Ausser Form

Die Medizintechnik-Unternehmen der Schweiz drohen zu Zulieferern ausländischer Grosskonzerne zu werden. Der relative Abstieg verläuft leise, gefragt wären neue Erfolgsmodelle.

Giorgio V. Müller
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Die Schweizer Medtech-Branche muss nach neuen Geschäftsmodellen suchen

Die Schweizer Medtech-Branche muss nach neuen Geschäftsmodellen suchen

Die Medizintechnik-Branche hat in der Schweiz eine lange Tradition. Zudem zeichnete sie sich durch eine überdurchschnittlich hohe Ertragskraft aus, zumindest bis die Finanzkrise und der starke Franken die exportlastige Branche ins Schwitzen brachten. Mit diesem Gegenwind könnten sich die Unternehmen arrangieren, mehr Mühe bekunden sie jedoch mit den strukturellen Änderungen im gesamten Gesundheitswesen, auf die viele bisher noch keine befriedigende Antwort gefunden haben.

Verlagerung der Märkte

Wie in anderen Branchen haben sich in den vergangenen Jahren auch in der Medtech-Industrie die relevanten Märkte in die Schwellenländer verlagert. So werden die vier grossen (Brasilien, Russland, Indien, China) in drei Jahren in allen Kategorien unter den weltweit zehn grössten Märkten klassiert sein, heisst es in einem von Medtech Switzerland und IMS Consulting Group diese Woche veröffentlichten Bericht («The Global Medtech Industry: Visions in Times of Change»). Der Bericht basiert einerseits auf den während des letztjährigen Medtech-Forums in Luzern unter den Teilnehmern erhobenen Umfragen, andererseits auf Gesprächen mit den wichtigsten Exponenten aus der Branche. Neun von zehn Medtech-Manager sind davon überzeugt, dass die Schwellenländer in den nächsten fünf Jahren das grösste Wachstum haben werden. Gleichzeitig sind rund 60% von ihnen der Meinung, dass auch der Margendruck stark bis sehr stark zunehmen wird.

Zusammen mit der Globalisierung machen es die hohen – weil zu einem beträchtlichen Teil in der Schweiz anfallenden – Kosten der Branche immer schwerer, die Bedürfnisse der neuen Märkte zu befriedigen. Im standardisierten Massengeschäft, das in Schwellenländern mit 10- bis 15-mal geringeren Preisen operiert, haben die westlichen Anbieter überhaupt keine Chance. Einige Schweizer Unternehmen wie Nobel Biocare (Alpha-Bio Tec) und Straumann (Neodent) versuchen mit einer günstigeren Zweitmarke in diesen Märkten präsent zu sein. Doch die dortigen Volumen sind noch bescheiden, und die Abgrenzung zu den teuren Qualitätsprodukten ist eine ständige Gratwanderung.

Zulieferer statt Hersteller

Gemäss einem Autor des Berichts, Beatus Hofrichter von IMS, würde sich die einheimische Medtech-Branche zunehmend von Herstellern von Endprodukten zu einer Zulieferer-Industrie für die international tätigen Grossunternehmen entwickeln. Das hat auch Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle: «Das Generalistenmodell wird wohl keinen Bestand mehr haben», sagt sein Kollege Aleksandar Ruzicic. Doch die meisten Unternehmen seien in ihren alten Modellen gefangen, denn diese garantierten in der Vergangenheit lukrative Margen. In den heutigen Strukturen funktionieren diese Erfolgsmodelle hingegen immer weniger.

Erkannt ist diese Tatsache schon länger, neun von zehn Medtech-Managern gehen davon aus, dass sich ihre Geschäftsmodelle in den kommenden Jahren grundlegend ändern müssen. Grund sind die Veränderungen im gesamten Gesundheitswesen, in dem die Anbieter von Medtech-Produkten heute beweisen müssen, dass ihr Produkt nicht nur medizinische, sondern auch finanzielle Vorteile bringt (Stichworte: Fallpauschale, Einkaufsgesellschaften). Diesem allgemeinen Margendruck kann sich die Medtech-Branche nicht entziehen.

Für die im Wertesystem der Ingenieure Aufgewachsenen, die sich gewohnt waren, z. B. direkt und auf Augenhöhe mit einem Chirurgen zu verhandeln, bedeutet dies einen Kulturschock. Plötzlich muss nicht nur die Rentabilität des Produkts, sondern die Vorteile im gesamten Prozess belegt werden. Laut Hofrichter hätten die wie früher in Produktezyklen denkenden Vertreter die Markttransformation verpasst. Stand früher der Patient im Mittelpunkt, sind es heute die Wünsche der Kunden, die Vorrang haben. Ob die Schweizer Medtech-Unternehmen auch in dieser Welt Erfolg haben können, müssen sie erst noch beweisen.