Lüneburgs Krankenhaus schreibt rote Zahlen. Das Hamburger Abendblatt fragt nach den Ursachen. Entscheidend ist dabei auch der Standort.

Lüneburg. Das Klinikum Lüneburg rutscht in die Miesen. Stünde es allerdings in Hamburg, würde es Gewinn machen. Schuld seien die Fallpauschalen, sagt der Geschäftsführer. Wir haben im Städtischen Klinikum Lüneburg nachgefragt: Woran krankt es dort? Geantwortet haben der Geschäftsführer Dr. Michael Moormann und der Ärztliche Direktor Dr. Jörg Cramer.

Hamburger Abendblatt:

Das Städtische Klinikum Lüneburg schreibt in diesem Jahr erstmals wieder rote Zahlen, nachdem es im vergangenen Jahr fast zwei Millionen Euro Plus erwirtschaftet hat. Was ist da schief gegangen?

Dr. Michael Moormann: Zunächst einmal haben wir zum siebten Mal in Folge das erfolgreichste Jahr der Krankenhausgeschichte hinter uns und in diesem Jahr erstmals deutlich mehr als 26.000 Patienten behandelt. Das ist der Erfolg unserer Qualitätsoffensive und unserer hervorragenden Ärzte und Pflegenden. Wir haben zertifizierte Fachzentren (Brustkrebs, Darmkrebs, Perinatal, Trauma und Prostatakrebs) eröffnet und eine Menge Geld, Ressourcen und Mühen in die Qualität investiert. Mit dem Erfolg, dass die Patienten verstärkt zu uns kommen und weniger nach Hamburg fahren.

Dennoch bescheren Ihnen die zusätzlichen Patienten offensichtlich keine bessere wirtschaftliche Bilanz.

Moormann: Das stimmt. Wir mussten in diesem Jahr für jeden Patienten, den wir mehr hatten als 2011, 30 Prozent Rabatt an die Kassen zahlen. Das ist insgesamt eine Million Euro.

Dr. Jörg Cramer: Der sogenannte Landesbasisfallwert, die Durchschnittssumme für einen Fall, liegt in Niedersachsen bei 2965 Euro. Die Kosten sind so berechnet, dass sie die Betriebskosten decken sollen. Die Patienten, für die wir Rabatt zahlen müssen, können wir daher nicht wirtschaftlich behandeln.

Moormann: Noch schlimmer ist es bei den rund 250 Fällen, die wir mehr hatten als Anfang des Jahres mit den Kassen vereinbart: Für die zahlen wir 65 Prozent Rabatt. Das sind 500.000 Euro, die wir an die Krankenkassen zurückzahlen müssen. Diese Fälle sind nicht einmal kostendeckend.

Dann wäre es für das Klinikum fast besser, Patienten ab einem bestimmten Punkt abzulehnen?

Cramer: Wir haben einen Versorgungsauftrag. Wir können keinen Patienten ablehnen und tun das auch nicht. Interessant ist außerdem, dass nicht nur die Fallzahlen gewachsen sind, sondern auch die Fallschwere.

Moormann: Positiv an unserem starken Wachstum ist, dass wir insgesamt immer noch besser dastehen als manche Klinik im Umkreis.

Sie planen eine 30-Millionen-Euro Investition: einen Anbau sowie interne Umstrukturierungen. Ist das vor dem Hintergrund der aktuellen Situation überhaupt noch denkbar?

Moormann: Nicht zu investieren, ist auf Dauer gefährlicher als zu investieren. Wir sind akut überhaupt nicht gefährdet. Nur, wenn wir nichts ändern würden und viele Jahre weitermachen würden wie bisher, würde die Insolvenz folgen. Wir müssen massiv gegensteuern, und die geplanten Optimierungen in Prozessabläufen sind ein Baustein.

Welche Bausteine sehen Sie außerdem?

Moormann: Wir versuchen natürlich permanent, günstig einzukaufen, Prozesse zu optimieren und kreative neue Dienstplanmodelle zu etablieren Am Ende läuft es häufig auf eine weitere Arbeitsverdichtung hinaus, das allein kann es aber doch nicht sein.

Denn das macht die Arbeit in einem Krankenhaus weiter unattraktiv. Wie sehr spüren Sie denn den Fachkräftemangel?

Moormann: Zum Glück noch gar nicht. Wir sind als Arbeitgeber attraktiv, zahlen Überstunden aus oder schaffen Freizeitausgleich, achten per elektronischer Erfassung penibel auf gesetzliche Arbeitszeitenregelungen. Ich bin heilfroh, dass wir in kommunaler Trägerschaft sind und ich nicht auch noch Aktionäre bedienen muss.

Am Donnerstag nehmen Sie an der Diskussion "Kliniken vor dem Kollaps" in Winsen teil. Welcher Aspekt, glauben Sie, wird das Publikum am meisten überraschen?

Moormann: Dass wir ein prosperierendes Haus wären, würden wir in Hamburg oder Bremen ansässig sein. Weil wir dort für dieselben Fallzahlen und dieselbe Leistung 2,7 Millionen Euro mehr Einnahmen hätten - aber nicht mehr Ausgaben. Weil in den Ländern unterschiedlich hohe Fallpauschalen gezahlt werden.

Cramer: Von der angestrebten bundesweiten Angleichung bei den Fallpauschalen sind wir weit entfernt. Die Löhne allerdings sind überall dieselben. Das ist schwierig.

Laut dem Ende vergangener Woche vorgestellten Krankenhaus-Report der Kassen scheinen Kliniken eine weitere Einnahmequelle ausgemacht zu haben: Operationen. 87 Prozent im Bereich Rücken seien unnötig, heißt es darin. Wie viele sind es bei Ihnen?

Cramer: Natürlich sage ich erst einmal: keine. Operationen sind allerdings im Nachhinein häufig ein Streitpunkt und werden möglicherweise im Nachgang von den Kassen anders bewertet. Die Erhöhung der Fallzahlen insgesamt ist aber auch auf den medizinischen Fortschritt zurückzuführen. Die Veröffentlichung des Reports zu diesem Zeitpunkt sehe ich allerdings als Vorarbeit für die anstehenden Budgetverhandlungen. Das ist eine rein strategische Aussage, eine Verlagerung des Schlachtfeldes. Die Kliniken sind unterfinanziert, dabei bleibt es. Jede Operation wird bei uns schon sehr genau abgewogen.

Moormann: Auf Dauer würde das wirtschaftlich keinen Sinn machen. Dann bleiben Patienten weg, weil es heißt: Da kommst du sofort unters Messer.

Verdient ein Arzt bei Ihnen mehr, wenn er auch mehr operiert?

Cramer: Nein, bei uns nicht. Die von Ihnen angesprochen Bonusregelung ist auch innerhalb der deutschen Ärzteschaft hoch umstritten.

Moormann: Die Frage kann doch auch nur deshalb aufkommen, weil das Fallpauschalensystem solche Fehlanreize bietet. Krankenhäuser sind keine Wirtschaftsunternehmen, müssen aber so handeln, um zu überleben. Welche Wirkung das auf den Fachkräftenachwuchs haben wird, macht mir Sorgen.

"Kliniken vor dem Kollaps" haben die Betriebsräte im Elbe-Heide-Krankenhausverbund eine öffentliche Podiumsdiskussion übertitelt, zu der sie für Donnerstag, 13. Dezember, 17 Uhr, ins Krankenhaus Winsen einladen.