Ingolstadt
Psychiater schlagen Alarm

Verbände befürchten, dass der neue Entgeltkatalog zu einer schlechteren Versorgung von Patienten führt

16.10.2012 | Stand 03.12.2020, 0:57 Uhr

Ingolstadt (DK) Die psychiatrischen Fachverbände machen mobil. Sie fürchten massive Verschlechterungen der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Grund dafür ist ein neuer Entgeltkatalog, der die Finanzierung der Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern regeln soll.

Das Gesetz soll ab Januar 2013 in Kraft treten – zunächst auf freiwilliger Basis. Belohnt würde damit, so die Kritik, wer Patienten ohne ausreichende Gesundung vorschnell wieder aus dem Krankenhaus entlasse. Professor Peter Falkai, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, spricht in einer gemeinsamen Erklärung mehrerer Fachverbände von „Drehtürpsychiatrie“. Häufige Rückfälle und Wiederaufnahmen seien vorprogrammiert. Der auf einer völlig unzulänglichen Datenbasis entwickelte Entgeltkatalog setze Fehlanreize. Falkai ist Direktor der Psychiatrischen Klinik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Bislang bekommt eine psychiatrische Klinik in Bayern für jeden Patienten pro Tag den gleichen Betrag – egal, ob es sich um einen Suchtkranken oder einen selbstmordgefährdeten Patienten mit ausgeprägten Depressionen handelt. Das jetzt geplante Vergütungssystem ähnelt der Finanzierung im somatischen Bereich, wo in den Krankenhäusern bereits seit zehn Jahren nach Fallpauschalen abgerechnet wird. In der Psychiatrie soll es zwar künftig keine Pauschale nach Fällen geben, jedoch eine bundesweit einheitliche Tagespauschale, deren Höhe sich nach dem Therapieaufwand richtet. „Daran wäre im Grunde nichts auszusetzen“, sagt Professor Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums für Psychische Gesundheit am Ingolstädter Klinikum und Vorsitzender der Bundeskonferenz, eines Verbandes leitender Ärztinnen und Ärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie. Eine Reform sei tatsächlich nötig. Doch nicht in dieser Form. Denn die Höhe der jeweiligen Pauschale nimmt mit der Dauer der Behandlung ab. Muss ein Patient mit einer Depression länger in der Klinik bleiben, verdient das Krankenhaus nach 18 Tagen deutlich weniger als zu Beginn der Behandlung. Die Verweildauer von Patienten, die an Depression leiden, liegt laut Pollmächer in der Regel bei zwischen 30 und 40 Tagen. Die befürchtete Folge der Neuregelung: Patienten werden entlassen, wenn sie noch nicht ganz austherapiert sind. Und im ambulanten Bereich gibt es bereits jetzt zu wenig Kapazitäten.

Eine unmittelbare Gefahr für die Allgemeinheit bestehe durch die neue Regelung aber nicht: „Es wird keine Klinik geben, die aus finanziellen Gründen einen Patienten, von dem eine Gefahr ausgeht, vor die Tür setzt“, sagt Pollmächer. Allerdings werde es vorkommen, dass Patienten, die die Klinik in nicht stabilem Zustand verlassen, schon bald zurückkommen. An der Psychiatrie im Ingolstädter Klinikum werden jährlich etwa 6000 Menschen stationär behandelt.

In deutlichen Worten äußert sich auch Andrea Wrobel, Geschäftsführerin der Danuviusklinik, die neben Einrichtungen in Ingolstadt und Neuburg eine Fachklinik für Psychiatrie in Pfaffenhofen betreibt. Das Gesetz sei „sehr unausgewogen, nicht gerecht und vollkommen widersinnig“. Es entspreche nicht dem Wohl der Patienten.

Neben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde warnen auch weitere Verbände vor der geplanten Änderung: die Bundesdirektorenkonferenz, der Arbeitskreis der Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland und die Aktion Psychisch Kranke. Sie appellieren gemeinsam an die Politik, die überstürzte Einführung des Entgeltkatalogs aufzuschieben.

Denn die Zahl psychisch Kranker steigt Jahr für Jahr an. Nach einer Erhebung des Robert-Koch-Institutes leidet mindestens jeder vierte Mann und jede dritte Frau im Laufe des Lebens unter einer ernsthaften psychischen Störung.