Intensivstationen (ITS) sind der Bereich der stationären Krankenversorgung, der aufgrund des hohen Technisierungsgrads die umfassendste Realisierung einer papierlosen elektronischen Krankenakte erlaubt. Den Berichten über Vorteile, die mit der Implementierung eines Patientendatenmanagementsystems (PDMS) verbunden sind, stehen aber auch kritische Stimmen gegenüber. Die Kosten-Nutzen-Bewertung solcher Informationssysteme ist daher von grundlegendem Interesse.

Hintergrund und Fragestellung

Elektronische Informationssysteme haben das Potenzial, die Nachteile traditioneller papierbasierter Dokumentation wie umständliche Dokumentensuche, mangelnde Simultanzugriffsmöglichkeiten, Redundanz und Ineffektivität zu vermeiden [30]. Mittlerweile existiert eine Vielzahl von Studien zu EDV-Systemen in der Medizin, die sich in der Mehrzahl allerdings auf die positiven Effekte sogenannter entscheidungsunterstützender Systeme („clinical decision support systems“, CDSS) mit aktiven Warnhinweisen oder Erinnerungsfunktionen beziehen [9, 32, 33, 34]. Dagegen sind aktuelle Untersuchungen, die speziell Qualität, Umfang oder Vollständigkeit der Dokumentation bewerten, wesentlich seltener [6, 10, 23, 31]. Im Hinblick auf ökonomische Auswertungen einer verbesserten Dokumentation berichteten Fahy u. Ketzler [10] über einen signifikanten Anstieg der Zahl abgerechneter Patienten nach Einführung eines „personal digital assistant“ (PDA) für die digitalisierte Dokumentation. Andere Untersuchungen der ökonomischen Effekte von elektronischen Informationssystemen in der Medizin beruhen oft auf geschätzten oder hochgerechneten Einsparungen [1, 28, 33].

Intensivstationen (ITS) sind der Bereich der stationären Krankenversorgung, der aufgrund des hohen Technisierungsgrads die umfassendste Realisierung einer papierlosen elektronischen Krankenakte erlaubt. Patientendatenmanagementsysteme (PDMS) ermöglichen die Erfassung von Beatmungszeiten, beginnend mit der digitalen Datenübernahme vom Beatmungsgerät über die automatisierte Berechnung summierter Beatmungszeiten bis hin zur EDV-unterstützten Berechnung der korrekten, zu dokumentierenden Prozedur und Unterstützung der nachgeordneten „Diagnosis-Related-Groups“(DRG)-Dokumentation [26]. Hier zeichnet sich ein potenzieller Vorteil gegenüber der papierbasierten Beatmungsdokumentation ab, die auf 6 von 7 Intensivstationen in 22,7 % der Fälle zu fehlerhaften Gruppierungen führte [11].

Auf der anderen Seite stehen kritische Studien, die zeigen, dass ein ungünstig ausgelegtes elektronisches Informationssystem erhebliche Nachteile haben kann. Koppel et al. [18] ermittelten 22 Situationen in der stationären Versorgung, bei denen es durch die Einführung einer digital unterstützen Arzneiverordnung zu neuen Fehlern gekommen war. Han et al. [14] betrachteten retrospektiv die Sterblichkeit einer pädiatrischen Intensivstation und konnten nach Systemeinführung eine signifikante Erhöhung feststellen, allerdings ohne diesen Effekt kausal dem eingeführten System zuzuordnen.

In einer früheren Studie der Autoren dieses Beitrags konnte gezeigt werden, dass bei Einführung eines PDMS auf der operativen ITS eines Universitätsklinikums nur geringe Auswirkungen auf die rein ökonomischen Parameter dieser ITS beobachtet werden konnten [8]. Das Ziel der vorliegenden Studie war, über einen erweiterten Studienzeitraum zu untersuchen, ob sich im Verlauf der Einführung des PDMS Parameter wie erfasste Beatmungszeiten und deren Abrechnung, Score-Punkte und das Outcome (Mortalität) messbar ändern. Hierzu wurden folgende Fragestellungen formuliert:

  • Wie entwickeln sich diverse Qualitätsparameter vor und nach Einführung eines PDMS?

  • Spiegeln sich Änderungen der genannten Parameter in der Erlössituation wider?

Grundlagen

In dem im Rahmen dieser Studie betrachteten Klinikum wurde Ende 2006 ein kommerzielles PDMS auf einer ITS eingeführt [7]. Die Inbetriebnahme erfolgte schrittweise ab Oktober 2006 mit Vollbetrieb ab Dezember 2006.

Vor der Einführung des PDMS erfolgte die medizinische Dokumentation sämtlicher behandlungsrelevanter Informationen in einer Papierakte. Daneben existierten einzelne EDV-Anwendungen für spezielle Aufgaben wie Labor- und radiologische Untersuchungen, aber auch für das intensivmedizinische Scoring. Die Abrechnung wurde von einem medizinischen Dokumentar durch manuelle Eintragung der Daten in ein zentrales abrechnendes EDV-System vorgenommen.

Nach PDMS-Einführung wurden alle vorher verwendeten Formulare und EDV-Speziallösungen abgelöst und zusammengeführt. Die intensivmedizinische Krankenakte wird seitdem an bettseitigen Arbeitsplätzen papierlos von allen beteiligten Berufsgruppen direkt im PDMS geführt. Das PDMS übernimmt automatisch Daten aus den Medizingeräten (Monitore, Beatmungs-, Dialysegeräte, Blutgasanalysatoren etc.). Diese Daten werden in regelmäßigen Zeitabständen durch das medizinische Personal validiert. Aus den validierten Daten können intensivmedizinische Scores, insbesondere der für die DRG-Abrechnung relevante Simplified Acute Physiology Score (SAPS) II und Werte im Therapeutic Intervention Scoring System (TISS) 10, per Knopfdruck im PDMS halbautomatisch erzeugt und summiert werden.

In einem „DRG-Arbeitsplatz“ des PDMS wird die abrechnungsrelevante Codierung unterstützt. Hier können bereits in Voraufenthalten erzeugte Diagnosen und Prozeduren aus dem abrechnenden System übernommen werden. Das PDMS schlägt dem codierenden Mitarbeiter Diagnosen und Prozeduren anhand der dokumentierten Maßnahmen vor. Des Weiteren kann die Vollständigkeit der Dokumentation – beispielsweise der täglich zu erhebenden Scores – sehr schnell überprüft werden. Die Daten werden bei Fallabschluss verlustfrei elektronisch per Schnittstelle an das abrechnende System übertragen. Dabei werden Einzelepisoden der Beatmung und die Tagessumme der intensivmedizinischen Komplexbehandlungspunkte übermittelt, sodass auch bei mehreren Intensivaufenthalten im abrechnungsführenden System eine korrekte Gesamtsumme errechnet werden kann. Zudem wurden in Eigenarbeit einige entscheidungsunterstützende Funktionen mit Schwerpunkt Unterstützung der Abrechnungsdokumentation entwickelt [19].

Das PDMS unterstützt ferner eine elektronische Auftragskommunikation, beispielsweise für die Medikationsanordnung und -gabe, zwischen Ärzten und weiterem medizinischen Personal, wie auch von Han et al. [14] beschrieben.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Für die hier durchgeführten Auswertungen wurden alle stationären Aufenthalte auf der ITS im Zeitraum 2004–2011 einbezogen. Überlieger, Wiederaufnahmen, Auslandsfälle und DRG mit krankenhausindividuellen Erlösen wurden von der Auswertung ausgeschlossen.

Da in der vorliegenden Auswertung explizit Effekte gesucht wurden, die auf die Einführung eines PDMS zurückzuführen sind, wurden Parameter gewählt, auf die sich die veränderte Dokumentation potenziell auswirken kann. Hauptkriterium für die Auswahl der Parameter war eine vollständige, verlässliche, qualitativ hochwertige und reproduzierbare Verfügbarkeit über den gesamten Zeitraum, d. h. auch für die Zeiten vor der PDMS-basierten elektronischen Krankenakte. Dies traf auf die folgenden hier ausgewerteten Parameter zu:

  • Zahl abgerechneter DRG („Fallzahl“),

  • „case mix“ (CM), „case mix index“ (CMI),

  • Belegungstage,

  • Beatmungsdauer,

  • Zahl codierter ICD-Diagnosen mit und ohne CCL-Relevanz,

  • Zahl codierter Prozeduren,

  • Zahl codierter OPS-Prozeduren aus dem Bereich des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) 8-980 intensivmedizinische Komplexbehandlung,

  • Zahl abgerechneter Beatmungs-DRG,

  • Mortalität,

  • Kosten,

  • Erlöse einschließlich Zusatzentgelte.

Kosten wurden dem jährlichen, nach Kostenarten untergliederten Bericht der ITS-Kostenstelle entnommen. Erlöse wurden aus den Controlling-Berichten ermittelt. Sie umfassen die DRG-Erlöse für direkt von ITS entlassene Fälle abzüglich Anteile des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) anderer Kostenbereiche, Zuflüsse aus InEK-Anteilen der Intensivbehandlung bei hausintern verlegten Patienten sowie die Zusatzentgelte (ZE) für Blutprodukte, Nierenersatzverfahren etc.

Die angegebene Fallzahl entspricht der Zahl abgerechneter DRG, sodass Patienten mit mehreren ITS-Behandlungsepisoden, für die nur eine DRG abgerechnet wurde, einfach gezählt werden. Die Zahl codierter Diagnosen und Prozeduren wurde ebenfalls aus standardisierten Controlling-Berichten entnommen. Zusätzlich wurden die Mortalität auf der Intensivstation sowie die Mortalität der Intensivbehandlungspatienten im Krankenhaus ausgewertet und auf den CM bzw. CMI nach dem deutschen DRG-System normiert.

Alle Datenbankabfragen wurden zum Auswertungszeitpunkt für den gesamten Zeitraum ausgeführt, um identische Auswertungsbedingungen zu erzielen und Variationen in den Daten zu eliminieren.

Die dargestellten Kosten und Erlöse sind kalkulatorische Größen, da die Intensivmedizin in Interaktion mit anderen Krankenhausbereichen wie OP, Normalstation oder Laboren steht und daher Kosten sowie Erlöse nicht immer scharf getrennt werden können. Es lassen sich daraus keine kaufmännischen Gewinne oder Verluste ableiten, auch wenn diese Begriffe vereinfachend verwendet werden.

Die statistische Auswertung erfolgte überwiegend deskriptiv; wichtige Verläufe wurden zusätzlich grafisch dargestellt. Für die wesentlichen Parameter wurde das 95 %-Konfidenzintervall berechnet und in den grafischen Verläufen mitdargestellt. Die Veränderungen zwischen 2006 und 2007 (vor der PDMS-Einführung vs. nach der Einführung) wurden mit dem χ2-Test auf Signifikanz getestet und die jeweiligen p-Werte angegeben; p-Werte ≤ 0,05 wurden als signifikant bewertet.

Ergebnisse

Grundparameter Fallzahlen, Belegungstage und Case mix

Fallzahlen, Verweildauer, Belegungstage, CM und CMI werden in Tab. 1 dargestellt. Fallzahl und Belegungstage sind nach einem initialen Abfall zwischen 2007 und 2009 kontinuierlich gestiegen, danach wieder leicht gefallen, während die Verweildauer um etwa 20 % gefallen ist und zuletzt wieder leicht ansteigt. Der gemittelte CM steigt von 9354 vor PDMS auf 12.048, der CMI von 5,34 auf 6,14.

Tab. 1 Entwicklung der Fallzahl, Belegungstage, Verweildauer, „case mix“ (CM), „case mix index (CMI) 2004–2011

Beatmungsstunden und Beatmungs-DRG

In Tab. 2 ist die Entwicklung der im abrechnungsführenden System dokumentierten Beatmungsstunden zusammengefasst. Des Weiteren werden die Zahl der abgerechneten DRG und die Zahl der Beatmungs-DRG dargestellt.

Die über die Jahre gemittelten abrechenbaren Beatmungsstunden steigen von 80.823 vor PDMS auf 88.305 h nach PDMS (Tab. 2, Zeile 1 gemittelt). Die Entwicklung der Kosten, Erlöse pro Belegungstag und Beatmungsstunde ist in Abb. 2 dargestellt. Es zeigt sich eine parallele Entwicklung der Kosten und Erlöse; die Differenz bleibt konstant. Zwischen 2006 und 2007 findet sich ein geringfügiger nichtsignifikanter Anstieg der Beatmungs-DRG von 11,3 auf 12,1 % (p = 0,48; Tab. 2 Zeile 4).

Tab. 2 Entwicklung der Fallzahl, Belegungstage, Verweildauer, „case mix“ (CM), „case mix index“ (CMI) 2004–2011

Kosten und Erlöse

In Tab. 3 sind der Gesamterlös der ITS ohne Zusatzentgelte (Zeile 1), die Zusatzentgelte (Zeile 2) und die Summe aus beiden (Zeile 3) aufgeführt. Da sich ökonomische Auswirkungen einer verbesserten Dokumentation nach Einschätzung der Autoren v. a. im Bereich der Zusatzentgelte spiegeln können (z. B. durch vollständigere Erfassung und Abrechnung von Blutprodukten, zusatzentgeltfähigen Medikamenten etc.), wurden diese gesondert ausgewertet und dargestellt. In den folgenden Zeilen sind die Kosten, der Erlös und die Differenz aus beidem – also der „Gewinn“ – für jede Bezugsgröße aufgeführt.

Die Auswirkungen auf den Gesamterlös und die Gesamtkosten der Intensivstation wurden bereits gesondert betrachtet [8]. Hier zeigten sich nur geringe Effekte zwischen 2006 und 2007, die eine Amortisation des Systems nicht ermöglichen. Dies bestätigt sich auch bei näherer Betrachtung im Verhältnis zu den Bezugsgrößen Belegungstage (Abb. 1) und Beatmungsstunden (Abb. 2). Der Gewinn pro Belegungstag, pro Fall und pro Beatmungsstunde steigt zwar, der Anstieg ist jedoch gering und schwankt in den folgenden Jahren erheblich.

Tab. 3 Entwicklung von Kosten, Erlösen und Gewinn pro Bezugsgröße [Fall, Belegungstag, Beatmungsstunde, „Case-mix“-(CM)Punkt] 2004–2011
Abb. 1
figure 1

Entwicklung der Kosten pro Belegungstag, Erlös pro Belegungstag, Differenz zwischen Kosten und Erlös pro Belegungstag (2011, vorläufige Zahlen)

Abb. 2
figure 2

Entwicklung der Kosten pro Beatmungsstunde, Erlös pro Beatmungsstunde, Differenz zwischen Kosten und Erlös pro Beatmungsstunde (2011, vorläufige Zahlen)

Zusatzentgelte

Eine verbesserte Dokumentationsqualität – z. B. vollständigere Erfassung und Abrechnung von Blutprodukten, zusatzentgeltfähigen Medikamenten, Organersatzverfahren – müsste sich auch in den erzielten Zusatzentgelten zeigen. Diese sind in Tab. 3 Zeile 2 angegeben. Die erhebliche Steigerung von 2004 bis 2006 (vor PDMS-Einführung) ist überwiegend auf die neu in Eigenleistung auf der ITS durchgeführten Nierenersatzverfahren zurückzuführen. Danach ändern sich die Zusatzentgelte nur wenig und schwanken um EUR 1,25 Mio./Jahr. Die PDMS-Einführung 2007 ist von einem Sinken (EUR 1.273.024 auf EUR 1.210.576) begleitet; erst ab 2008 wird wieder das Ausgangsniveau erreicht.

Diagnosen, Prozeduren, intensivmedizinische Komplexbehandlung

Als indirekte Parameter zur Messung der Dokumentationsqualität wurde die Zahl codierter Diagnosen und Prozeduren, deren Erlös- bzw. CCL-Relevanz (Tab. 4) sowie der detaillierte Codierungsverlauf des OPS-Codes 8-980 intensivmedizinische Komplexbehandlung (Tab. 5) ausgewertet. Letzterer dient – wie bereits geschildert – als Surrogatparameter für die tatsächlich erhobenen Punktwerte der intensivmedizinischen Komplexbehandlung.

Tab. 4 Entwicklung der Parameter Zahl codierter Diagnosen und Prozeduren insgesamt und mit Erlösrelevanz 2004–2011

Die Gesamtzahl codierter Diagnosen pro Fall steigt von 17,8 auf 21,2 bis 2010 (Tab. 4, Zeile 2). Von 2006 auf 2007 ergibt sich eine Zunahme von 18,7 auf 20,5. Auffallend ist, dass die Zahl der von der ITS codierten Diagnosen fast kontinuierlich von 4,5 auf 7,1 zunimmt und von 2006 auf 2007 von 5,5 auf 6,3 signifikant ansteigt (p < 0,05; Tab. 4, Zeile 4). Dies spiegelt sich allerdings nicht in der Zahl der CCL-relevanten Diagnosen, die über den gesamten Zeitraum zwischen 5,8 und 7,1 schwankt und zwischen 2006 und 2007 sogar signifikant fällt (p < 0,05; Tab. 4, Zeile 3).

Die Gesamtzahl codierter Prozeduren pro Fall steigt über die Jahre fast kontinuierlich von 9,8 auf 13,8 an. Im Jahr 2006 werden 11,2 Prozeduren/Fall codiert, im Folgejahr 12,1 (p = 0,95; Tab. 4, Zeile 5). Die von der ITS codierten Prozeduren zeigen einen kontinuierlichen Anstieg zwischen 2004 und 2007 auf 4,5, danach fallen sie bis auf 2,9 Prozeduren/Fall (2011, vorläufige Zahlen). Während der PDMS-Einführung ändern sie sich nur gering von 4,2 auf 4,5 (Tab. 4, Zeile 6).

Der OPS-Code 8-980 basiert auf der täglichen Codierung der Scores SAPS II sowie TISS 10 und wurde ab 2005 erlösrelevant (Codes ≥ 8-980.2x; Tab. 5; Abb. 3). Weder erlösrelevante noch nichterlösrelevante 8-980 Codes ändern sich bei PDMS-Einführung signifikant, auch nicht bei Bezug auf die Fälle.

Die Zahl aller codierten 8-980er-Prozeduren steigt von 751 im Jahr 2006 auf 803 im Jahr 2007 (p = 0,06; Tab. 5 Zeile 13). Der Anteil erlösrelevanter Prozeduren fällt dabei von 154 (2006) auf 137 (2007) nicht signifikant (p = 0,35; Tab. 5 Zeile 12).

Tab. 5 Entwicklung der Zahl codierter OPS-Codes der Gruppe 8-980.xx (intensivmedizinische Komplexbehandlung) von 2004 bis 2011
Abb. 3
figure 3

Entwicklung der Codierung der Prozedur 8-980.xx intensivmedizinische Komplexbehandlung 2005–2011. Die Zahl Prozeduren mit Erlösrelevanz/Fall (Tab. 5, Zeile 15) wurde zur besseren grafischen Darstellung mit 100 multipliziert (2011, vorläufige Zahlen)

Mortalität

Es fällt auf, dass nach PDMS-Einführung die ITS-Mortalität nichtsignifikant von 7,4 auf 8,5 % (p = 0,29; Tab. 6, Zeile 3; Abb. 4) und die Krankenhausmortalität der von der ITS verlegten Patienten von 2,5 auf 3,5 % anstieg (p = 0,10; Tab. 6, Zeile 5). In den Jahren 2008 bis 2010 sank die ITS-Mortalität, um dann 2011 das erste Mal wieder anzusteigen. Die nichtsignifikante Krankenhausmortalität sank nur bis 2009, um dann erneut anzusteigen. Der beobachtete Anstieg der Mortalität 2006 auf 2007 bleibt abgeschwächt auch bei Normierung auf den CMI erhalten (Tab. 6, Zeilen 7 und 8).

Tab. 6 Entwicklung der Mortalität von 2004 bis 2011
Abb. 4
figure 4

Entwicklung der Mortalität der Patienten auf Intensivstation 2004–2011

Zusammenfassung der Ergebnisse

Es konnte gezeigt werden:

  • Das untersuchte Patientenkollektiv ändert sich über die Zeit, sichtbar an Fallzahl, CM und CMI.

  • Die absoluten Beatmungsstunden steigen ebenso wie die abgerechneten Beatmungs-DRG von 2006 auf 2007 etwa 10 % an (p = 0,48).

  • Normiert auf die Parameter Fallzahl, Belegungstage, Beatmungsdauer und CM-Punkte kann für den gesamten betrachteten Zeitraum – trotz leichter Gewinnsteigerungen von 2006 auf 2007 – ein monetärer Effekt weitgehend ausgeschlossen werden (Abb. 1, Abb. 2, grüne Säulen).

  • Zusatzentgelte steigen vor PDMS-Einführung; die PDMS-Einführung ist von einem Sinken begleitet.

  • Die Zahl codierter Diagnosen steigt von 2006 auf 2007, dabei fällt der Anteil mit CCL-Relevanz signifikant (p < 0,05).

  • Codierte Prozeduren pro Fall nehmen nicht signifikant zu, dabei wird nur ein kleiner (steigender) Anteil von der ITS selbst codiert.

  • Die Summe aller codierten Prozeduren der intensivmedizinischen Komplexbehandlung OPS 8-980 steigt (p = 0,06); der Anteil mit Erlösrelevanz fällt nicht signifikant.

  • Das Maximum der erlösrelevanten Prozeduren lag 2006, also vor PDMS-Einführung, und fällt nach PDMS-Einführung ab. Die nichterlösrelevanten steigen bis 2010 kontinuierlich.

  • Die Mortalität steigt von 2006 auf 2007 nicht signifikant.

Diskussion

Methodendiskussion

Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf der Frage, ob durch die Einführung einer digitalen Intensivkrankenakte in einem PDMS eine vollständigere Dokumentation erzielt werden kann und ob sich diese auf abrechnungsrelevante Parameter auswirkt. Die Auswirkung bestimmter „intelligenter“ wissensbasierter Funktionen wie von Chaudhry et al. [9], Kaushal et al. [17] sowie Stürzlinger et al. [32] berichtet, steht nicht im Fokus dieser Studie. Wie bereits erwähnt, sind Aussagen zu Qualität, Umfang und Vollständigkeit der Dokumentation für andere Informationssysteme widersprüchlich. Einige Autoren berichten über bessere Vollständigkeit [6, 10, 31], die sich teilweise sogar abrechnungstechnisch auswirkt [10]. Bosman et al. [5] stellten eine signifikante Verkürzung der von Pflegekräften für die Dokumentation benötigten Zeit fest. Berger et al. [3] sowie Hendrickson u. Kovner [15] berichteten über weniger fehlende Daten bei Vorhandensein eines PDMS. Andere Autoren können (in einem anderen Umfeld) allerdings keine derartigen Verbesserungen erkennen [22].

Eine dieser Studie vergleichbare longitudinale Darstellung der möglichen Auswirkungen eines PDMS über mehrere Jahre hinweg vor und nach PDMS-Einführung ist den Autoren nicht bekannt. Das Vorgehen ermöglicht u. a. eine Betrachtung des monetären Effekts [8]. Die Schwäche der Methode besteht darin, dass gemessene positive Effekte nach Einführung des PDMS nicht notwendigerweise kausal auf das PDMS zurückzuführen sind.

Alle gemessenen Parameter wurden retrospektiv explorativ ausgewertet und unterliegen damit den typischen Problemen sowie Limitierungen eines solchen methodischen Ansatzes. Andererseits hat die retrospektive Betrachtung auch Vorteile; so können beispielsweise Verhaltensänderungen beobachteter Personen (sog. Hawthorne-Effekt) ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf eine mögliche Kausalität spielen Störfaktoren eine wichtige Rolle. Aufgrund des nichtexperimentellen Designs kann darüber nur indirekt über mitgeführte Drittvariablen eine Aussage getroffen werden. Dazu wurden die Parameter Fallzahl, Belegungstage, durchschnittliche Verweildauer und CMI mitgeführt. Diese Drittvariablen wurden auch zur Normierung (z. B. Kosten pro Fall oder CM-Punkt, Diagnosen oder Prozeduren pro Fall) eingesetzt und ermöglichen genauere Aussagen über systematische Trends.

Problematisch war es, Zielparameter und Drittvariablen zu finden, die sich in einem retrospektiven Ansatz zur Messung potenzieller PDMS-Effekte eignen. Benötigt werden Parameter, die einen glaubhaften Rückschluss auf eine verbesserte PDMS-basierte Dokumentation erlauben und gleichzeitig über einen langen Zeitraum vor und nach PDMS-Einführung in vergleichbarer Qualität, Konstanz und Vollzähligkeit verfügbar sind. Dies limitiert die Auswahl erheblich, und es mussten auch weniger ideale Variablen verwendet werden. So wurde die Zahl codierter Prozeduren der intensivmedizinischen Komplexbehandlung (OPS 8-980) als Surrogatparameter für die eigentlich besseren tatsächlichen SAPS-II- und TISS-Punktwerte eingesetzt. Qualitätsparameter, die mutmaßlich allein durch bessere Dokumentation im PDMS nicht kausal beeinflusst wurden, wie „Dauer bis zur Einleitung der Antibiotikatherapie bei Sepsisverdacht“ wurden bewusst nicht einbezogen. Solche Parameter sind mit einem PDMS v. a. dann beeinflussbar, wenn dafür gezielt wissensbasierte Unterstützungsfunktionen sowie Workflows implementiert wurden, und spielen daher im vorliegenden Fall keine Rolle. Zudem sind diese Daten aus der Zeit der papierbasierten Dokumentation oft nicht befriedigend nachvollziehbar.

Mit der hier vorgestellten longitudinalen Betrachtung wurde der Rückgriff auf hochgerechnete Effekte wie bei anderen Autoren [12, 16, 28, 33] vermieden und ein vergleichsweise breiter aufgestellter Ansatz als z. B. von Bates et al. [2], die sich nur auf einen potenziellen Effekt (hier Vermeidung von Arzneimittelgefährdungssituationen) beschränken, verfolgt. Daher kann die Methode trotz der dargestellten Nachteile, durchaus empfohlen werden, um eine explorative Aussage über real erzielte Effekte treffen zu können. Es sollten sich dann gezielte prospektive, nach Möglichkeit experimentelle Studiendesigns anschließen, um die gefundenen Auswirkungen zu bestätigen.

Ergebnisdiskussion

Andere Arbeiten zeigen positive Auswirkungen von PDMS auf die Dokumentationsqualität [3] oder diskutieren Zeitersparnis [5, 23]. Es konnte keine Quelle für abrechnungsrelevante finanzielle Auswirkungen eines PDMS gefunden werden, jedoch für positive ökonomische Auswirkungen von anderen elektronischen Systemen im intensivmedizinischen Umfeld [10]. Es gibt mehrere Untersuchungen zum Einfluss des PDMS auf die Mortalität [14, 20, 21]. Han et al. [14] zeigten eine signifikant gesteigerte Mortalität nach PDMS-Einführung auf einer pädiatrischen ITS. Sie führten dies u. a. auf verlängerte Reaktionszeiten bis zur ersten Durchführung der elektronischen Auftragskommunikation für Arzneiverordnungen zurück. Diese Arbeit wurde verständlicherweise viel diskutiert [21, 24]. Longhurst et al. [20] konnten – ebenso wie die Ergebnisse der vorliegenden Studie – keinen statistisch verwertbaren Einfluss auf die Mortalität nachweisen. Eine unmittelbare Kausalität des PDMS für eine erhöhte Mortalität ist aus retrospektiven Untersuchungen nicht abzuleiten.

Die gemessenen Grundparameter liegen im Bereich dessen, was auch Moerer et al. [25] 2003 für ein Krankenhaus der Maximalversorgung ermittelt haben. Die Kosten liegen im oberen Streubereich (ca. EUR 1250,- gegen EUR 923,-, Standardabweichung EUR ±300,-), während die Verweildauer (ca. 3,5 vs. 6 Tage) eher im unteren Streubereich angesiedelt ist. Die Mortalität ist niedriger (7 vs. 13 %). In der vorliegenden Untersuchung änderte sich das untersuchte Patientenkollektiv im Laufe der Jahre deutlich, wie an Verweildauer, Fallzahl und CMI ersichtlich wird. Eventuell wurden hier auch strukturelle oder organisatorische Veränderungen gemessen, die u. a. durch die jährlichen Anpassungen der intensivmedizinischen Abrechnung im DRG-System verursacht sind [13].

Aufgrund der vorgestellten Ergebnisse sind mögliche Auswirkungen des PDMS auf den Umfang und die Zahl dokumentierter Beatmungszeiten, Diagnosen oder Prozeduren nicht auszuschließen. Dies spricht dafür, dass die im PDMS gegebenen Möglichkeiten zur leichteren Dokumentation und Codierung genutzt werden und daher vollständiger codiert wird. Die Beatmungszeiten bieten im Hinblick auf die lückenlose elektronische Dokumentation das größte Potenzial, um PDMS-Auswirkungen zu zeigen [11]. Erstaunlicherweise zeigen die Ergebnisse, dass bestenfalls minimale Auswirkungen auf tatsächlich erlösrelevante Daten erzielt werden. Das heißt, die Vorteile einer möglicherweise verbesserten Dokumentation lassen sich nicht unbedingt als geldwerter Vorteil realisieren. Dies bestätigte sich auch auf organisatorischer Ebene – so wurde durch die Einführung der digitalen Leistungsdatenkommunikation zwischen PDMS und abrechnungsführendem System die Einsparung einer Dokumentationskraft erwartet. Dies ist bis heute jedoch nicht der Fall, allerdings haben sich die Arbeitsschwerpunkte des Mitarbeiters verändert. Heute kümmert er sich weniger um die mechanische Dokumentation, sondern um eine gute Dokumentationsqualität.

Andere Autoren fanden dagegen eine Zeitersparnis durch elektronische Dokumentation, die z. B. dazu führte, dass eine Pflegekraft pro Schicht 57 min mehr Zeit für die Pflege eines Patienten zur Verfügung hatte [35]. Zusätzlich konnten sie reduzierte Überstunden und daraus resultierende Einsparungen aufzeigen. Allerdings ist auch die Datenlage bezüglich der Zeitersparnis nicht eindeutig [23]. In einer Übersicht aus 2006 wird zu den ökonomischen Auswirkungen berichtet, dass nur wenige echte empirische Daten, aber dafür viele prädiktive Untersuchungen mit zahlreichen Annahmen und Schätzungen existieren [29]. Anscheinend sind der Funktionsumfang solcher Systeme und die Größe der Einrichtung entscheidend für den resultierenden Benefit. Auch werden häufig die Kosten für die Systemeinführung unterschätzt sowie der Aufwand für die Anpassung der Systeme und Prozesse nicht berücksichtigt. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass eine gewisse empirische Evidenz für positive ökonomische Auswirkungen solcher Systeme besteht. Auf der anderen Seite ist die Realisierung dieser Effekte abhängig vom Vergütungssystem, einer effektiven Implementierungsstrategie und fokussierten Anstrengungen zur Anpassung der Systeme an die lokalen Gegebenheiten.

Ähnlich wie bei anderen Autoren [4, 29] wird auch in der vorliegenden Studie eine Diskrepanz gesehen zwischen den Berichten positiver Effekte aus den bekannten Leuchtturmprojekten, häufig basierend auf individuell optimal angepassten oder selbst entwickelten klinischen Informationssystemen mit großem Umfang an elektronischer Entscheidungsunterstützung und den Standardanwendern, zu denen sich auch die Autoren zählen. Letztere setzen kommerzielle Systeme von der Stange mit einem geringen Umfang an Entscheidungsunterstützung ein und können oft die bei Erstgenannten berichteten Erfolge der EDV-Einführung nicht nachvollziehen.

Rein ökonomische Auswirkungen wurden bereits gesondert untersucht. Dabei zeigten sich – über einen Zeitraum von 3 Jahren vor und 3 Jahren nach PDMS-Einführung – nur geringe ökonomische Effekte. Die beobachteten monetären Effekte konnten nicht ausschließlich dem PDMS zugeordnet werden und waren in der Summe nicht ausreichend, um die erhebliche Anfangsinvestition ökonomisch zu rechtfertigen [8]. Dies steht in starkem Widerspruch zu den von vielen anderen Autoren angenommenen oder kalkulierten Erlösvorteilen [11, 12, 16, 28, 33]. Hier zeigt sich ein Phänomen, das durchaus als EDV-typisch bezeichnet werden kann: Die quantitative Zunahme der per EDV dokumentierten Informationen ist nicht immer mit einer Zunahme der inhaltlichen Qualität verbunden. Möglicherweise kann dieses Ergebnis auch dadurch erklärt werden, dass die beobachtete ITS bereits vorher gut strukturiert sowie organisiert war und die Einführung des PDMS daher weniger Auswirkungen auf die Effizienz der Dokumentationsabläufe hatte. Bei einer vorher weniger gut organisierten Station besteht dagegen die Möglichkeit, mit der EDV-Einführung auch die Organisation positiv zu beeinflussen und bessere Ergebnisse zu erzielen [29].

In klassischen Modellen von Veränderungsprozessen wird davon ausgegangen, dass die Produktivität in der Umsetzungsphase einer Veränderung (hier die PDMS-Einführung) zurückgeht und sich erst nach einer gewissen Zeit wieder erholt und über das Ausgangsniveau hinaus entwickeln kann [27]. Um einen solchen Effekt zu finden, wurde die Auswertung gegenüber der vorherigen [8] um 2 weitere Jahre ausgedehnt. Aber auch über den verlängerten Zeitraum von 5 Jahren nach PDMS-Einführung, zeigen sich keine ausgeprägten Effekte.

In einem retrospektiv explorativen Ansatz konnte gezeigt werden, dass

  1. a)

    ein PDMS auf die Dokumentation abrechnungsrelevanter Parameter nur wenig Einfluss nimmt, obwohl es Anzeichen für eine vollständigere Dokumentation gibt;

  2. b)

    mithilfe einer überschaubaren Zahl an Parametern, über einen längeren Zeitraum betrachtet, eine sinnvolle Nutzenbewertung eines Informationssystems möglich ist;

  3. c)

    diese Methode mit vertretbarem Aufwand auf andere Institutionen und EDV-Systeme übertragbar und diesen vergleichbar ist;

  4. d)

    die Qualität der Aussagen stark von der Verfügbarkeit langfristig auswertbarer Parameter abhängt;

  5. e)

    kein signifikanter PDMS-Effekt auf die Mortalität gefunden wurde.

Fazit

Die vorgestellten Ergebnisse relativieren übertrieben positive Darstellungen zum globalen Kosten-Nutzen-Effekt elektronischer Informationssysteme. Das bedeutet nicht, dass diese Systeme nicht lokal positive Auswirkungen auf Vollständigkeit, Auffindbarkeit, Verfügbarkeit und Auswertbarkeit von medizinischen Daten und auch auf die Nutzerzufriedenheit haben. Die möglichen Effekte von klinischer Entscheidungsunterstützung sind in der vorliegenden Arbeit unberücksichtigt. Sie bieten aber evtl. das größere Potenzial, um positive Effekte wie eine tatsächliche Verbesserung der Behandlungsqualität und des Patienten-Outcomes mithilfe eines PDMS zu erzielen.