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Sterben in Zeiten der Fallpauschale

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Altmann
Begleitete ihre Freundin in den Tod: Margarete Altmann. Die 78-Jährige ist entsetzt, dass es jetzt „auch beim Sterben noch um Wirtschaftlichkeit gehen soll“. © WÖ

München - Palliativstationen müssen auch Todkranke nach Einheitssätzen abrechnen. Ärzte und Betroffene macht das wütend.

Elisabeth Keidler (Name geändert), starb am 19. April in einem Münchner Hospiz. Lange hatte sie gegen den Krebs gekämpft. Am Ende ging sie friedlich und leise. Dass die sterbende Frau aber vorher – auf der Palliativstation – noch zu einem „Fall“ wurde, in dem die „obere Grenzverweildauer“ eine Rolle spielte, findet ihre Freundin Margarete Altmann (78) „einfach nur unwürdig“.

Elisabeth sei „überglücklich über die menschliche und wunderbare Betreuung bei den Barmherzigen Brüdern“ gewesen, erzählt die Münchnerin. Doch die Palliativstation des Münchner Krankenhauses kämpft wie viele andere mit der Einführung der Fallpauschale. „Es macht mich wütend, dass es jetzt auch noch beim Sterben um Wirtschaftlichkeit gehen soll“, sagt Altmann.

Sonderregelung für Palliativstationen fällt

Das Vergütungssystem der Fallpauschalen, mit dem die Kassen und die Politik Kosten senken und die Transparenz erhöhen wollen, wurde 2003 in den deutschen Kliniken eingeführt. Bis spätestens 2014 müssen nun auch die Palliativstationen, auf denen das Leiden unheilbar kranker Menschen gelindert werden soll und für die bislang eine Sonderregelung galt, auf das System umstellen.

Mit schwerwiegenden Folgen, wie Claudia Bausewein, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am Klinikum Großhadern, sagt. Denn: Das System setze Anreize, auch unnötige Maßnahmen zu verordnen, etwa Krankengymnastik. „Ein Sterbender braucht aber keine Krankengymnastik“, sagt sie. Und: „Die Palliativmedizin zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie vieles unterlässt.“

Dagegen seien die auf Palliativstationen so wichtigen Patientengespräche und unablässige pflegerische Maßnahmen wie Mundpflege im Fallpauschalen-System nicht vorgesehen. „Das Aushalten einer Situation, das Mitgehen in einer schwierigen Lebensphase lässt sich eben nicht unbedingt in Diagnosen und Prozeduren abzubilden“, sagt Bausewein. Zeit schenken, Trost und Beistand spenden, Angst und Schmerzen lindern und den unheilbar Kranken in seiner letzten Lebensphase unterstützen, darum geht es in der Palliativmedizin.

Elisabeth Keidler etwa bekam an ihrem Bett bei den Barmherzigen Brüdern Besuch von einer Harfenistin. „Das fand sie wunderbar“, erzählt Margarete Altmann, die mehr als 50 Jahre lang an der Seite ihrer Freundin stand. Doch eine Pauschale für beruhigende Musik gibt es nicht.

Dafür gibt es die „obere Grenzverweildauer“ – und die bedeutet für Palliativstationen großen finanziellen Druck. Denn: Die Kassen übernehmen auch für Sterbende nur zeitlich begrenzt Zusatz-Kosten – dafür wurde eine „mittlere Verweildauer“ errechnet und eben jene Grenze nach oben.

Für Palliativstationen bedeutet das: Müssen Patienten länger dort bleiben, werden die über die Fallpauschale hinausgehenden erforderlichen Leistungen nicht mehr abgerechnet. Sie müssen anderweitig erwirtschaftet werden. Ein langes Sterben ist nicht vorgesehen.

Kliniken brauchen noch mehr Spenden

„Wir können das Sterben aber nicht beschleunigen und werden das auch niemals tun“, sagt Dr. Susanne Roller, Palliativmedizinerin am Krankenhaus Barmherzige Brüder. Schon vor der Einführung der Fallpauschale sei die Station auf Spendengelder angewiesen gewesen. Nun aber benötige man noch viel mehr Geld. „Das ist eine Zumutung“, findet Roller.

Auch Elisabeth Keidler musste nach 14 Tagen die Palliativstation verlassen. „Die Ärzte haben ihr gesagt, dass es ihnen wahnsinnig leid tut“, sagt ihre Freundin Margarete Altmann. Die Schwerstkranke wurde zurück nach Hause ins Münchner Umland gebracht. Nach drei Wochen dort kam sie wieder auf die Palliativstation, einige Tage danach ins Hospiz. Neun Tage später starb sie, im Beisein ihrer Schwester, die aus den USA angereist war und bei ihr bleiben durfte. „Aber dass ihr diese Wege noch zugemutet wurden, ärgert mich“, sagt Altmann. „Die Krankenkassen schwimmen im Geld, hier zu sparen ist menschenverachtend.“

Grundsätzlich sei der Aufenthalt auf Palliativstationen begrenzt, sagt Ärztin Susanne Roller. Ziel sei es immer, Patienten entweder gut versorgt nach Hause zu entlassen – oder in ein Hospiz. „Es wird immer Patienten geben, die hier bleiben müssen – bei denen zahlen wir drauf. Und bei anderen müssen wir ein bisschen Druck machen, dass sie entlassen werden.“

Zwar sieht das System ein Zusatzentgelt vor, wenn Menschen mehr als sieben Tage palliativ betreut werden. Um den Bedarf nachzuweisen, fällt aber ein immenser Dokumentationsaufwand an. „Das ist Zeit, die für die Betreuung der Patienten fehlt“, sagt Bausewein.

Der Bund will Sparanreize setzen

Atemnot und Angstzustände sind typische Symptome, die Schwerstkranke zeigen. „Aber es sind zum Beispiel nicht alle Brustkrebspatientinnen gleich“, sagt Bausewein. Das Fallpauschalensystem aber teilt nur in Diagnosegruppen ein. „Das beschreibt die Nöte unserer Patienten nur sehr ungenau.“ Wichtig für die Palliativmediziner sei vielmehr, welche psychologische Unterstützung ein Patient braucht und wie eingeschränkt er durch die Krankheit ist.

Das System baue auf Mittelwerte für bestimmte Diagnosen – also den Durchschnitt der Ausgaben für leichte und schwere Fälle, kritisiert Roller. „Aber auf Palliativstationen haben wir ausschließlich Tumorpatienten, die immer besonders komplexe Probleme mit sich bringen.“ Entsprechend funktioniere der Ansatz der pauschalierten Bezahlung hier nicht. „Es ist beschämend“, sagt Margarete Altmann. „Der Tod hält sich eben an keine Regeln.“

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) verteidigt das Fallpauschalensystem. In einer Stellungnahme lässt er sich unter anderem mit dem Satz zitieren: „Angesichts insgesamt begrenzter Mittel wäre ein Finanzierungssystem problematisch, das keine Anreize für eine wirtschaftliche Mittelverwendung setzt.“

Claudia Bausewein dagegen fürchtet um das, was die Palliativmedizin in den vergangenen Jahren mühsam aufgebaut hat. All das „ist in Gefahr, wenn sich der Fachbereich in ein Finanzierungssystem zwängen soll, das ihm nicht gerecht wird.“

Caroline Wörmann

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