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Hamburg

Geburtshilfe auf Sylt ist gerettet

Land, Klinikkonzern Asklepios und Gemeinde finden Kompromiss. Sylterinnen können Kinder weiter auf der Insel zur Welt bringen. Für Kaiserschnitt-Geburten aufs Festland

Die Sylterinnen werden ihre Kinder wohl weiterhin auf der Insel zur Welt bringen können. Der Krankenhauskonzern Asklepios, die Inselgemeinde und das Kieler Gesundheitsministerium haben sich am Freitag auf die Grundzüge einer neuen Geburtshilfe-Organisation geeinigt. Details sind allerdings noch ungeklärt. Am 19. Dezember soll es deshalb eine weitere Verhandlungsrunde geben.

Gearbeitet wird an einem Modell mit dem Namen „Sylter Kreißsaal“. Wichtigste Neuerung: Die Berufshaftpflichtprämie für die Belegärzte, die die Kinder in der Westerländer Nordseeklinik zur Welt bringen, wird nicht mehr vom Klinikbetreiber Asklepios, sondern von der Inselgemeinde und dem Kreis Nordfriesland getragen. Es geht um jährlich 40.000 Euro. Die Inselbürgermeisterin Petra Reiber sagte: „Alle haben sich ein Stück aufeinander zu bewegt.“ Einen Wermutstropfen gebe es für die Sylterinnen allerdings auch: „Geplante Kaiserschnitt-Geburten werden nur noch auf dem Festland durchgeführt“.

Mit dem nun ausgehandelten Kompromiss könnte ein mehrmonatiger Streit zu Ende gehen. Ausgangspunkt war das Ansinnen des Asklepios-Konzerns gewesen, die Belegstation „Geburtshilfe“ in der Nordseeklinik schließen zu wollen. Der Streit nahm in den vergangenen Wochen deutlich an Schärfe zu. Asklepios-Pressesprecher Franz Jürgen Schell sprach der Geburtshilfe die erforderliche Qualität ab und verglich Sylt mit Kasachstan. Auf der Insel habe es in den Jahren 2011 und 2012 je einen Todesfall gegeben. „Wenn man das hochrechnet, dann hat Sylt in etwa das Geburtensterblichkeitsrisiko von Kasachstan oder den Fidschi-Inseln und steht damit schlechter da als Rumänien und Albanien“, sagte Schell.

Im Parlament kamen diese Aussagen nicht gut an. Die Regierungsfraktionen setzten das Thema Geburtshilfe flugs auf die Tagesordnung der aktuellen Sitzung. Gitta Trauernicht, die familienpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion und frühere Sozialministerin, sagte am Donnerstag: „Ich finde es unerträglich, wie ein Konzern mit den Menschen, dem Gemeinwesen Sylt und mit den Schwangeren auf der Insel umgeht.“

Auch die Insulaner waren empört. 400 Menschen demonstrierten am ersten Dezemberwochenende vor der Klinik. 17.000 Schleswig-Holsteiner unterschrieben die Forderung, die Geburtshilfe zu erhalten. Eberhard Eberle (SPD), der Vorsitzende des Gesundheits- und Sozialausschusses der Inselverwaltung, zeigte sich nach vielen Gesprächen genervt von Asklepios. „Die sagen, dass die Geburtshilfe hier nicht wirtschaftlich zu betreiben ist“, sagt er. „Das ist unfassbar. Die haben einen Versorgungsauftrag.“

Asklepios fühlte sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. „Wir haben zwar einen Versorgungsauftrag für die Insel, aber in der Geburtshilfe sind wir auf Belegärzte angewiesen“, sagte Pressesprecher Schell. In der Nordseeklinik arbeiten keine fest angestellten Gynäkologen. Dort gibt es lediglich einen Kreißsaal, der von niedergelassenen Ärzten genutzt werden kann. Sowohl sie als auch die Hebammen rechnen nicht mit der Klinik ab, sondern mit den Krankenkassen. Die Geburtshilfe führe deshalb nicht zu wirtschaftlichen Verlusten der Klinik, so Schell.

Dennoch spielt das Geld eine Rolle. Das liegt an den hohen Prämien für die Berufshaftpflichtversicherung, die Gynäkologen bezahlen müssen. Rund 40.000 Euro sind das im Jahr. Bislang hatte die Nordseeklinik diese Prämie bezahlt. Aber Asklepios hielt dies nun plötzlich für rechtswidrig. Das habe ein Gutachten des Hamburger Anwalts Christian Gerdts ergeben. „Würden wir die Prämie dennoch zahlen, würden die Ärzte Gefahr laufen, ihre Zulassung zu verlieren“, so Schell. Was er nicht sagte: Wäre diese juristische Beurteilung richtig, hätten sich Asklepios und die Inselgynäkologen in der Vergangenheit rechtswidrig verhalten. Und auch die Geburtshilfestation auf der Insel Föhr wäre dann so nicht mehr zu halten.

Aber es gibt Kritik an dem Gerdts-Gutachten. Christian Kohl, der Sprecher des Kieler Gesundheitsministeriums, sagte auf Nachfrage: „Laut Bundesgesundheitsministerium bestehen erhebliche Zweifel an dem Gutachten der Klinik.“ Mit dem Modell „Sylter Kreißsaal“ wäre dieses Problem so oder so aus dem Weg geräumt, denn Gemeinde und Kreis zahlen nun die Prämie. Ein anderes Problem wird sich hingegen verstärken. Die Zahl der Geburten auf Sylt wird weiter sinken. Rund 30 geplante Kaiserschnitte gab es dort pro Jahr, diese Frauen müssen nun aufs Festland. Statt 90 Kinder pro Jahr werden auf der Insel wohl nur noch 60 Kinder geboren. Bürgermeisterin Petra Reiber ist trotzdem optimistisch: „Wir wollen in den nächsten Jahren mehrere hundert Wohnungen bauen, dann gehen die Geburtenzahlen wieder hoch.“

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