Wirtschaftsfaktor Krankheit : Gesundheits-Verwaltung so groß wie Lübeck
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Verwaltungsstadt: Lübecks Einwohner decken sich mit den Beschäftigten der Gesundheitsbürokratie Bild: Denzel, Jesco
Allein die Verwaltung des Gesundheitswesens beschäftigt 210.000 Leute - ungefähr so viele Einwohner hat Lübeck. In der ganzen Branche sind es fast 5 Millionen, die mit und am Patienten ihr Geld verdienen.
Mit der Steuerung und Verwaltung des deutschen Gesundheitssystems sind an die 210.000 Menschen befasst, davon mehr als 1000 allein auf Bundesebene in Berlin – ohne die 250 Berliner Mitarbeiter des Bundesgesundheitsministeriums. Das geht aus Daten des Statistischen Bundesamtes über die bei Kassen und Krankenversicherungen Beschäftigten sowie bisher nicht erhobenen Daten aus der Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser hervor, die diese Zeitung ermittelt hat.
Damit entspricht die Zahl derjenigen, die sich in erster Linie mit der Verwaltung des Gesundheitssystems beschäftigen, etwa der Zahl der Einwohner Lübecks (nach eigenen Angaben 213.368 im vergangenen Jahr). Gemessen an den inzwischen mehr als 5 Millionen Menschen, die in Deutschland mit und am Patienten ihr Geld verdienen, ist das nicht viel, etwas mehr als 4 Prozent. Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes kennt beeindruckendere Zahlen: 294 Milliarden Euro wurden im vorvergangenen Jahr im Gesundheitswesen ausgegeben.
Ist der Personalabbau zu zaghaft ausgefallen?
4,92 Millionen Menschen fanden dort eine Arbeit, die meisten in ambulanten Einrichtungen. 2,16 Millionen halfen in Arztpraxen, Apotheken, im Gesundheitshandwerk, in Laboren oder ambulanten Pflegediensten. Fast 2 Millionen Arbeitsverhältnisse wurden in Krankenhäusern, Heimen oder Reha-Zentren gezählt. Mit 55.000 erreichte auch die Zahl der bei Rettungsdiensten Beschäftigten einen neuen Höchststand. In der Verwaltung wurden dagegen Stellen gestrichen. 196.000 Arbeitskräfte erhob das Statistische Bundesamt, die 2011 für die gesetzliche und die private Krankenversicherung arbeiteten.
Das sind 21.000 weniger als zehn Jahre zuvor. Die meisten, knapp 136.000, waren Ende 2012 bei einer Krankenkasse beschäftigt. Ihr Anteil fällt seit Jahren kontinuierlich. 2005 zählten die Kassen noch fast 145.000 Beschäftigte. Seither hat sich die Zahl der Kassen allerdings auf 134 halbiert, was die Frage aufwirft, ob der Personalabbau nicht zu zaghaft ausgefallen ist. Der genaue Blick in die Statistik zeigt auch, dass der Abbau vor allem auf Eigenbetriebe der Kassen zurückzuführen ist.
Im eigentlichen Verwaltungsgeschäft gab es nur wenig Veränderung. So hatten die Allgemeinen Ortskrankenkassen 2012 fast 55.700 Beschäftigte. Die den AOK an Mitgliedern und Versicherten leicht überlegenen Ersatzkassen zählten 43.500. Rechnerisch betreut ein AOK-Mitarbeiter damit 327 Mitglieder, sein Kollege von der Ersatzkasse 447. Beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung in Berlin arbeiten 375 Leute.
Nochmal mindestens 12.000 Beschäftigte in den Organisationen
Wie viele Menschen auf Seiten der Organisationen der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und des Gemeinsamen Bundesausschusses, des Kopfs der Gemeinsamen Selbstverwaltung, arbeiten, wird in der amtlichen Statistik nicht erfasst. Nach Recherchen dieser Zeitung kommen noch einmal mindestens 12.000 Beschäftige hinzu. Weil einige Befragte die Antwort verweigerten, andere ihre Personalzahlen in „Vollzeitäquivalenten“ statt in Kopfzahlen angaben, dürfte die Zahl der Beschäftigten um einiges höher liegen.
Sie ist in den vergangenen Jahren auf Seiten der „Leistungserbringer“ und Kammern sukzessive gestiegen. Das wird mit zusätzlichen Anforderungen durch den Gesetzgeber und nachweisbar steigenden Arztzahlen begründet. Es fehlt auch nie der Hinweis, die Ärztevereinigungen und Kammern finanzierten sich aus Geld der Ärzte – auch wenn die ihre Einnahmen letztlich aus Beiträgen der Versicherten erzielen. Einige Kassenärztliche Vereinigungen haben in den vergangenen 10 Jahren auch Personal abgebaut, die KV Niedersachsen um ein Drittel auf 622, die in Hessen um ein Viertel auf 600.
Die Zahlen könnten „leicht zu falschen Schlüssen leiten“
Unter dem Strich arbeiten mehr als 8.300 Leute in den 17 Kassenärztlichen Vereinigungen und ihrer 300 Köpfe zählenden Bundeszentrale KBV in Berlin. Rein rechnerisch betreut damit jeder KV-Beschäftigte 18 Kassenärzte. Auch bei den Kassenzahnärzten und ihrer knapp 100 Mann starken Bundesstelle, der KZBV, stehen bundesweit deutlich mehr als 1.000 Menschen in Lohn und Brot. Die Vereinigungen der Ärzte und Zahnärzte verhandeln mit den Kassen, rechnen Honorare ab, organisieren Notdienste.
Die Ärztekammern, die Standesvertretungen, in denen jeder approbierter Arzt Mitglied ist, kommen auf mehr als 1.400 Mitarbeiter, von denen 100 in der Berliner Bundeszentrale arbeiten. Die Bundeszahnärztekammer zählt aktuell 32 Mitarbeiter, mit den Landeskammern kommen noch einmal ein paar Dutzend hinzu.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft zählt in Berlin 70 Köpfe und kommt mit ihren Trägern in den Ländern auf mehr als 250 Beschäftigte. Der Gemeinsame Bundesausschuss und das ihm zugeordnete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen haben seit der Gründung im Jahr 2004 kräftig Personal aufgebaut: von 18 auf 276.
Nicht alle Kammern und Kassenärztlichen Vereinigungen – immerhin Körperschaften öffentlichen Rechts – waren bereit, Auskunft zu geben. Angaben verweigerten die Kassenärztevereinigungen Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland Pfalz sowie die Kammern Mecklenburg-Vorpommern und Hessen. Letztere begründete ihre Weigerung, Personalzahlen zu nennen, mit dem Hinweis, sie könnten „den uninformierten Leser leicht zu falschen Schlüssen leiten“.