Das Gesundheitswesen als Treffpunkt der Administratoren

Im Schweizer Gesundheitswesen sind die Kantone diskret am Zementieren ihrer Stellung und am Schwächen der Liberalisierungs- und Wettbewerbswirkungen der neuen Spitalfinanzierung. Die neue Initiative für eine Einheitskasse kann eine weitere Welle des Interventionismus bringen. Kommentar von Beat Gygi

Beat Gygi
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Im schweizerischen Gesundheitswesen geht es zurzeit scheinbar ruhig zu. Es stehen keine grossen Prämiensteigerungen bevor, und das Volk hat in der Abstimmung im Juni über die Managed-Care-Vorlage zu verstehen gegeben, dass eine staatlich befohlene Ergänzung der Wahlmöglichkeiten in der Grundversicherung nicht erwünscht sei. Die Ruhe ist aber trügerisch. Sie ist eher ein Signal dafür, dass vom Parlament – wie seit Jahren – weiterhin keine grosse Gestaltungskraft ausgeht und dass Vorschläge zum Meistern der stetig wachsenden Gesundheitsausgaben auf diskretere und demokratisch weniger breit abgestützte Art von Bundesrat, Kantonsregierungen oder Regulierern kommen. Bei alldem ist nicht zu erwarten, dass man im Departement von Bundesrat Berset oder in der Verwaltung besonders energisch in Richtung Liberalisierung oder Marktlösungen zieht. Regierungen und Behörden liegt es eher, Versicherern, Spitälern oder Ärzten konkrete Anweisungen zu Preisen, Mengen oder Arbeitsweise zu erteilen.

Kantone in horizontaler Absprache

So sind Kantonspolitiker und Experten daran, die seit Jahresanfang gültige neue Spitalfinanzierung in Form von Fallkostenpauschalen (SwissDRG) mit zahlreichen Vorgaben so zu durchziehen, dass sie am Schluss praktisch ein festes Netz in der Hand haben. Im DRG-Regime werden im Prinzip nicht mehr die Spitäler finanziert, sondern die Behandlungen der Patienten, was zu mehr Wettbewerb unter den Leistungserbringern führen und effizienteres Arbeiten belohnen soll. Dies würde auch bedeuten, dass sich ineffiziente Spitäler nicht im Markt halten können. Die Kantone haben die Aufgabe, die DRG-Regeln, die pro Kanton einen einheitlichen Fall-Basispreis vorsehen, in ihrem Gebiet umzusetzen und eine Spitalplanung für eine bedarfsgerechte Versorgung durchzuführen.

Geneigte Kantonspolitiker und Verwaltungsvertreter nutzen dies als Chance für Eingriffe, die dem Marktcharakter der Fallpauschalen widersprechen. Neben der Ermittlung des Preises kommen auch Mengenvorgaben ins Spiel, Plätze auf der Spitalliste werden mit Zusatzkriterien verbunden, durch willkürliche Leistungsverträge und Schutz vor Konkurrenz entstehen geschützte Gärtchen, gewisse öffentliche Spitäler werden mehr oder weniger versteckt subventioniert. Vieles führt dazu, die mit den DRG-Regeln beabsichtigte Stärkung der Marktkräfte und Strukturbereinigung in Strukturerhaltung und Vereinnahmung durch den Staat umzukehren.

Dahinter steckt die alte Krankheit des Gesundheitswesens, dass die Kantone in einer Mehrfachrolle voller Interessenkonflikte agieren: als direkte oder indirekte Eigentümer, Investoren oder Betreiber vieler Spitäler, als Finanzierer (neben den Krankenkassen) der Spitalleistungen, als Regulierer, Aufsichtsinstanzen und Zuständige für Spitalplanung. Mit von der Partie sind die Kantone auch bei der Umverteilung via Steuern, Sozialleistungen oder etwa Prämienverbilligungen. Die Wechselwirkungen zwischen Gesundheits-, Arbeitsmarkt-, Bau-, Schul- und Personalpolitik kann man sich ziemlich vielfältig vorstellen. Entsprechend gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kantonspolitiker ihre Mehrfachrollen aufgeben werden. Gremien wie etwa die Gesundheitsdirektorenkonferenz eignen sich zudem gut zur gemeinsamen, horizontal organisierten Verteidigung der kantonalen Positionen.

Und im Hintergrund bildet sich eine nächste Welle interventionistischen Gedankenguts. Kürzlich wurde die Initiative «für eine öffentliche Krankenkasse» eingereicht. Nach den Vorstellungen der Initianten sollen die heutigen rund 70 Krankenkassen durch eine zentrale Organisation ersetzt werden, die bezüglich Interessenkonflikten wohl ein Rekordniveau erreichen würde. Planernaturen aus dem linken Lager möchten die Superbehörde «Einheitskasse» installieren zum zentralen Berechnen und Einkassieren von Prämien, Aushandeln der Tarife für Arzt-, Spital- und andere Leistungen und Produkte, zum Bezahlen derselben, des Weiteren zur Beurteilung der Behandlungsqualität, des Werts von Innovationen und wohl auch sozialer Aspekte all dieser Facetten. Angesichts der Macht einer solchen Riesenorganisation ist auch zu erwarten, dass sie in der Politik bei der Definition des Leistungskatalogs und bei der Planung der künftigen Kapazitäten in Praxen und Spitälern dabei sein dürfte. Leistungserbringer hätten grosse Anreize, sich in den Gremien dieses Vehikels so zu etablieren, dass sie diese zentrale Drehscheibe des Gesundheitswesens zugunsten ihrer Interessen kontrollieren könnten.

Gefährlich ist diese jüngste Einheitskassen-Initiative vor allem auch deshalb, weil sie weniger radikal ist als die vor fünf Jahren vom Volk abgelehnte Vorgänger-Initiative. Der damalige Vorstoss hatte neben der Einheitskasse zusätzlich einkommensabhängige Prämien gefordert, was weitherum auf Ablehnung stiess. Der neue Vorstoss dagegen ist sozusagen schlank und zielt auf etliche Schwächen des heutigen Krankenkassensystems, die tatsächlich behoben werden sollten, so dass selbst Politiker der Mitte Verständnis für diesen Ansatz aufbringen.

Wer darf Gewinne machen?

So findet unter den Versicherern immer noch bis zu einem gewissen Ausmass ein wenig produktives Rennen um die guten Risiken statt, das Aufmerksamkeit und Ressourcen absorbiert, die eigentlich der Suche nach einer möglichst guten Vermittlung und Überwachung von Gesundheitsleistungen zugutekommen könnten. Und besonders intensiv ist der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen auch nicht immer, etwa wenn von Kunden Tarifverhandlungen mit den Leistungserbringern kollektiv organisiert sind. Die Schwächen sollten tatsächlich bekämpft werden, aber eben nicht durch das Einrichten einer Zentralgewalt, sondern durch Schritte in Richtung grösserer Spielräume für Markt und Wettbewerb.

Seit langem setzen sich Verfechter eines einigermassen liberalen Rahmens für die Abschaffung von Einheitsprämie und Vertragszwang ein. Solange nämlich die Vorschrift der einheitlichen Prämie für Versicherte in der gleichen Kasse und Region eine risikogerechtere Prämiengestaltung verhindert und solange die Vorgabe, wonach die Kassen alle Leistungserbringer als Vertragspartner akzeptieren müssen, das Zusammenstellen möglichst guter Leistungspakete stört, werden die Versicherer ihre eigentliche Rolle als Makler zwischen Kunden/Patienten und Ärzten/Spitälern nicht richtig wahrnehmen können. Hinzu kommen hoheitliche Regulierungen der Prämienpolitik und der Tätigkeit der Kassen, die den Eindruck noch verstärken, Krankenversicherer seien in der Grundversicherung eher Verwaltungen denn Unternehmen, die vom Erfolg ihrer Produkte leben.

Wahrscheinlich würde der Wettbewerb unter den Krankenkassen intensiver, wenn ihnen erlaubt würde, in der Grundversicherung Gewinne zu machen, was heute untersagt und nur in der Zusatzversicherung erlaubt ist. Dies würde im Markt wohl etliche Geister wecken, mit Sicherheit allerdings auch intensiven Protest vonseiten all jener, die durch das Eröffnen von Gewinnmöglichkeiten das Soziale an der Krankenversicherung bedroht sähen.