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Meinung Pharmaindustrie

Die Menschen wissen nicht, wer sie gesund macht

Arzneimittelproduktion bei einem Pharmakonzern Arzneimittelproduktion bei einem Pharmakonzern
Arzneimittelproduktion bei einem Pharmakonzern
Quelle: dpa/lf rf kd fpt
Die Erfolge der Gesundheitsbranche werden nicht gewürdigt: Die Politik fördert die Unternehmen kaum, gängelt sie vielmehr. Dabei stehen Medizin- und Pharmafirmen für die meisten Jobs in Deutschland.

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Geschichten wie die des kleinen Emin erzählen von dem unbezahlbaren Gewinn an Lebensqualität und Glück, den medizinische Innovationen möglich machen. Emin wurde taub geboren, und es war unklar, ob er jemals würde sprechen können.

Doch dann wurde ihm eine hochmoderne Innenohrprothese eingesetzt, ein sogenanntes Cochlea-Implantat. Mit Erfolg: Der heute zehnjährige Emin ist ein guter Schüler, schwimmt gern und spielt Klavier.

Obwohl es viele solche Geschichten zu erzählen gibt, wird der Beitrag der Gesundheitsbranche häufig nicht angemessen gewürdigt. Welches Unternehmen das Medikament, medizinische Gerät oder Verfahren herstellt, das sie gesund macht – viele Menschen wissen es gar nicht.

Dazu passt, dass Gesundheitsausgaben von den politisch Verantwortlichen oft nur als Kostenfaktor betrachtet werden, und nicht als Investition in die Gesundheit und die Lebensqualität der Menschen. Ein schwerer Fehler – schließlich ist Gesundheit ein hohes Gut.

Gesundheitsbranche wird weltweit wichtiger

„Es gibt 1000 Krankheiten“, sagte der Philosoph Arthur Schopenhauer, „aber nur eine Gesundheit.“ Um diese eine Gesundheit künftig noch besser verteidigen zu können, brauchen wir vor allem eine starke, innovationsfähige Gesundheitsbranche.

Das zeigen viele aktuelle Entwicklungen: So ermöglichen neue wissenschaftliche Erkenntnisse heute schnellere und differenziertere Diagnosen. Therapieverfahren werden verbessert, vielen Krankheiten erfolgreicher vorgebeugt. Dazu kommt die zunehmende Individualisierung in medizinischer Diagnostik und Therapie, die dem Patienten völlig neue Heilungschancen eröffnet.

Die neuen Möglichkeiten des medizinisch-technischen Fortschritts tragen dazu bei, dass die Gesundheitsbranche auch ein Wirtschaftsfaktor ist, dessen Bedeutung weltweit rapide zunimmt. Schließlich steigt auch der Bedarf: In den Industrieländern werden die Menschen immer älter, wodurch bestimmte Krankheitsbilder häufiger werden.

In den Entwicklungs- und Schwellenländern ermöglicht der wachsende Wohlstand immer mehr Menschen die Teilhabe an einer modernen Gesundheitsversorgung. Und in der ganzen Welt nimmt das Gesundheitsbewusstsein der Menschen zu.

Größter Arbeitgeber in Deutschland

Dies alles schafft einen riesigen, dynamischen Wachstumsmarkt, der bis zum Jahr 2020 voraussichtlich um rund sechs Prozent pro Jahr zulegen wird. Die deutsche Gesundheitswirtschaft ist hervorragend positioniert, um eine führende Rolle in dieser Entwicklung spielen zu können.

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Rund zwei Drittel ihrer Produktion gehen in den Export. In der Medizintechnik belegt Deutschland nach den USA und Japan den dritten Platz, die deutsche Biotechnologie-Branche ist sogar – nach den USA – Vize-Weltmeister.

Auch die pharmazeutische Industrie insgesamt gehört bei Umsatz, Gewinn und Marktanteil zu den führenden in der Welt. Und was viele überrascht: Schon heute stammen in Deutschland mehr als elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus der Gesundheitswirtschaft.

Mit 5,7 Millionen Erwerbstätigen ist sie der Wirtschaftszweig in Deutschland, der die meisten Menschen in Lohn und Brot bringt – jeder siebte Beschäftigte arbeitet in dieser Branche. Die Gesundheitswirtschaft ist damit ein häufig unterschätzter Riese in der deutschen Volkswirtschaft.

Zwangsrabatt kostet Milliarden

Angesichts der Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für Lebensqualität, Wachstum und Wohlstand ist es kaum zu verstehen, dass die deutsche Politik immer wieder Maßnahmen ergreift, die den Unternehmen der Branche das Leben schwer machen.

Unrühmliches Beispiel ist hier der Zwangsrabatt, der den Herstellern innovativer Arzneimittel weiterhin 2,5 Milliarden Euro jedes Jahr abverlangt. Angesichts der aktuellen Kassenlage mit riesigen Überschüssen trägt dies den bitteren Beigeschmack staatlicher Willkür. Der Zwangsrabatt gehört deshalb so schnell wie möglich abgeschafft.

Hinzu kommt: Im Räderwerk der seit 2011 geltenden frühen Nutzenbewertung für innovative Arzneimittel sind zahlreiche Unwuchten versteckt, die eine faire Preisgestaltung erschweren. Ein Beispiel: Welche Vergleichstherapie zur Beurteilung neuer Medikamente herangezogen werden soll, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss, das mächtigste Gremium im deutschen Gesundheitswesen.

Da der Preis des Vergleichsmedikaments aber die Ausgangsbasis für anschließende Preisverhandlungen ist, hat der Gemeinsame Bundesausschuss einen Anreiz, ein möglichst billiges Präparat zu wählen – etwa ein Nachahmermedikament, bei dem die Forschungs- und Entwicklungskosten überhaupt keine Rolle spielen. An dieser Stelle sollte dringend nachjustiert werden.

Weg zur Kostenübernahme ist steinig

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Auch den Herstellern medizinisch-technischer Geräte wird Innovation nicht immer leicht gemacht. So dauert es hier zu lange, bis Neuerungen für den ambulanten Bereich zugelassen werden. Für die Krankenhäuser gelten dagegen andere, innovationsfreundlichere Regeln.

Diese sollten auf den ambulanten Bereich ausgedehnt werden, um die derzeit bestehende Asymmetrie zu beseitigen. Jeder medizinischen Innovation, ob in der Pharmaindustrie oder der Medizintechnik, gehen immense Investitionen in Forschung und Entwicklung voraus.

Hinzu kommen aufwendige und teure Zulassungs- und Bewertungsverfahren – der Weg in die Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung ist zäh und steinig. Es ist deshalb umso wichtiger, dass Innovationen in dieser Branche auch anerkannt, angemessen honoriert und gefördert werden – sonst kann ihr Geschäftsmodell auf Dauer nicht funktionieren.

Der Autor ist Vorstand im Pharmakonzern Bayer und Vorsitzender des BDI-Ausschusses für Gesundheitswirtschaft, der im September 2012 gegründet wurde, um eine branchenübergreifende Perspektive für alle im Gesundheitssektor tätigen Unternehmen zu entwickeln.

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