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Rüge vom Versicherungsamt Jede zweite Kasse soll bei Krankheiten schummeln

Zahlreiche Krankenkassen geraten laut einem Zeitungsbericht ins Visier des Bundesversicherungsamts. Der Verdacht: Die Versicherer sollen bei den Krankheiten ihrer Mitglieder übertreiben. Eine Kasse habe bei Herzinfarkten einen Anstieg von 280 Prozent gemeldet.
Krankenschwester: Unregelmäßigkeiten bei vielen Kassen

Krankenschwester: Unregelmäßigkeiten bei vielen Kassen

Foto: Sebastian Widmann/ picture alliance / dpa

Berlin - Etwa jede zweite Krankenkasse in Deutschland steht offenbar im Verdacht, die Krankheiten ihrer Versicherten unkorrekt zu melden. Das geht laut "Rheinischer Post"  aus einem Schreiben des Bundesversicherungsamts an den Spitzenverband der Krankenkassen hervor. Demnach entdeckten die Beamten bei insgesamt 59 von derzeit 134 Krankenkassen Auffälligkeiten. Die Behörde fordere eine Erklärung.

So müsse eine BKK plausibel machen, warum in einem Jahr die Zahl der Herzinfarkte bei ihren Versicherten um mehr als 280 Prozent gestiegen sei. Zum Vergleich: Bei allen Kassen zusammen habe die Zahl um weniger als ein Prozent zugelegt. Eine Ersatzkasse habe bei Hautgeschwüren ein Plus von mehr als 30 Prozent gemeldet. Im gesamten Kassensystem seien Fälle mit diesem Krankheitsbild um gerade einmal 1,5 Prozent gestiegen.

Für die Kassen lohnt es sich, wenn ihre Versicherten in der Statistik schlimmere Krankheiten haben, als dies tatsächlich der Fall ist. Wie viel Geld die Versicherer aus dem Gesundheitsfonds erhalten, hängt vom Alter und Gesundheitszustand ihrer Mitglieder ab. Laut "Rheinischer Post" haben die Prüfer Betriebskrankenkassen, eine AOK, eine IKK und eine Ersatzkasse ins Visier genommen.

Den betroffenen Kassen drohen der Zeitung zufolge finanzielle Sanktionen: Sollte es ihnen nicht gelingen, die erheblichen Abweichungen vom Durchschnitt der Krankheitsbilder zu erklären, könne das Bundesversicherungsamt den Kassen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds kürzen.

Kassen sparen bei der Vorsorge

Bereits in der vergangenen Woche hatte das Versicherungsamt die Kassen gerügt. Der Vorwurf: Viele Kassen diskriminieren ältere und kranke Versicherte. Sie verweigern Leistungen und versuchen, teure Mitglieder hinauszudrängen. Scharfe Kritik übt die Behörde auch an der systematischen "Risikoselektion" bei der Anwerbung von Versicherten. So habe eine Reihe von Krankenkassen mit ihrem Vertrieb Vereinbarungen mit dem Ziel abgeschlossen, vorrangig einkommensstarke und gesunde Versicherte zu werben.

Nach SPIEGEL-Informationen sparen die Kassen zudem ausgerechnet bei der Vorsorge. Von 2008 bis 2012 kürzten sie die Ausgaben für Anti-Stress-Maßnahmen und Gesundheitsförderung um 30 Prozent auf durchschnittlich 3,41 Euro pro Versicherten und Jahr. Damit lagen sie nur noch knapp über der gesetzlichen Richtmarke von 2,94 Euro.

Von den Kürzungen betroffen seien vor allem "Individualmaßnahmen (Kurse)" für die Versicherten, heißt es in einem internen Vermerk des Gesundheitsministeriums. Dazu zählen etwa Wirbelsäulengymnastik oder Burnout-Prävention. Die Zahlen sind politisch brisant. Nach dem geplanten Präventionsgesetz sollen die Kassen künftig eigentlich mehr Geld ausgeben, um Krankheiten zu vermeiden.

cte/dpa
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