«Spitäler würden geschlossen oder verkauft»

Seit 2012 ist der Kanton für die Spitalversorgung allein zuständig. Gemeinden verlassen nun aus finanziellen Gründen die Zweckverbände der Akutspitäler. Claudia Nielsen, Stadtzürcher Gesundheitsvorsteherin, will dagegen weiter Spitäler betreiben.

Interview: Reto Scherrer
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Die zwei Zürcher Stadtspitäler, im Bild der Behandlungstrakt im Triemli, sollen städtisch bleiben. (Bild: Christian Beutler / NZZ)

Die zwei Zürcher Stadtspitäler, im Bild der Behandlungstrakt im Triemli, sollen städtisch bleiben. (Bild: Christian Beutler / NZZ)

Frau Nielsen, einige Gemeinden im Kanton Zürich ziehen sich aus ihren Akutspitälern zurück. Planen Sie das auch?

Nein. Theoretisch könnten wir das auch tun, da die Spitalversorgung nun eine kantonale Aufgabe ist. Stiege aber die Stadt aus Triemli- und Waidspital aus, hätten diese keine Trägerschaft mehr – und würden geschlossen oder verkauft. Das ist natürlich keine Option. Ich setze alles daran, dass wir die zwei Stadtspitäler weiter als wichtigen Teil in unserer Gesundheitsversorgungskette haben.

Sie könnten aber sehr viel Geld sparen.

Wir könnten vor allem sehr viel verlieren. Leistungsfähige öffentliche Spitäler bieten der Allgemeinheit die Gewissheit, optimal versorgt und gepflegt zu werden. Wir haben in den letzten Jahren viel in die Prozesse und die Qualität von Spitälern, Pflegezentren, Spitex und Altersheimen investiert und sie so aufeinander abgestimmt. So konnten wir auch die Gesamtkosten optimieren.

Was macht denn diese ganze Versorgungskette so wertvoll?

Es muss niemand durch die Maschen fallen. Die meisten Patienten bleiben heute weniger lang im Spital als früher. Unsere Versorgungskette stellt dann sicher, dass sie auch nachher weitergepflegt und unterstützt werden können. Da die Institutionen zur Stadt gehören oder von ihr beauftragt werden, kennt man sich und spricht die gleiche Sprache, man hat eine gemeinsame Aufgabe, und die Wege sind kurz. Finanzgezänk auf dem Rücken der Patienten kann so vermieden werden.

Das kostet aber einiges. Namentlich die Stadtspitäler Triemli und Waid zählen zu den teuersten im ganzen Kanton.

Sie unterscheiden sich auch wesentlich von regionalen Grundversorgungsspitälern. In jenen ist der Anteil an «08/15»-Patienten, wenn ich diesen so sagen darf, deutlich höher. In den Stadtspitälern ist dagegen der Anteil an Patienten, deren Behandlung teuer und deren Pflege besonders aufwendig ist, überdurchschnittlich hoch.

Woher rührt das?

Zum einen sind unsere Patienten um 10 bis 15 Prozent älter, und der Genesungsprozess dauert entsprechend länger, was wiederum höhere Kosten verursacht. Zum andern überweisen Grundversorgungsspitäler ihre schweren Fälle an Zentrumsspitäler wie das Triemli oder die Akutgeriatrie im Waid. Es ergibt keinen Sinn, alle Spitäler über einen Leisten zu schlagen. Wir müssten mit Zentrumsspitälern wie Aarau, Luzern oder St. Gallen verglichen werden.

Das sieht der Kanton aber nicht so.

Logisch, möchte der Kanton nur zwei Sorten Spitäler; so ist es für seine eigenen Spitäler einfacher und für sein Budget günstiger. Andere Kantone stufen ihre Zentrumsspitäler entsprechend ihren Leistungen ein. Das zeigt sich an den dortigen Tarifen. So erbringen zwar die Zürcher Stadtspitäler vergleichbare Leistungen – aber zu klar tieferem Tarif.

Ist denn das neue Finanzierungssystem mit Fallpauschalen falsch aufgegleist?

Im Grundsatz halte ich das neue System für richtig. In der Umsetzung gibt es dagegen Lücken und Fragwürdiges. Es braucht Änderungen im System, sonst drohen Spitäler finanziell auszubluten.

Was müsste also Ihrer Ansicht nach geändert werden?

Fehlanreize müssen behoben und Lücken gedeckt werden, sonst laufen wir Gefahr einer Zweiklassenmedizin oder einer verdeckten Rationierung. Die Ausbildung muss adäquat entschädigt werden. Es kann doch nicht sein, dass die Spitäler nichts oder nur sehr wenig bekommen, wenn sie etwa Assistenzärztinnen und -ärzte ausbilden. Für Leistungen, die nicht rentieren, die aber nötig oder sinnvoll sind, müssen wir über Zusatzentgelte nachdenken. Wir können dabei ja von den Erfahrungen in Deutschland lernen, wo unser heutiges System herkommt.