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Josef Hecken Funktionär empfiehlt Bier statt Psychotherapie

Nicht jeder benötige einen Therapeuten, eine Flasche Bier tue es manchmal auch. Das sagte einer über psychisch Kranke, der als mächtigster Mann im Gesundheitswesen gilt. Jetzt kritisieren Psychotherapeuten Josef Hecken heftig.
Hecken: Heikles Protokoll einer öffentlichen Sitzung

Hecken: Heikles Protokoll einer öffentlichen Sitzung

Foto: GBA

Hamburg/Berlin - In Deutschland warten psychisch kranke Menschen Wochen oder Monate auf einen Therapieplatz. Es geht nicht um Kleinigkeiten, sondern um schwer depressive Patienten, die dringend Hilfe benötigen. Seit Jahren suchen Krankenkassen nach Auswegen, Psychologen und Psychiater klagen über den Missstand, gleichzeitig steigt die Zahl der von psychischen Leiden Betroffenen stetig an.

In dieser Situation wird ein Zitat über psychisch Kranke bekannt. Von jenem Mann, den viele für den mächtigsten Mann im deutschen Gesundheitswesen halten: Josef Hecken. Er ist Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), jenes Gremiums, das aushandelt, welche Therapien und Medikamente die Versicherten erhalten. Die Vertreter von Krankenkassen, Ärzten und Krankenhäusern entscheiden unter anderem, welche psychotherapeutischen Verfahren von den Kassen übernommen werden.

"Sie bagatellisieren die Not unserer Patienten"

In einer Sitzung des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen sagte Hecken, man benötige nicht für jeden Bürger einen Psychotherapeuten, eine Flasche Bier tue es manchmal auch. Der Satz findet sich in einem Protokoll, das von der öffentlichen Sitzung angefertigt wurde und das SPIEGEL ONLINE vorliegt. Auf Anfrage dementiert Hecken die Äußerungen nicht. Vielmehr bezeichnet er sie als "unglücklich, weil missverständlich".

Hecken stößt sich dem inoffiziellen Protokoll zufolge an Forderungen nach mehr Kassensitzen für Psychotherapeuten. In diesem Zusammenhang soll der Satz gefallen sein, über den sich jetzt vor allem psychotherapeutisch arbeitende Psychologen erregen. Unter ihnen kursiert in Mailinglisten außer dem Protokoll ein Protestbrief an Hecken. Darin heißt es: "Sie bagatellisieren und ignorieren mit Ihrer Bierflaschen-Metapher die Not unserer Patienten und stigmatisieren subtil Menschen mit schweren psychischen Störungen."

Warmes Bier bei Einschlafproblemen

Auf Anfrage lässt Hecken mitteilen, er habe lediglich sagen wollen, dass er "als Privatperson nicht jede Befindlichkeitsstörung wie zum Beispiel gelegentliche Einschlafprobleme als krankhaften und sofort behandlungsbedürftigen Zustand ansehe, sondern mir dann manchmal als altes und überliefertes Hausmittel eine Flasche erwärmten Bieres hilft".

Hecken schreibt weiter: "Es lag und liegt mir fern, psychische Erkrankungen zu verharmlosen oder gar Alkoholgenuss als probate Alternative zu psychotherapeutischer Behandlung zu bezeichnen." Er habe gegenüber dem Chef der Bundespsychotherapeutenkammer bereits sein "Bedauern über die unpräzise Aussage zum Ausdruck gebracht".

"Das ist nicht neutral"

Aus Sicht des Bundesvorsitzenden der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, Dieter Best, ist die Bier-Empfehlung Heckens schlimm genug, wäre unter Umständen aber noch als Ausrutscher zu entschuldigen. Bedenklich findet Best dagegen, dass Hecken in einem der höchsten Gremien der gesetzlichen Krankenkassen erkennen lässt, dass er den vom Sozialrecht garantierten ungehinderten Zugang - ohne vorherige Kontrolle durch einen Arzt - von Patienten zur Psychotherapie für falsch hält. "Er ist der unparteiische Vorsitzende des G-BA und zur Neutralität verpflichtet", sagt Best. "Und das ist nicht neutral."

Für die psychotherapeutisch arbeitenden Psychologen passt Heckens Zitat in ein Gesundheitssystem, von dem sie sich systematisch benachteiligt fühlen. Psychotherapie wird in Deutschland von zwei unterschiedlichen Berufsgruppen betrieben: Ärzten und Psychologen, jeweils mit einer Zusatzausbildung.

Das für die Psychotherapie bezahlte Geld verteilen die Kassenärztlichen Vereinigungen, in denen die Ärzte die Mehrheit stellen. Da hilft es den Psychologen nicht, dass sie formal Facharztstatus genießen. Obwohl die Psychotherapeuten etwa 30 Prozent der Behandler stellen, ist ihr Stimmrecht in den Gremien der Kassenärzte bei zehn Prozent gedeckelt, unter anderem in dem Ausschuss, der über die Verteilung der Honorare entscheidet.

Wie viele Ärzte und Psychologen sich mit einer Kassenzulassung niederlassen dürfen, legt die Bedarfsplanung fest, über die auch im G-BA entschieden wird. Aus dem inoffiziellen Protokoll der Sitzung beim GKV-Spitzenverband wird deutlich, dass Hecken es für einen Fehler hält, dass Kassensitze, die nicht mit Ärzten besetzt werden können, ab 2014 auch an psychologische Psychotherapeuten gehen können. Aus seiner Sicht sollte demnach keine Psychotherapie ohne vorherige ärztliche Überweisung möglich sein.