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Experte kritisiert die Behörden Gutachter bescheinigt Behörde Inkompetenz

Bremen. Zu wenig Personal, mangelhafte Umsetzung von Hygiene-Empfehlungen, "desolate" Reinigungsarbeiten: Der Gutachter fand gestern deutliche Worte im Untersuchungsausschuss "Krankenhauskeime".
05.10.2012, 05:00 Uhr
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Gutachter bescheinigt Behörde Inkompetenz
Von Sabine Doll

Bremen. Zu wenig Personal, mangelhafte Umsetzung von Hygiene-Empfehlungen, "desolate" Reinigungsarbeiten und Fehler im Ausbruchsmanagement während des Keimskandals: Der Gutachter der Staatsanwaltschaft, Walter Popp, fand gestern deutliche Worte im Untersuchungsausschuss "Krankenhauskeime". Seine Vorwürfe richteten sich vor allem gegen Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD).

Bremen. Die Befragung des Gutachters der Staatsanwaltschaft, Walter Popp, im Untersuchungsausschuss "Krankenhauskeime" löste gestern einen kleinen Eklat aus. CDU- und Linke-Vertreter in dem parlamentarischen Plenum, das den tödlichen Keimausbruch am Klinikum Bremen-Mitte aufklären will, kritisierten die Ausschussvorsitzende Antje Grotheer scharf.

Der Vorwurf: Die SPD-Politikerin versuche durch ihre Fragen und "juristische Spitzfindigkeiten" den Krankenhaushygieniker in seiner Glaubwürdigkeit zu diskreditieren und dadurch von den Fehlern der Gesundheitsbehörde mit Senatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) an der Spitze abzulenken. "Dass man so eindeutig Stellung einnimmt für seine Senatorin und versucht, sie aus dem Feuer zu ziehen – das ist eines Untersuchungsausschusses nicht würdig", kritisierte der CDU-Abgeordnete Wilhelm Hinners. Claudia Bernhard von der Linken sprach von einer "peinlichen Unterordnung unter die Senatslinie". Das Gutachten benenne völlig korrekt die Ursachenzusammenhänge für den Ausbruch.

Popp hatte in seinem über 250 Seiten starken Bericht der Senatorin und ihrer Behörde Mitschuld an dem tödlichen Keimausbruch gegeben. Die Vorwürfe bekräftigte er gestern mit deutlichen Worten vor dem Ausschuss. "Ich glaube, die Mitarbeiter des Klinikums tragen hier die geringste Verantwortung", betonte er. "Die waren überfordert, weil es einfach zu wenig Personal gab."

Die Hauptverantwortung für den Ausbruch mit drei toten Frühgeborenen und erneuten Keimnachweisen bei Kindern auch in den Folgemonaten sieht Popp in Sorgfaltspflichtverletzungen auf Seiten der Geschäftsführung des Klinikums und explizit bei der Gesundheitsbehörde. Seine Begründung: Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (Krinko) seien von der Behörde nicht umgesetzt worden. Danach hätte die Senatorin dafür sorgen müssen, dass mehr Fachpersonal für Hygiene eingestellt wird. Es sei nicht verständlich, warum man sich nicht an den neusten Stand der Wissenschaft gehalten habe, sagte Popp.

Ob die Behörde dazu auch rechtlich verpflichtet gewesen wäre, blieb im Ausschuss strittig. Der Gutachter betonte aber, es hätte in jedem Fall eine "moralisch-ethische Verpflichtung" gegeben, auf die Empfehlungen hinzuweisen. Popp: "Als Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikverbunds hätte sie weitere Möglichkeiten gehabt."

Er warf der von Jürgens-Pieper geführten Behörde zudem mangelhafte Organisation in ihrem Ressort vor: Unter anderem seien Meldewege im Falle eines Keimausbruchs nicht bekannt gewesen, Unterlagen über die Qualifikation des Krankenhaushygienikers nicht gefunden worden und in der aktuellen Hygieneverordnung des Landes Bremen von Bundesgesundheitsamt und Bundesseuchengesetz die Rede gewesen, obwohl es diese so seit Jahren nicht mehr gebe. Das sei "schier unglaublich" und zeuge von "kompletter Inkompetenz". Zusammen mit den Mängeln im Klinikum müsse man daher klar von Fahrlässigkeit sprechen, bekräftigte Popp.

Auf diese Schlussfolgerungen reagierte die Ausschussvorsitzende Grotheer mit dem Hinweis, dass es sich dabei um eine rechtliche Bewertung handele, die von einem Mediziner nicht vorgenommen werden könne. Sie befragte Popp, ob er eine juristische Ausbildung habe und die Definition des Fahrlässigkeitsbegriffs kenne. "Ich bin nicht als juristischer, sondern als medizinischer Sachverständiger hinzugezogen worden", betonte Popp. Die Ausschussvorsitzende wehrte sich gegen die Vorwürfe von CDU und Linken: Sie sehe es als ihre Pflicht, kritische Fragen zum Gutachten zu stellen und beim Thema der Verantwortung zu differenzieren. "Juristische Unschärfen müssen aufgeklärt werden."

Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper hatte bereits bei Bekanntwerden des staatsanwaltschaftlichen Gutachtens die Vorwürfe zurückgewiesen: In einem Brief an den Untersuchungsausschuss bescheinigte sie Popp angesichts seiner Schlussfolgerungen "bedenkliche Unkenntnis".

Der Klinik warf Popp unter anderem vor, nicht für genügend Personal auf der Frühgeborenen-Station gesorgt zu haben – obwohl Ärzte und Pflegekräfte vor dem Keimausbruch mehrfach auf eine mangelhafte Besetzung hingewiesen hätten. In einzelnen Schichten habe es eine Pflegekraft für fünf bis sechs Kinder gegeben. Bei einem solchen Betreuungsschlüssel sei die notwendige Händedesinfektion vor jedem neuen Kontakt mit einem Kind unmöglich gewesen. Zudem beschrieb er die Reinigung auf der Station als "desolat". Obwohl diese Mängel bekannt waren, seien sie von der Klinik nicht abgestellt worden.

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