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Klinikum Essen-Mitte: Heil-Hilfe von der Architektur

Foto: Matthias Lauerer

Klinik-Architektur Schick heilt schneller

Fahles Licht, kahle Wände, unangenehme Geräusche - typisch Krankenhaus. Auf einigen Stationen des Klinikums Essen-Mitte sieht es dagegen wie in einem schicken Design-Hotel aus. Doch das hilft nur gut betuchten Patienten beim Gesundwerden.

Zuerst kommt die Irritation. Ist das wirklich ein Krankenhaus mitten im Ruhrgebiet? Im Zimmer 305 stehen frische Blumen auf dem Nachtisch, daneben liegt ein weißer, ordentlich gefalteter Bademantel auf dem Bett. Der Blick vom großen Balkon aus wandert langsam über das satte Rasengrün hinauf zu den alten Bäumen. Und das großzügige Badezimmer lädt sofort zu einer abkühlenden Dusche ein. Vielleicht liegt das an der im Prospekt gepriesenen Schieferoptik.

Auf der Station "Folkwang" der Kliniken Essen-Mitte, die auch noch etwas verschämt "Neues Bettenhaus" heißt, geht man neue Wege, um die Heilung der Patienten zu fördern. Seit etwa zwei Jahren können dort "Selbstzahler, Zusatzversicherte und Privatpatienten", wie es in der Broschüre heißt, diese ungewöhnliche Krankenhausumgebung auf drei Etagen in Anspruch nehmen. Also kann nicht jeder Kassenpatient sich eine Luxusbehandlung im edlen Ambiente leisten: Für ein Einzelzimmer verlangt man in Essen 158 Euro pro Tag, für das Doppelzimmer werden 83 Euro fällig.

In den Essener Klinikneubau flossen Erkenntnisse eines noch jungen Architektur-Fachbereichs mit ein, der sogenannten heilenden Architektur. Gebaut wurde streng nach der Devise: Auch die Umgebung und das Ambiente helfen bei der Heilung. Dazu gehören auf der Station "Folkwang" unter anderem viel Licht, Teppichböden - und die besondere Klimadecke, die die Zimmertemperatur mit Hilfe von zirkulierendem Wasser abkühlt. Bringt all dieses Chichi etwas?

An der Technischen Universität Berlin ist man davon überzeugt. Dort befassen sich Wissenschaftler vom Forschungsschwerpunkt Healing Architecture , der deutschlandweit bisher einmalig ist, mit dem Umfeld des Heilungsprozesses: Werden Patienten schneller gesund, wenn Atmosphäre und Bauliches stimmen? Welchen Einfluss haben dabei Licht, Pflanzen, Lärm, Temperatur, Farben und verwendete Materialien? Die Forscher hinterfragen die bisherigen Bauweisen für Kliniken - und entwickeln Konzepte, die Kranke schneller gesunden lassen sollen.

Das Umfeld beeinflusst den Heilungsprozess

Wichtig ist den Wissenschaftlern, dass sie den Nutzen der Healing Architecture auch nachweisen können: "Wir evaluieren, ob diese Bauweise den Patienten dabei hilft, erlebten Stress zu verringern und die Erholungs- beziehungsweise Gesundungsrate zu beschleunigen und zu verbessern", sagt Diplomingenieur und Architekt Álvaro Valera Sosa von der TU Berlin.

Wissenschaftler sind sich heute einig, dass auch das Umfeld den Heilungsprozess positiv beeinflusst. Weltweit existieren dazu etwa tausend Studien. Sie belegen, dass die Patienten, deren Heilung in einer angenehmen Krankenhausumgebung erfolgt, weniger Medikamente benötigen. Zudem sinkt deren Blutdruck, die Herzfrequenz verringert sich, die Patienten erleben weniger Stress.

In einer Studie, die die Arbeiten auf zwei dänischen Intensivstationen beobachtete , heißt es dazu: "Die Architektur und das Design eines Krankenhauses beeinflussen die positiven und negativen Prozesse und das Verhalten zwischen Patienten, Angehörigen und dem Personal."

Bereits 1984 schrieb der texanische Architekturprofessor Roger Ulrich in einer Fachpublikation : "Der Blick durch ein Fenster kann die Regeneration nach einem chirurgischen Eingriff beeinflussen." Dazu beobachtete Ulrich zwei Patientengruppen, an denen man identische OPs durchführte. Eine Gruppe kurierte ihre Wunden in normaler Krankenhausumgebung aus, nur mit dem faden Blick auf ein anderes Gebäude. Eine zweite Gruppe durfte während der Rekonvaleszenz jedoch auf Bäume blicken. Das Ergebnis: Der Klinikaufenthalt verkürzte sich deutlich, Probanden der zweiten Gruppe durchlebten weniger Komplikationen, nahmen weniger Schmerzmittel ein und litten seltener unter Depressionen.

Positiv für Patienten und Angestellte

Auch Horst Defren, Geschäftsführer der Kliniken Essen-Mitte ist von der Sinnhaftigkeit einer positiven Umgebung bei der Gesundung überzeugt: "Die Patienten sind mündig geworden und sollen selbst entscheiden, wie sich ihr Aufenthalt im Krankenhaus gestaltet." Die 90 Betten auf den neuen Stationen seien erst der Anfang. Defren plant zudem, die Expertise des Klinikpersonals auszubauen. "Wir sind davon überzeugt, dass Patienten von der Verbindung der konventionellen Medizin und wissenschaftlich evaluierter Naturheilkunde profitieren." Deshalb wird an der Essener Klinik auch traditionelle chinesische und indische Medizin angeboten.

Ähnliches sagt Álvaro Valera Sosa: "Wir haben bei unserer Forschung nicht nur die Patienten im Blick, sondern auch die Arbeitskräfte. Sie wissen, was die Patienten benötigen. Und unterstützen damit die Heilung."

Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass auf der Essener Station "Folkwang" in der Lounge Jana Görke arbeitet. Die 32-Jährige kommt aus der Hotellerie, ist gelernte Hotelfachfrau. Blitzschnell serviert sie lächelnd frischen Kaffee und sagt: "Ich genieße meine Arbeit in dieser Atmosphäre."