Wenn die Krise die Gesundheit kostet

Viele Italiener verzichten wegen finanzieller Engpässe auf die medizinische Versorgung. Im Gesundheitswesen zeigen sich Krisensymptome.

Romina Spina, Rom
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Viele Italiener verzichten wegen finanzieller Engpässe auf die medizinische Versorgung. Mitarbeitende eines Krankenhauses in Rom. (Bild: Giampiero Sposito / REUTERS)

Viele Italiener verzichten wegen finanzieller Engpässe auf die medizinische Versorgung. Mitarbeitende eines Krankenhauses in Rom. (Bild: Giampiero Sposito / REUTERS)

Steigende Kosten für Arztkonsultationen und wegen der Wirtschaftskrise verringerte Haushaltseinkommen bewirken, dass viele Italiener bei ihrer Gesundheit sparen. Das belegt eine Studie des Sozialforschungsinstituts Censis (Kasten). Nicht nur die medizinische Versorgung der Erwachsenen, sondern auch diejenige der Kinder wird vernachlässigt. Es sind vor allem zahnärztliche Behandlungen, die nicht mehr vorgenommen oder auf unbestimmte Frist aufgeschoben werden. Die Zahnarztkosten übernimmt nämlich der staatliche Gesundheitsdienst SSN in der Regel nicht.

Sparen bei den Kindern

Besorgniserregend ist zudem die Tatsache, dass krisengebeutelte Familien selbst dann auf den Arztbesuch verzichten, wenn es um das Wohlbefinden von Kleinkindern geht. Jüngst haben Kinderärzte an einer Fachtagung warnend darauf hingewiesen, dass sie bei Kleinkindern eine Zunahme von ansteckenden Krankheiten feststellten, die einerseits auf eine fehlende Frühdiagnose, anderseits auf einen Verzicht auf Impfungen zurückzuführen sei. Auch werde Kleinkindern immer häufiger ungeeignete Nahrung verabreicht, wie beispielsweise Kuhmilch bei Säuglingen als günstige Alternative zu Milchpulver, gaben die Ärzte zu bedenken. Sparmassnahmen im SSN gefährdeten zudem die Betreuung der unter chronischen Krankheiten leidenden Kinder.

Laut den jüngsten Daten des statistischen Amts werden zudem Lebensmitteleinkäufe zunehmend im Discountladen gemacht. Unausgewogene Ernährung kann indes zu gesundheitlichen Problemen wie Fettleibigkeit oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.

Ärzte helfen

Die steigende Unsicherheit infolge der Krise belastet zudem das psychische Wohlbefinden. Dazu gibt es zwar noch keine wissenschaftlichen Studien, doch Forscher des nationalen Instituts für Gesundheit erklärten kürzlich, dass die zunehmenden Fälle von Depression und Suizidversuchen eine Folge der schwierigen Wirtschaftslage sein dürften. Solches könne auch in den anderen Ländern Europas beobachtet werden, die von der Krise betroffen seien.

In vielen Städten werden jetzt medizinische Leistungen zu stark reduzierten Preisen angeboten. So bietet etwa der Zahnarzt Gianluca Nardone in seiner Römer Praxis Behandlungen zu günstigen Konditionen an. Er wolle damit Patienten in finanziellen Notlagen entgegenkommen, erklärt er. Viele nähmen sonst die regelmässigen Kontrollen nicht mehr vor.

Das Hilfswerk Emergency betreibt Gesundheitspraxen in Palermo auf Sizilien und in Marghera bei Venedig. Es sind Anlaufstellen für Menschen aus der ganzen Welt. Die Ärzte arbeiten ehrenamtlich, die Untersuchung ist kostenlos. Ursprünglich richtete sich das Angebot an Immigranten, doch zunehmend wenden sich auch Einheimische an die Organisation, offenbar weil sie sich den Arzt nicht mehr leisten können. Selbst in Marghera im reichen Nordosten ist mittlerweile jeder fünfte Patient ein Italiener. Ursprünglich war die gemeinnützige Organisation 1994 mit dem Ziel gegründet worden, weltweit ärztliche Hilfe für Kriegsopfer in Konfliktgebieten zu leisten. Seit 2006 ist sie nun auch in Italien im Einsatz.

Abstriche bei der Gesundheitsversorgung haben langfristig nicht nur für den Gesundheitszustand Einzelner negative Folgen, sondern gefährden auch den finanziellen Zustand des gesamten Gesundheitswesens. Wenn Krankheiten nicht mehr frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden, wenn Patienten erst dann ärztliche Hilfe suchen, wenn die Erkrankung bereits fortgeschritten oder chronisch ist, steigen die Gesamtkosten im ohnehin bereits hochverschuldeten Gesundheitswesen weiter an. Die Regierung des ehemaligen Ministerpräsidenten Monti erliess noch ein Dekret zur Begleichung der milliardenhohen Schulden von lokalen Gesundheitsbehörden gegenüber Privatunternehmen. Konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Lage hat das Gesundheitsministerium bisher nicht angekündigt.

Personalmangel in Spitälern

In vielen Regionen droht der SSN immer wieder zu kollabieren. Wegen des Geldmangels im Gesundheitswesen ist das Personal drastisch zurückgegangen; pensionierte Ärzte und Krankenpfleger werden oft nicht ersetzt. Wo neues Personal eingestellt wird, muss sich dieses in der Regel mit befristeten Arbeitsverträgen zufriedengeben. In Spitälern werden ganze Abteilungen geschlossen, weil das Geld für Renovationen sowie für den Unterhalt der Apparate fehlt.