Freisinger Klinikum:Hauen und Stechen

Anzeigen, Verdächtigungen und aufgeregte Telefonate: Gericht befasst sich erneut mit Vorgängen rund um das Krankenhaus der Domstadt

Bernd Kastner

- Amtsgerichtsalltag. Ein Mann ist angeklagt einer "falschen Verdächtigung". Er soll jemand wider besseres Wissen angezeigt haben, weshalb er einen Strafbefehl bekam, 60 Tagessätze, 9000 Euro. Weil der Mann sich für unschuldig hält und nicht zahlt, kommt es zur Verhandlung. Saal A221, Strafjustizzentrum München, ein Richter, drei Zeugen. Und plötzlich wird aus dem Alltag fast ein Krimi. Das Blatt wendet sich, der Angeklagte wird freigesprochen, dafür fühlt sich einer der Zeugen wie auf der Anklagebank.

In der oberen Etage der Medizin spielen die Geschichten, um die es geht in Saal A221. Angeklagt ist Ullrich Schwarzer, Urologe aus Freising und Professor an der Technischen Universität München (TU). Zeugen sind Philipp Ostwald, kaufmännischer Direktor des Klinikums rechts der Isar, Florian Herrmann, CSU-Landtagsabgeordneter aus Freising und Kreisrat, sowie Heike Tempel, ehemals Chefin des Freisinger Klinikums.

Dieses Haus gehört zu 100 Prozent dem Landkreis Freising. Schwarzer ist dort seit 1993 Belegarzt und operiert, 2001 zieht er mit seiner Praxis in die Klinik, er gilt als Kapazität auf seinem Gebiet. Nach ein paar Jahren aber kommt es zu massiven atmosphärischen Störungen zwischen ihm und der Klinikleitung, sein Vertrag als Belegarzt wird gekündigt. Schwarzer klagt dagegen, er sieht seine Existenz auf dem Spiel, und für die damals marode Freisinger Klinik geht es auch um viel Geld.

Ins Haus geholt worden ist Schwarzer von Heike Tempel. Als sie 2005 im Unfrieden die Klinik verlässt, übernimmt Philipp Ostwald die Geschäfte, ein gelernter Arzt. Er kündigt die Verträge mit Schwarzer, strukturiert das Haus um, saniert es, und steigt auf: 2009 wird er Direktor am Klinikum rechts der Isar in München. Die Klinik gehört zur TU, mit ihr hat Freising einen Geschäftsbesorgungsvertrag geschlossen, Freising wird von München aus verwaltet, Ostwald ist der Ober-Chef der Kreisklinik.

Im September 2009 geht der Zivilstreit zwischen dem Urologen Schwarzer und der Klinik Freising in seine entscheidende Phase. In erster Instanz hat Schwarzer verloren, nun kommt es zur Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht München. War sein Rauswurf als Belegarzt rechtens? Viel hängt von der Aussage der Ex-Klinikchefin Tempel ab, es geht um die Interpretation der Verträge. Tempel arbeitet zu dieser Zeit in Sachsen, am 23. September 2009 ist sie als Zeugin vor dem OLG geladen, benannt von Schwarzer.

Am Tag zuvor, einem Dienstag, kommt es zu einer ebenso regen wie rätselhaften Kommunikation zwischen München, Freising und Sachsen. Wer hat dabei was gesagt? Hat jemand versucht, Frau Tempel unter Druck zu setzen, um den OLG-Prozess zu gewinnen? Bei Tempel rufen nacheinander ihr Freisinger Nachfolger Ostwald und der Kreisrat Herrmann an. Danach ruft Tempel den Urologen Schwarzer an. Schwarzer erinnert sich auch drei Jahre später an eine aufgeregte Frau Tempel: Sie habe ihm berichtet, dass Ostwald sie unter Druck gesetzt habe, behauptet Schwarzer. Man solle alles tun, habe Ostwald zu Tempel gesagt, dass sich Schwarzer nicht in seinem Erfolg sonne.

Schwarzer verliert tags darauf seinen OLG-Prozess, und er führt es darauf zurück, dass seine Zeugin Tempel angesichts des Drucks viel zu vage ausgesagt habe. Schwarzer erstattet Anzeige gegen seinen Klinikchef Ostwald, die Staatsanwaltschaft wird aktiv. Bald aber werden die Ermittlungen wegen Anstiftung zur Falschaussage eingestellt, und nun schlägt Ostwald zurück: Er zeigt den Urologen Schwarzer an, wegen falscher Verdächtigung. Wieder ermittelt die Staatsanwaltschaft, wieder stellt sie ein. Ostwald reicht Beschwerde ein, es wird neu ermittelt, nun ergeht Strafbefehl gegen Schwarzer.

Und über diesen hat jetzt Amtsrichter Kai Dingerdissen in Saal A221 zu entscheiden, genau drei Jahre nach den merkwürdigen Telefonaten. Der Prozess beginnt mit ungewöhnlicher Sitzordnung, die den Prozessverlauf fast vorweg nimmt: Ullrich Schwarzer, 56, nimmt nicht auf der Anklagebank Platz, sondern dahinter, neben seinem Verteidiger Andreas Schwarzer. Dass die beiden Brüder sind, merkt man auch daran, dass der Anwalt jedes Komma der Akten zu kennen scheint. Später wird der Verteidiger zum Angreifer.

Der Urologe Schwarzer berichtet von den Telefonaten am 22. September 2009. Frau Tempel sei "emotional völlig außer sich" gewesen, weil man sie so unter Druck gesetzt habe, damit sie zugunsten ihrer alten Klinik aussage, und damit gegen ihn, den Belegarzt. Schwarzers Selbstbewusstsein ist nicht gering, aber jetzt ist er aufgeregt, sieht seinen Ruf auf dem Spiel, findet, dass eigentlich Philipp Ostwald auf die Anklagebank gehöre. Die beiden Männer werden keine Freunde mehr.

Auftritt erster Zeuge, Florian Herrmann, 40. Er ist nicht nur Kreisrat, Landtagsabgeordneter und Rechtsanwalt, sein Vater ist Wolfgang Herrmann, Präsident der TU, an der der Angeklagte noch immer als Professor lehrt. Als CSU-Fraktionschef im Kreistag hat Herrmann junior nach eigener Aussage zudem am Zustandekommen der Kooperation zwischen dem Krankenhaus Freising und dem Klinikum rechts der Isar, der Klinik seines Vaters, mitgewirkt. Jetzt ist Herrmann junior Zeuge, weil auch er vor drei Jahren Frau Tempel angerufen hat. Herrmann ist der Erste an diesem Tag, der sich kaum mehr erinnern kann, und so bleibt offen, ob ihn Ostwald zu diesem Telefonat aufgefordert hat. Klar wird nur, dass zunächst Ostwald und Herrmann telefonieren, dann Herrmann mit Tempel, dann wieder ruft Herrmann bei Ostwald an, um zu berichten, was Tempel gerade gesagt habe. Herrmann berichtet, er habe für Ostwald herausfinden wollen, wie die Zeugin Tempel die Causa Schwarzer so sehe. Zu beeinflussen versucht habe er die Zeugin aber nicht.

Auftritt zweiter Zeuge, Philipp Ostwald, 46, "Krankenhausmanager" von Beruf. Mehrfach hat er an jenem 22. September versucht, Tempel zu erreichen. Als es irgendwann gelang, habe er Tempel fragen wollen, was sie am nächsten Tag als Zeugin vor Gericht sagen werde. Es entwickelt sich eine etwa einstündige Vernehmung des Zeugen, die bald an ein Kreuzverhör erinnert. Richter und Verteidiger stellen immer wieder die gleiche Fragen: Warum ruft der Klinikchef seine Vorgängerin, zu der das Verhältnis getrübt ist, an? Warum einen Tag vor einer entscheidenden Gerichtsverhandlung, bei der Tempel als Zeugin geladen ist, als Zeugin der Gegenseite? Was haben sie geredet? Die Klinik unterstellte Tempel damals "ein erhebliches Interesse daran", der Klinik "durch ihre Aussage zu schaden". Es steht der Verdacht im Raum, dass Ostwald die Zeugin Tempel zu beeinflussen versucht habe.

Klinikchef Ostwald stockt, zögert, überlegt, beteuert: "Ich hatte keine unredlichen Absichten." Der Richter wiederholt, wie sehr er sich wundere über diese Telefonate, und ob Ostwald seinen Anruf "glücklich" finde. Ostwald neigt den Kopf zur Seite. "Ich weiß nicht, was Sie mir unterstellen wollen." Der Richter hakt nach, der Verteidiger behandelt den Zeugen bisweilen wie einen Schulbuben, und die Erklärungen Ostwalds für sein Telefonengagement mäandern. Er sagt: "Ich kann mich an den Inhalt des Gesprächs nicht erinnern." Er sagt, er habe erreichen wollen, dass Tempel tags darauf "wahrheitsgemäß aussagt". Er habe "hundertprozentig nicht" gesagt, dass alles getan werden müsse, damit Schwarzer den Prozess nicht gewinnt. Damit bezichtigt er Tempel, seine Nachfolgerin, indirekt der Lüge.

Es wird eng für den Zeugen Ostwald, der Richter erklärt ihm, dass er nichts sagen müsse, womit er sich selbst belaste. Und ob er sich nicht mit seinem Anwalt beraten wolle. Ostwalds Anwalt sitzt im Publikum und ruft nach vorne: "Doktor Ostwald braucht keine Beratung!" Der Richter: "Es wird unangenehm für ihren Mandanten." Weitere Fragen, weiteres Winden, irgendwann besteht der Richter darauf, dass Ostwald seinen Anwalt zu Rate zieht. Hinterher sagt Zeuge Ostwald zum Richter, ein wenig zaghaft: "Ich fühle mich von Ihnen unter Druck gesetzt. Ich fühle mich fast wie ein Angeklagter." Der Richter insistiert: "Können Sie uns Ihr Verhalten erklären?" Das gelingt dem Klinik-Direktor nicht. Später sagt er, er habe seine Vernehmung als "kafkaesk" empfunden.

Auftritt Heike Tempel, 49, Ex-Klinikchefin Freising. Sie kommt seit ihrem Weggang nicht heraus aus der Zeugenrolle: Vor drei Jahren vor dem Landgericht, dann vor dem OLG, später zweimal bei der Polizei, jetzt am Amtsgericht, immer wieder die Causa Schwarzer. Tempel ist eine sachliche Frau, wägt jedes Wort, es ist, als absolviere sie eine Gratwanderung, wolle niemandem wehtun: dem von ihr geschätzten Professor Schwarzer nicht, ihrer alten Klinik nicht, und sich selbst auch nicht. Nein, sie habe sich nicht unter Druck setzen lassen von Ostwald oder Herrmann, sei nicht zu einer Falschaussage animiert worden. Aber die Anrufe am Tag vor ihrer Aussage, "das hat mich schon gewundert, ich fand's unangenehm". Zu Ostwald habe sie schließlich schon Jahre keinen Kontakt mehr gehabt. Auch Tempel sagt, sie könne sich kaum erinnern an den Inhalt der Telefonate, aber diesen einen Satz von Ostwald habe sie sich gemerkt: Es müsse alles dafür getan werden, dass sich Professor Schwarzer nicht im Erfolg sonnt. Dass also Schwarzer den Zivilprozess um seine Praxis nicht gewinne.

Vor einem halben Jahr ist Schwarzer, nach einem Vergleich und mit einer Abfindung, aus der Klinik ausgezogen. Nun spricht der Richter den Angeklagten Schwarzer frei: Ihm sei nicht vorzuwerfen, dass er damals, vor drei Jahren, Ostwald angezeigt habe. Soll heißen, sein Verdacht gegen Ostwald sei nachvollziehbar gewesen. Ob er auch zutrifft, der Verdacht, das ist nicht zu entscheiden an diesem Tag. Der Freispruch für Schwarzer ist kein Schuldspruch für Ostwald.

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