Ein Säugling ist in der Charité gestorben. Klaus-Dieter Zastrow, Experte für Krankenhaushygiene, über Fehler auf der Neugeborenenstation.

Zufällig beschäftigte sich am Sonnabend auch ein vom Helios-Klinikum Buch veranstaltetes Symposium unter anderem mit Hygiene und Keimen in der Neonatologie. „Eine Infektion ist der Albtraum der Intensivstation“, sagte Lothar Schweigerer, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin in Buch, am Rande der Veranstaltung. „Das Einzige, was hilft, ist konsequent und stringent auf Hygiene zu achten.“ Den Vortrag über die Anforderungen an die Hygiene hielt Klaus-Dieter Zastrow, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Christina Brüning hat danach mit ihm gesprochen.

Morgenpost Online: Im aktuellen Fall hat die Charité Probleme mit Serratia-Bakterien. Wie gefährlich sind diese Keime?

Klaus-Dieter Zastrow: Diese Keime sind so gefährlich wie alle anderen Krankenhauserreger auch. Diese Keime sind keine Exoten, sondern kommen überall vor. Viele Menschen tragen diese Serratia-Bakterien im Darm und sind nicht krank. Aber wenn die Keime an die falsche Stelle kommen, in die Blutbahn, in die Lunge oder Blase, dann gibt es böse Infektionen. Bei Frühchen mit kaum ausgebildetem Immunsystem oder von einer Krankheit geschwächten Patienten kann der Verlauf dann dramatisch werden.

Morgenpost Online: Wie kommen denn diese Keime auf eine Intensivstation für Neugeborene, die eigentlich ein Gebiet mit sehr hohen Hygienestandards ist?

Klaus-Dieter Zastrow: Sein sollte! Mitgebracht werden die Keime natürlich von den Menschen, von den Eltern, vom Personal. Deswegen: Sobald es an das Kind herangeht, müssen die Hände desinfiziert werden, braucht es Mund- und Nasenschutz sowie Handschuhe. Ob es nun Serratien oder andere Keime sind, wenn ordentlich desinfiziert wird, kann es keine Probleme geben. So eine Infektion ist immer ein Hygienefehler und kein wundersames Unheil von oben.

Morgenpost Online: Aber in jeder Klinik heißt es, gegen solche Fälle sei niemand gefeit.

Klaus-Dieter Zastrow: Damit ist gemeint, dass jedes Haus Mitarbeiter hat, die sich nicht an die Hygieneregeln halten.

Morgenpost Online: Kann man von einem Vorfall auf die Hygienestandards einer Station schließen?

Klaus-Dieter Zastrow: Jein. Die Standards können in Ordnung sein, und trotzdem werden sie unter Umständen nicht gelebt. Unsere Straßenverkehrsordnung ist auch tadellos, aber trotzdem fahren Leute bei Rot über die Ampel. Und in manchen Kliniken gibt es eben ein paar mehr Leute von dieser Sorte. Aber auch das ist kein Schicksalsschlag. Diese Leute kennt man auf seiner Station. Da muss man Konsequenzen ziehen. Man kann nicht sagen, das ist ein so netter Mitarbeiter, da sehen wir drüber weg, dass der sich so ungern die Hände desinfiziert. Die Katastrophen, die sich an die Fehler anschließen, sind viel zu gravierend, als dass man darüber hinwegsehen darf. Durch Infektionen können Kinder sterben oder ihr Leben lang Behinderungen davontragen.

Morgenpost Online: Konsequenzen ziehen hieße, die Leute zu versetzen?

Klaus-Dieter Zastrow: Entlassung. Hier wird die Gesundheit von Menschen ruiniert. Inzwischen weiß jeder, wie man Hände desinfiziert.

Morgenpost Online: Gibt es auf einer Intensivstation für Neugeborene besondere Schwierigkeiten?

Klaus-Dieter Zastrow: Genau genommen eigentlich weniger. Die Frühchen sind im Inkubator, dadurch sind sie stark abgeschirmt. Aber es gibt bei den Neugeborenen oft ein stärkeres Bedürfnis mancher Mitarbeiter, Hautkontakt herzustellen, Handschuhe wegzulassen, die Babys auf die Brust der Mutter zu legen. Dazu gibt es Untersuchungen, die eine positive Wirkung auf das Kind bestätigen. Aber trotzdem muss man auch hier abwägen, besonders aufpassen und alle Gefahren ausschalten. Ich sehe zudem bei Begehungen oft Schwestern und Ärzte mit Ringen am Finger, mit Armbanduhr, langärmeligen T-Shirts – alles streng verboten. Diese Leute kapieren offensichtlich nicht, was sie anrichten können. Und wenn ich dann eine Fläche habe, die schlecht oder gar nicht desinfiziert ist – erster Fehler –, dann muss ich die angefasst haben und ohne ordentliche Desinfektion der Hände ans Kind gegangen sein, um das Kind zu infizieren – zweiter Fehler.

Morgenpost Online: Ist also ein Vorfall immer ein Zeichen für Schlamperei?

Klaus-Dieter Zastrow: Ja, keine Frage. Solche Vorfälle sind eigentlich immer ein Zeichen von Schlamperei. Fälle, in denen die Verunreinigung über Medizinprodukte, in Infusionen oder Salben, ins Haus kommt, sind sehr selten.

Morgenpost Online: Beim aktuellen Fall sind die Probleme seit zwei Wochen bekannt. Hätte die Öffentlichkeit früher informiert werden müssen?

Klaus-Dieter Zastrow: Die Frage ist, wie die Zeit genutzt wurde in der Charité. Man muss nicht alles sofort aus dem Fenster hängen und Panik machen, man muss aber sofort reagieren, eindämmen, behandeln, die Ursache finden. Was ich aber jetzt nicht hören will, sind Sätze wie: Wir haben die Hygienemaßnahmen verschärft. Was will man noch verschärfen? Alles Machbare muss man immer tun. Entweder man steht bei Rot an der Ampel oder nicht. Die Standards stehen fest.

Morgenpost Online: Welche Rolle spielt Personalmangel bei Hygieneproblemen?

Klaus-Dieter Zastrow: Eine große Rolle. Bei Unterbesetzung muss ein Mensch vier, fünf Inkubatoren betreuen. Da piepst es nebenan, weil irgendwo die Infusion durch ist, da rennt man dann schnell rüber und wechselt nicht mehr bei jedem Patienten den Kittel. Das Personal steht unter Druck. Die Sparmaßnahmen gehen immer zulasten der Patienten.