Psychiatrie:Schablonen für die Depression

In psychiatrischen Kliniken soll 2013 stufenweise ein neues Abrechnungssystem eingeführt werden, um die Vergütung der Kliniken gerechter und transparenter zu machen. Dock die Kliniken warnen davor, dass Kranke zu früh entlassen werden.

Nina von Hardenberg

Für die Psychiatrie ist es der größte Umbruch der vergangenen Jahre: 2013 soll in psychiatrischen Kliniken stufenweise ein neues Abrechnungssystem eingeführt werden.

Der sogenannte PEPP-Entgeltkatalog soll die Vergütung der Kliniken gerechter und transparenter machen, könnte sich aber auch fatal auf die Qualität der Therapien auswirken, fürchten Kritiker. Denn künftig zählt bei der Abrechnung nicht mehr nur, wie lange ein Patient in einer Klinik behandelt wurde, sondern auch welche Krankheit er hatte. Patienten mit bestimmten Diagnosen könnten von den Kliniken bevorzugt aufgenommen werden, so die Sorge.

Kurz vor dem geplanten Start der Testphase formiert sich deshalb Widerstand in den Kliniken. Für diesen Freitag hat ein Aktionsbündnis von Psychiatrie-Verbänden Proteste angekündigt. Zuvor hatte bereits die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die eigentlich den gesetzlichen Auftrag hat, gemeinsam mit den Krankenkassen die Feinheiten des Abrechnungskatalogs auszuarbeiten, die Verhandlungen aus grundsätzlichen Bedenken abgebrochen. Sie plädiert nun dafür, die Einführung um zwei Jahre zu verschieben. Da sich Kliniken und Kassen nicht einig sind, muss nun das Gesundheitsministerium entscheiden, ob die neuen Regeln eingeführt werden.

Was die Psychiatrie-Verbände derzeit mit aller Kraft bekämpfen, kennen die anderen Fachrichtungen schon seit bald zehn Jahren. 2003 wurde in deutschen Krankenhäusern ein Abrechnungssystem nach Fallpauschalen, den sogenannten Diagnosis Related Groups (DRGs), eingeführt. Seither rechnen die Kliniken nicht mehr die Liegezeiten eines Patienten im Krankenhaus mit den Krankenkassen ab, sondern sie erhalten pro Krankheitsfall eine Pauschale.

In psychiatrischen Einrichtungen hatte man die Fallpauschalen 2003 bewusst nicht eingeführt. Aus einem einfachen Grund: Die Behandlungskosten von psychisch kranken Menschen lassen sich kaum in Pauschalen abbilden, zu unterschiedlich sind die Verläufe, so die Meinung der Fachwelt. "Die Therapie einer Depression ist nicht so vorhersehbar wie eine Knieoperation", sagt Thomas Pollmächer, Chef der Psychiatrie am Klinikum Ingolstadt und einer der Initiatoren des Protestbündnisses. "Auf stabile Phasen können neue Zusammenbrüche folgen."

Das nun vorgesehene neue Abrechnungssystem hat diese Bedenken teilweise berücksichtigt. Anders als in den normalen Kliniken sollen die PEPPs die Behandlungen der psychisch kranken Menschen nicht pro Krankheitsfall, sondern pro Tag vergüten. Während ein Krankenhaus das Geld für die Behandlung eines Blinddarms vereinfacht gesprochen schon mit der Operation verdient hat und lange Aufenthalte also zunehmend unwirtschaftlich werden, würden Psychiatrien weiterhin einen Tagessatz erhalten - und das für eine unbegrenzte Zahl von Tagen.

Allerdings sollen diese Tagessätze künftig in vielen Fällen degressiv gestaffelt werden. Eine Klinik erhält also in den ersten Tagen der Behandlung einen deutlich höheren Satz als am Ende. Aus Sicht der Kritiker ein Fehler: "Diese Regelung drängt die Kliniken, Patienten nur noch sehr kurz zu behandeln", sagt Pollmächer.

Nicht perfekt, aber gerechter

Bislang erhalten psychiatrische Kliniken für ihre Patienten unabhängig vom Krankheitsgrad einen festen Tagessatz. Dieser liegt historisch bedingt je nach Klinik zwischen 140 und 320 Euro. Auch dieses System sei keineswegs gerecht, betont Frank Heimig, Geschäftsführer des Instituts für Entgeltsysteme in Krankenhäusern, das den nun so heftig kritisierten Abrechnungskatalog im Auftrag von Krankenkassen und Kliniken erarbeitet hat. Derzeit seien Häuser mit vielen schweren Fällen schlechter gestellt. Auch beinhalte das jetzige System den Anreiz, Patienten lang zu behandeln. "Das neue System ist nicht perfekt, aber es ist allemal differenzierter und gerechter als das bisherige."

Im Bundesgesundheitsministerium verweist man zudem auf die langen Übergangsfristen für das neue System. In den ersten drei Jahren werde es ohne Auswirkungen auf die tatsächlichen Budgets der Kliniken nur getestet, die Teilnahme sei bis 2015 überdies für die Kliniken freiwillig.

Dieser "schützende Rahmen" werde es ermöglichen, die PEPPs als "lernendes System" weiter zu verbessern und anzupassen, heißt es in dem Entwurf für eine sogenannte Ersatzvornahme, mit dem das Ministerium die neuen Regeln auch gegen den Willen der Psychiatrieverbände in Kraft setzten kann. Ob und wann das passiert, war am Mittwoch noch offen. Zunächst sollen am kommenden Montag die Verbände gehört werden.

Unterdessen beschloss das Kabinett eine neue rechtliche Grundlage für medizinische Zwangsbehandlungen in Kliniken. Demnach darf ein Psychiatriepatient künftig nur dann gegen seinen Willen behandelt werden, wenn er wegen seiner Krankheit einwilligungsunfähig ist und die Therapie zur Abwendung eines gesundheitlichen Schadens unverzichtbar ist. Ein Richter muss die Zwangsbehandlung genehmigen.

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