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Hamburg Gesundheitsversorgung

Jeder sechsten deutschen Klinik droht die Pleite

Krankenhäuser in der Krise Krankenhäuser in der Krise
Vielen Krankenhäusern droht der finanzielle Kollaps
Quelle: dpa/Julian Stratenschulte
Die finanzielle Lage vieler Krankenhäuser ist dramatisch. Besonders den Menschen auf dem Land drohen lange Wege, wenn die flächendeckende Versorgung in Gefahr gerät.

Das insolvente Krankenhaus in Einbeck will eine Gruppe von Bürgern übernehmen, heißt es Ende November aus dem Landkreis Northeim. Nur Tage zuvor sind die Katholischen Kliniken Oldenburger Münsterland in die Schlagzeilen geraten. Erst sollten zwei der vier Kliniken schließen. Weil die Mitarbeiter freiwillig auf das Weihnachtsgeld verzichteten, konnte die Insolvenz am Dienstag vorerst abgewendet werden.

Auch das bundesweit einzige genossenschaftlich geführte Krankenhaus in Salzhausen (Kreis Harburg) muss unter ein Schutzschirmverfahren schlüpfen, weil Zahlungsunfähigkeit droht – drei Beispiele innerhalb weniger Tage.

"Die finanzielle Lage der Krankenhäuser in Niedersachsen ist dramatisch", sagt der Vorsitzende der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft, Gerhard Tepe. In diesem Jahr werden weit mehr als die Hälfte der rund 200 Kliniken im Land rote Zahlen schreiben.

"Die flächendeckende Krankenhausversorgung gerät damit zunehmend in Gefahr", warnt Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer in Hannover. "Ich nehme die Sorge der Krankenhäuser sehr ernst", betont Niedersachsens Gesundheitsministerin Aygül Özkan (CDU).

Bündnis soll helfen

Mehr als 100 Jahre lief es gut, doch jetzt machen sie sich Sorgen im 75-Betten-Haus in Salzhausen, rund 40 Kilometer südlich von Hamburg. Gegründet hat es 1897 ein Landarzt, sein Ururenkel sitzt noch heute im Vorstand.

"Viele Patienten sind zu gebrechlich, um etwa nach Lüneburg ins Klinikum zu fahren", befürchtet Gertraud Maske. "Das gilt auch für Krankenbesuche, gerade bei Älteren", erklärt die 77-jährige Krankenschwester, die seit ihrer Pensionierung ehrenamtlich mithilft.

Auch das erheblich größere Klinikum im 30 Autominuten entfernten Lüneburg wird erstmals eine rote Null schreiben, sagt Geschäftsführer Michael Moormann – und im kommenden Jahr sei keine Besserung zu erwarten. Außer drastisch gestiegenen Kosten für Personal und Energie macht er die Zahlungen der Krankenkassen nach sogenannten Basisfallwerten für die Misere verantwortlich.

"In Hamburg oder auch in Rheinland-Pfalz werden für jeden Patienten rund einhundert Euro mehr bezahlt." Bei 27 000 Patienten im Jahr seien das 2,7 Millionen Euro weniger als im nur 50 Kilometer entfernten Hamburg.

Wegen des drohenden finanziellen Kollapses haben sich die 21 Kliniken in der Region Hannover erstmals zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Die sonst konkurrierenden Kliniken beklagen, dass sie nicht weiter sparen können.

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Zu befürchten seien Personalabbau und damit eine schlechtere Versorgung. "Die Zuwendung zum Patienten können wir auf Dauer nicht mehr gewährleisten", sagt Reinhold Linn, Kaufmännischer Geschäftsführer der Sophien-Klinik GmbH stellvertretend für die 21 Häuser.

Jeder sechsten Klinik droht die Pleite

Oft suchten die Kliniken in Deutschland ihr Heil in möglichst vielen Operationen, bemängeln dagegen die Krankenkassen. "Von der stetig steigenden Zahl der Operationen ist nur rund ein Drittel durch die Alterung der Gesellschaft zu erklären", sagt Verbandssprecherin Ann Marini in Berlin. Die regional unterschiedlichen Basisfallwerte sollen sich bis 2014 schrittweise annähern, erklärt sie.

Fast jeder sechsten der rund 2050 Kliniken in Deutschland droht nach einer Studie die Pleite. "In Niedersachsen und Bremen, aber auch in Südhessen und Baden-Württemberg ist die Lage besonders ernst", sagt Autor Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.

Außer gering steigenden Preisen für Krankenhausleistungen, steigenden Löhnen und den hohen Kosten eines breitgefächerten Angebots seien schlechte Auslastung und ein kleines Einzugsgebiet häufig die Ursache der Krise. "Probleme haben vor allem die kleinen Krankenhäuser, die alles machen", sagt Augurzky. Doch viele Bürger hingen an ihrer gewohnten Klinik in der Nähe.

Augurzky argumentiert wirtschaftlich: "Viele der kranken Kliniken sollten nicht künstlich am Leben gehalten werden, zum Beispiel durch einen kommunalen Defizitausgleich. Die Gelder sollten stattdessen gebündelt in Krankenhäuser mit modernen Strukturen und speziellen Angeboten fließen."

Es gebe dann zwar weniger, dafür aber stärkere Kliniken, was auch den Patienten zu Gute komme. In Ausnahmefällen gelte es aber auch, kleine Häuser in der Fläche zu retten: "Wenn in dünn besiedelten Regionen weit und breit keine andere Möglichkeit besteht, dann müssen auch solche Kliniken erhalten bleiben." 

dpa

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