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Wenn der Patient zum Wirtschaftsfaktor wird

Viele Kliniken sind von der Insolvenz bedroht Viele Kliniken sind von der Insolvenz bedroht
Viele Kliniken sind von der Insolvenz bedroht
Quelle: Infografik Die Welt
Im deutschen Gesundheitssystem werden jährlich bis zu 200 Milliarden Euro verteilt. Die Kliniken liefern sich einen knallharten Wettbewerb – mit ungesunden Folgen.

Worum geht es

Leere Krankenhausflure und verwaiste OP-Säle: In mehr als 2000 deutschen Kliniken warten eine halbe Million Betten jeden Tag auf Kundschaft. Doch ein Viertel bleibt leer. Ulrike Gehring und Ulrike Bremer zeigen in ihrem „Krankenhausreport“ für die ARD die wirtschaftlichen Seite des Gesundheitssystems. Demnach befinden sich Deutschlands Krankenhäuser in einem knallharten Wettbewerb. Das Credo: Medizin muss Gewinne bringen.

Doch was und wer steckt hinter der Rendite in den Bilanzen der Krankenhäuser? Gehring und Bremer arbeiten die Branchenentwicklungen in den vergangenen Jahren nacheinander auf. Im Mittelpunkt steht dabei der Patient. Wird er zum Wirtschaftsfaktor und manchmal aussortiert, wenn er die falsche Krankheit hat? Die Filmemacherinnen präsentieren keine unglaublich neuen Befunde, doch sie geben einen guten Überblick über das Gesundheitssystem, in dem jährlich bis zu 200 Milliarden Euro verteilt werden müssen.

Mit der Einführung der Fallpauschale veränderte sich die deutsche Klinikenlandschaft gravierend. Die Hintergründe sind schnell erklärt. Statt für jeden Tag in der Klinik zahlen die Krankenversicherungen nur noch feste Pauschalen für bestimmte Krankheiten. Einmal Rachenmandeln entfernen. Das macht dann bitte 3000 Euro.

Was die Kosten eigentlich senken sollte, brachte viele Patienten aber in eine Zwickmühle. Ist das, was der Arzt vorschlägt, wirklich sinnvoll? Gehring und Bremer zeigen gleich zu Beginn ein schlimmes Beispiel. Sie sprechen mit Herrn R., der seine krebskranke Frau verlor. In den letzten Wochen vor ihrem Tod kam sie noch einmal ins Krankenhaus Marburg. Die Diagnose war klar. Trotzdem schickten die Ärzte die Frau in diverse Diagnoseapparate und wollten sogar ihre Leber punktieren. Am Ende überwies man sie ins Hospiz. Jetzt will ihr Mann ihre Geschichte erzählen.

Zahl der Operationen zählt

Die Rhön-Klinikum AG, die das Marburger Krankenhaus betreibt, will diese Geschichte lieber nicht kommentieren. Die Patientin sei schließlich tot und könne ihr Einverständnis nicht mehr abgeben. Gehring und Bremer erwähnen allerdings süffisant, dass die Betreiberfirma zweistellige Renditen einfährt. Etwa auch wegen vieler unnötiger Fallpauschalen?

Honorararzt Paul Brandenburg jedenfalls hält die Pauschale für eine echte Gefahr. Blinddarm-OP sei nicht immer gleich Blinddarm-OP. Mal läuft es besser und mal schlechter. Doch die Qualität wird nicht belohnt, sondern nur die Menge.

Vor allem die hohe Zahl bestimmter Operationen zähle, sagt Volker Penter, Leiter des Bereichs Health Care bei den Wirtschaftsprüfern von KPMG. Spezielle OPs lieben die Klinikchefs besonders, erklären auch die Filmemacherinnen. Patienten mit Krebs oder Sportverletzungen sind angeblich gern gesehene Gäste im Wartezimmer. Doch warum genau das so ist, bleibt leider offen. Unbeliebt sind jedenfalls mehrfach erkrankte Patienten, Diabetiker und Bluter.

Einige Kliniken spezialisieren sich auch immer mehr auf die „guten Patienten“ und schnappen damit den allgemein versorgenden Kliniken die besonders profitablen Fälle weg. Die Fallpauschale brachte beispielsweise die Klinik Offenbach an den Rand der Insolvenz. Für einen symbolischen Euro übernahm der Krankenhauskonzern Sana die Klinik. Die Filmemacherinnen sparen hier leider mit weiteren Informationen. Was passiert mit den Schulden des alten Betreibers?

Privat oder öffentlich?

Auch die Frage, ob ein privates oder öffentliches Krankenhaus besser ist, können sie nicht wirklich beantworten. Die öffentliche Schweinfurter Klinik wird zwar als Musterbeispiel beworben, doch erklärt wird zu wenig. Wie kann sich das Krankenhaus mit einer schlanken Verwaltung auf einmal doppelt so viele Ärzte leisten, aber nur ein Drittel mehr Fälle bearbeiten?

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Zwischen Qualität und Wirtschaftlichkeit bestehe jedenfalls kein Zusammenhang, stellt zumindest Volker Penter von KPMG fest. Auch hervorragende Kliniken könnten pleite gehen. Die Zahlen müssen stimmen. „Mehr operieren“ heiße es oft unter vier Augen, sagt Fallpauschalenkritiker Paul Brandenburg. „Da sind deine Zahlen, da musst du hin“ sei das Credo.

Mit Grafiken wird das anschaulich gemacht. Gehring und Bremer zeigen, dass in Dresden 17 Prozent der Kinder per Kaiserschnitt zur Welt kommen. In der Pfalz muss sogar in bis zu 50 Prozent der Fälle künstlich nachgeholfen werden. Die Fallpauschale macht’s möglich. Denn für den Kaiserschnitt werden 3159 Euro fällig, für die normale Geburt aber nur 2277 Euro. Neu sind diese Zahlen nicht, aber immer noch interessant. Und mancherorts denkt man bereits wieder um: In Lindau sank die Kaiserschnittrate beispielsweise zuletzt um 20 Prozent.

Andere Krankheit, gleiches Beispiel. Bei der Entfernung von Rachenmandeln liegt laut einer kürzlich erschienen Studie die Klinik Schweinfurt ganz weit vorn. Hier wurden 108 von 10.000 Kindern die Mandeln entfernt. In anderen Kliniken verloren nur rund 20 Kinder ihre Mandeln.

Beim Operieren nur zahlenmäßig spitze

Die Probleme sind damit klar umrissen. Der Mensch wird zum Wirtschaftsfaktor, weil die Fallpauschale falsche Anreize schafft. Die Bettendichte, die nur Japan und Südkorea übertreffen, schafft ungesunden Wettbewerb. Und die Politik spart und gibt keine Leitlinien vor. Das Fazit der Filmemacherinnen: Durchbeißen werden sich die stärksten Krankenhäuser, aber nicht die besten.

Eine Lösung präsentieren Gehring und Bremer und ihre Experten leider nicht. Und diese ist auch so schnell nicht zu erwarten. Zwar liegen die Deutschen bei den Kosten ihres Gesundheitssystems auf Platz drei weltweit, doch bei der Qualität reicht es gerade mal für Platz 14.

Beim Operieren sind wir aber spitze. In keinem Land wird statistisch öfter das Messer angesetzt. Gesünder macht es die Deutschen aber nicht. Die Kliniken werden das Skalpell auch weiter bei den Kosten ansetzen müssen.

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