkreis bis nach Hemmingen im Kreis Ludwigsburg ins Leo-Center.

Der Vermittler

Wie sieht die Lage jemand, der in dem aktuellen Großkonflikt in der Mitte steht? Bei Helmut Noë schlagen zwei Herzen in der Brust: Lange Jahre war er Erster Bürgermeister in Leonberg und hat für seine Raumschaft gekämpft. Jetzt ist der 70-Jährige CDU-Fraktionschef im Böblinger Kreistag und damit eingebunden in die Disziplin der Entscheider. Er hat die Gutachten und den Grundsatzbeschluss für die neue Klinik mitgetragen. Gleichzeitig ist er im Vorstand des Fördervereins für das Leonberger Krankenhaus.

Ja, Helmut Noë scheint es fast zu zerreißen, so wie es beim Landrat offenbar auch der Fall ist. Und so übt er sich in Diplomatie. Dann sagt er gewundene Sätze wie: „Das Medizinkonzept des Landkreises stärkt Leonberg.“ Oder: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, ob die Gefäßchirurgie nach Böblingen verlagert wird.“ Die Mehrheit im Kreistag und auch die Mehrheit seiner Fraktion ist für das Zentralkrankenhaus, das weiß er. Nur die Nordkreis-Räte sind skeptisch.

Vielleicht ist Helmut Noës Dilemma aber auch die einzige Chance für die Leonberger, im Klinikstreit noch etwas herauszuhandeln. Denn so zerstritten Roland Bernhard und Bernhard Schuler sind: Noë versteht sich mit dem Landrat und könnte deshalb vielleicht viel mehr bewegen als der Leonberger Oberbürgermeister mit seiner Konfrontation.

Im Herbst will der Kreistag entscheiden. Der letzte große Kampf zwischen Leonberg und Böblingen liegt 40 Jahre zurück, derzeit entstehen frische Wunden.