Fallpauschalen mit blutigen Folgen

Die neuen Fallpauschalen im Spital führen zu Abstrichen bei der Qualität. Etliche Ärzte geben an, sie müssten auf Operationen verzichten und Patienten zu früh entlassen.

Daniel Friedli
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Unerwünschte Wirkung der Fallpauschalen: Eine Umfrage unter Spitalärzten weist auf unsachgemässe Eingriffe und zu frühe Entlassungen hin.

Unerwünschte Wirkung der Fallpauschalen: Eine Umfrage unter Spitalärzten weist auf unsachgemässe Eingriffe und zu frühe Entlassungen hin.

Ein betagter Mann leidet zu Hause an Problemen beim Wasserlösen. Er geht ins Spital, wo ihm die Ärzte durch die Bauchdecke einen Katheter einführen. Wenig später wird er wieder nach Hause geschickt, obschon er noch innere Blutungen hat. Die Angehörigen intervenieren, der Mann muss sofort ins Spital zurück, wo er drei Tage lang behandelt wird.

Solche «bloody exits» (blutige Entlassungen) werden den Patientenorganisationen etliche gemeldet, seit in den Spitälern mit Fallpauschalen gearbeitet wird. In diesem System dürfen die Spitäler für jede Operation nicht mehr als einen fixierten Betrag abrechnen. Arbeiten sie schnell und günstig, verdienen sie daran; dauert die Behandlung länger als geplant, zahlen sie drauf.

Druck des Managements

Inwieweit dieses System die Qualität der Behandlung gefährdet, darüber wird seit langem gestritten. Erste Ergebnisse einer Nationalfondsstudie zeigen nun, dass die entsprechenden Befürchtungen der Patientenschützer nicht unbegründet sind. Im Rahmen eines breit abgestützten Forschungsprojekts über die Wirkung der Fallpauschalen hat das Institut für biomedizinische Ethik der Universität Zürich landesweit 382 Spitalärzte gefragt, wie sich ihr Berufsalltag unter den Fallpauschalen verändert habe, und hat dabei denkwürdige Antworten erhalten. So gaben zwei Drittel der Befragten an, bei ihnen seien in den letzten sechs Monaten ein- oder mehrmals nützliche Behandlungen aus Kostengründen weggelassen oder durch billigere, weniger effektive Therapien ersetzt worden. Ebenfalls zwei Drittel berichteten von zu frühen Entlassungen an ihrem Spital. Und gut die Hälfte der Ärzte klagte, sie seien vom Management zu medizinischen Entscheidungen gedrängt worden, die sie im Interesse des Patienten so nicht getroffen hätten. Unter dem Strich beurteilen 90 Prozent der Befragten die Qualität der medizinischen Behandlung immer noch als «sehr» oder «ziemlich» gut. Ein Viertel sagte jedoch, der Fokus auf die Patienten in der Behandlung habe nachgelassen.

Zwiespältig fielen die Antworten auch bezüglich des obersten Zieles aus, welches die Politik mit den Fallpauschalen erreichen will: mehr Effizienz. Die Spitalärzte sind der Meinung, die Effizienz habe, wenn überhaupt eine Veränderung zu verzeichnen sei, im neuen System eher ab- als zugenommen. Dies gilt auch für das Management der Entlassungen.

Für Margrit Kessler, die Präsidentin der Stiftung für Patientenschutz, bestätigt die Umfrage, was sie seit langem vermutet. «Blutige Entlassungen sind eine Realität, auch wenn man nicht darüber sprechen will», sagt sie. Die Spitäler nähmen leider ihre Verantwortung nicht immer wahr, das zeige sich vor allem auch beim Übergang vom Spital in die Rehabilitation. Dort würden mitunter Patienten ankommen, deren Operation noch gar nicht richtig abgeschlossen sei.

Die Promotoren der Fallpauschalen warnen demgegenüber vor übereilten Schlüssen. Simon Hölzer, Geschäftsführer von Swiss DRG AG, bemängelt, die Uni Zürich habe in ihrer Umfrage bisweilen mit tendenziösen Fragen gearbeitet. Man dürfe aus den Resultaten daher keine quantitativen Aussagen zur Qualität der Behandlungen ableiten. Zudem habe eine stattliche Zahl anderer Studien gezeigt, dass die Patienten nicht zu Schaden kämen und die Spitäler auch mit Fallpauschalen weiterhin eine sachgerechte Medizin anböten.

Abstriche bei der Qualität

Auch für die Leiterin der Studie, die Medizinethikerin Nikola Biller-Andorno, besteht angesichts dieser ersten Resultate noch kein Grund, «Alarm zu schlagen». Sie weist den Vorwurf der tendenziösen Befragung aber zurück und schliesst aus der Umfrage, dass die Einführung der Fallpauschalen eben doch nicht so reibungslos verlaufe, wie dies bisweilen suggeriert werde: «Es scheint gewisse Abstriche bei der Qualität zu geben.»

Wichtig ist für Biller-Andorno darum, dass man nun genauer eingrenzt, bei welchen Diagnosen tendenziell zu viel oder zu wenig gemacht wird, so dass man dort korrigierend eingreifen kann. Und vor allem brauche es eine breite Diskussion darüber, worin eine angemessene Behandlung bestehe und wie stark wirtschaftliche Kriterien dabei zu gewichten seien. Nur so lasse sich das Risiko der unsachgemässen medizinischen Versorgung minimieren.