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München Ärztetag

Streit um Krankenhaus-Schließungen in Bayern

Ein Krankenwagen vor der Notaufnahme der Uniklinik München. Für viele kleinere Kliniken sieht die finanzielle Situation düster aus. Ein Krankenwagen vor der Notaufnahme der Uniklinik München. Für viele kleinere Kliniken sieht die finanzielle Situation düster aus.
Ein Krankenwagen vor der Notaufnahme der Uniklinik München. Für viele kleinere Kliniken sieht die finanzielle Situation düster aus
Quelle: dpa/shp tmk
Allen Reformen zum Trotz schreibt jedes zweite Krankenhaus in Bayern Verluste. Viele sind deshalb von der Schließung bedroht, warnt der Ärztetag. Die Krankenkassen mahnen Reformen an.

Es ist fast schon ein Ritual. Jedes Jahr aufs Neue klagen die Krankenhäuser über teils existenzbedrohende Verluste. Die Krankenkassen fordern die Schließung unrentabler Häuser. Auf der Strecke bleibt der Patient?

So einfach ist es nicht. Die Krankenhausfinanzierung gehört zu den komplexesten Materien in der ohnehin nicht einfachen Gesundheitspolitik. Ein Thema, das auch auf dem an diesem Wochenende in Bamberg stattfindenden Ärztetag eine Rolle spielt. Hält doch die Bayerische Landesärztekammer viele Kliniken im Freistaat für bedroht.

370 Krankenhäuser gibt es in Bayern. Knapp die Hälfte davon macht nach den Worten von Kammerpräsident Max Kaplan Verluste. „Gefährdet sind vor allem die kleineren Häuser mit weniger als 100 Betten“, warnt Kaplan.

Das liegt allerdings nicht daran, dass diese Kliniken schlechter wirtschaften als größere Häuser. Hohe Vorhaltekosten für Technik und Personal schlagen vor allem in der Akutversorgung zu Buche. „Bei einer geringeren Patientenzahl erhöhen diese deutlich die Kosten pro Fall“, so der Kammer-Chef, „darunter leidet dann die Wirtschaftlichkeit.“

Schließungen scheinen unausweichlich

Doch ohne ökonomisches Denken geht es nicht. Der Kammerpräsident fordert von den Krankenhäusern Eigeninitiative.

Die Akutversorgung müsse zwar gewährleistet werden, aber darüber hinaus müssten sich insbesondere die kleineren Kliniken spezialisieren und Schwerpunkte setzen. „Wir brauchen einen Verbund von Krankenhäusern mit einer übergreifenden stationären und ambulanten Versorgung der Patienten.“

Ein Allheilmittel ist das nicht. Erst vor wenigen Monaten schloss der Klinikverbund Ostallgäu zwei seiner fünf Häuser. Allein im Jahr 2012 belasteten Verluste in Höhe von zwölf Millionen Euro Kreiskommunen und Landkreis, obwohl sich die Häuser in Kaufbeuren, Obergünzburg, Marktoberndorf, Buchloe und Füssen zu einem Verbund zusammengeschlossen hatten.

Für 2013 rechnete Klinikchef Philipp Ostwald sogar mit einem Defizit von rund 14 Millionen Euro. Das bedeutete die Schließung der Kliniken in Marktoberndorf und Obergünzburg.

Ob das an der geringen Auslastungsquote der Betten im Klinikverbund Ostallgäu von lediglich 60 Prozent etwas ändert, ist fraglich. „Überkapazitäten abbauen“, fordern die Krankenkassen.

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Das bedeutet: Stehen viele Betten leer, müssen die Kliniken geschlossen werden. Es bedeutet aber auch: Patienten müssen weiter fahren, bis sie ins nächste Krankenhaus kommen. Ein Problem, das in erster Linie ländliche Regionen betrifft.

Schwieriger Kompromiss

Es geht um die wohnortnahe medizinische Versorgungssicherheit. Noch muss im Freistaat niemand länger als 25 Minuten fahren, um ins nächste Krankenhaus zu kommen.

„Wir haben einen besonderen Auftrag, nämlich die Versorgung von kranken und verletzten Menschen“, sagte Siegfried Hasenbein, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. „Kliniken sind etwas anderes als die Automobilindustrie.“

Welche Krankenhäuser wo notwendig sind, wird nach Ansicht von Experten in den kommenden Jahren die zentrale Frage sein. Krankenkassen, Kliniken und Politik stecken in einem Dilemma. Sie müssen einen Kompromiss finden, zwischen Versorgungssicherheit und wirtschaftlichen Anforderungen.

„Das ökonomische Denken soll dazu beitragen, eine wohnortnahe medizinische Versorgung zu gewährleisten“, sagt der Ärztekammerpräsident. „Es darf nicht sein, dass die Ökonomie darüber steht.“

Während Kassen und Kliniken ungeduldig drauf warten, mit welcher Bundesregierung sie diese Zukunftsfrage klären, sind sich beide Seiten jetzt schon einig: Eine Strukturreform muss her. Immerhin sind die Prinzipien der deutschen Krankenhaus-Finanzierung bereits 40 Jahre alt.

Es ist ein duales System: Die Krankenkassen finanzieren die Betriebskosten, die Länder die Investitionskosten der Kliniken.

Kosten steigen

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Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, GKV, sieht Handlungsbedarf. Vor wenigen Tagen forderte die GKV eine einschneidende Krankenhausreform. „Umstrukturierungshilfen für Krankenhäuser, die für eine gute Versorgung nicht mehr notwendig sind, dürfen kein Tabu sein“, sagte der Vize-Vorstandschef Johann-Magnus von Stackelberg.

Gemeint ist: Krankenhäuser, die schlechte Qualität bieten, schließen. Um die Kliniken in Deutschland finanziell zu entlasten, hatte die Bundesregierung im Frühjahr ein Hilfspaket in Höhe von 1,1 Milliarden Euro für dieses und das kommende Jahr beschlossen. Seit September laufen die Auszahlungen. Nach Ansicht des BKG-Geschäftsführers eine Hilfe, aber keine Lösung des Problems.

Das Problem besteht laut den Kliniken in den externen Kosten, die die Häuser stemmen müssen, auf die sie aber keinen Einfluss haben. Tariflöhne für das Personal, Haftpflichtkosten und Energiepreise entschwinden den Budgets. Allein die Personalkosten seien zuletzt um drei bis fünf Prozent gestiegen, so Hasenbein.

Das Budget der Krankenhäuser erhöhte sich 2012 um nur 1,48 Prozent – gesetzlich geregelt und orientiert an den Einnahmen der Kassen.

Auch andere Bundesländern haben Probleme

„Die Kassen müssen mit jedem Krankenhaus zusammenarbeiten, auch wenn es unterdurchschnittliche Leistung liefert“, kontert Ann Marini, stellvertretende GKV-Sprecherin, und fordert: „Die Qualität sollte bei der Vergütung eine größere Rolle spielen.“

In der Krankenhausgesetzgebung gehe es nicht nur um die medizinische Versorgung der Bevölkerung, so die Sprecherin, sondern häufig um regionale arbeitsmarkt- und standortpolitische Faktoren.

Von einer chronischen Unterfinanzierung der Kliniken will die GKV nichts wissen. „Bundesweit schreibt die Mehrheit der Krankenhäuser schwarze Zahlen“, versichert Marini. Wirtschaften also nur die Bayern so schlecht?

Nein, versichert BKG-Geschäftsführer Hasenbein, in Flächenländern wie Baden-Württemberg oder Niedersachsen sei die Situation ähnlich wie im Freistaat. „Rund ein Fünftel der Häuser macht zwar keinen Verlust, fährt aber lediglich eine schwarze Null ein“, sagt der Geschäftsführer. „Es muss doch jedem klar sein, dass da etwas nicht stimmt.“

Die Tendenz scheint eindeutig: 2010 klagten nur 20 Prozent der Krankenhäuser über Verluste, im Jahr darauf bereits 39 Prozent, für 2012 waren es 47 Prozent der Häuser in Bayern.

Gegenbeispiel: Starnberg

Gestritten wird also einerseits ganz konkret ums Geld, andererseits um strukturelle Probleme. Wie sollen sich künftig die Krankenhäuser finanzieren, um nicht jedes Jahr nach Hilfe zu rufen? Welche Infrastruktur ist nötig, um die medizinische Versorgung der Menschen zu sichern?

Dabei geht es um Krankenhausverbünde und Schwerpunktbildung, um medizinische Versorgungszentren und mehr ambulante Angebote kleinerer Krankenhäuser sowie Bereitschaftsdienstpraxen und die Rettungsdienste.

Es gibt aber auch Lichtblicke, Kliniken in kommunaler Trägerschaft, die erfolgreich sind, so wie in Starnberg. Das dortige Kreiskrankenhaus erwirtschaftete im vergangenen Jahr eine Umsatzrendite von sechs Prozent. „Wir können uns länger über Wasser halten als andere“, erklärt Klinikchef Thomas Weiler. „Aber nur weil wir weiter oben schwimmen. Die Klagen sind mehr als berechtigt.“

Ein ausgewähltes medizinisches Angebot und mehr Patienten sorgen für den positiven Trend und für 20 neue Arbeitsstellen im Klinikum. Und das, obwohl die Starnberger Klinik im vergangenen Jahr das defizitäre Krankenhaus in Penzberg übernommen hat.

„Wir konzentrieren uns auf das, was wir besonders gut können, und bieten das in höchster Qualität, medizinisch und wirtschaftlich“, formuliert Weiler sein Erfolgsrezept. Hört sich eigentlich ganz einfach an.

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