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„Die Medizin verkommt zu einer Rechnerei“

Bad Schussenried / Lesedauer: 4 min

Leiter des ZfP Bad Schussenried kritisieren die Einführung von Fallpauschalen in der Psychiatrie
Veröffentlicht:02.01.2013, 20:15

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Bei einem gebrochenen Bein hilft ein Gipsverband, bei einem entzündeten Blinddarm eine Operation. Bei der Behandlung psychisch Kranker ist aber vor allem ein Faktor entscheidend: Zeit. Und je nach Krankheitsverlauf schwankt auch die Dauer der Therapie. Doch ab diesem Jahr sollen psychiatrische Kliniken schrittweise auf ein neues Vergütungssystem umstellen, bei dem Behandlungen nach Diagnose abgerechnet werden. Bei Ärzten, Pflegern und Fachverbänden stößt diese Abrechnung nach Fallpauschalen auf massive Kritik. Und auch beim Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Bad Schussenried wächst die Befürchtung, dass sich längere Therapien künftig nicht mehr rechnen.

Medizinische Kliniken werden bereits seit 2004 nach Fallpauschalen vergütet. Bei der Abrechnung ist hier nicht mehr nur entscheidend, wie lange ein Patient ein Krankenhausbett belegt, sondern die Diagnose. Für einen Beinbruch gibt es etwa einen bestimmten Festbetrag, der sich an Durchschnittswerten orientiert.

Ähnliches ist nun auch für psychiatrische Kliniken vorgesehen. „Ziel ist es, die Vergütungssätze anzugleichen“, erklärt Hans-Peter Elsässer-Gaißmaier , Pflegerischer Leiter des ZfP Bad Schussenried. Denn selbst die Krankenhäuser des ZfP Südwürttembergs werden bislang nach unterschiedlichen Tagessätzen vergütet. Dennoch ergebe es wenig Sinn, den Psychiatrien das System der Fallpauschalen überzustülpen, empört sich Elsässer-Gaißmaier: „Darin sind sich alle Fachverbände einig, dass Krankheiten trotz derselben Diagnose zu unterschiedliche Verläufe haben.“ Denn Depression ist eben nicht Depression, Zwangsstörung nicht Zwangsstörung. „Bei einer Schizophrenie kann der Aufwand sehr unterschiedlich sein“, weiß Elässer-Gaißmaier.

„Und es ist auch nicht immer so, dass die Krankheit am Anfang ganz schlimm ist und später der Behandlungsaufwand weniger wird“, ergänzt Dr. Rudolf Metzger , Ärztlicher Leiter des ZfP Bad Schussenried. Genau dies wird jedoch mit dem neuen Abrechnungssystem unterstellt. Demnach erhalten die Kliniken zu Beginn der Behandlung eine höhere Tagespauschale, die ab dem 18. Tag jedoch sinkt. Im Endeffekt bedeutet dies: Je länger ein Patient ein Bett belegt, umso weniger rechnet sich seine Behandlung für die Klinik. Verschiedene Fachverbände befürchten deshalb, dass psychisch Kranke künftig zu früh aus der Klinik entlassen werden könnten. Das erscheint umso fataler, weil auch Rückfälle zum Teil nach den niedrigeren Tagessätzen abgerechnet werden sollen.

„Sind die Verlierer des Systems“

Ein solches degressives Abrechnungssystem dürfte vor allem das ZfP Bad Schussenried zu spüren bekommen, vermutet Metzger. Während andere Kliniken sich auf die unproblematischeren und damit lukrativeren Krankheitsfälle spezialisieren könnten, leiste das ZfP eine „Pflichtversorgung“: „Wir nehmen jeden Patienten aus unserem Einzugsgebiet auf.“ Die Arbeit mit „schwierigeren Fällen“ werde aber in dem neuen Abrechnungssystem nur unzureichend abgebildet, findet Elsässer-Gaißmaier. Da werden dann etwa therapeutische Maßnahmen nur nach 25-Minuten-Einheiten vergütet. „So lange halten aber Schwerkranke gar nicht aus, mit denen muss man eher 20 mal fünf Minuten am Tag arbeiten“, so der Pflegerische Direktor. Eine solche Herangehensweise könne bei der Abrechnung jedoch kaum erfasst werden. Für Elässer-Gaißmaier steht deshalb fest: „Wir rechnen uns in diesem System zu den Verlieren.“

Und verlieren, so die Sorge der beiden Ärzte, werden auch die Patienten. Die Folge sei doch, dass die Kliniken künftig die Behandlungen bevorzugen, „die abrechnungstechnisch viel rausbringen“, blickt Metzger voraus: „Und ich persönliche halte es für eine Fehlentwicklung, wenn man Patienten sieht und ans Geld denkt. Die Medizin verkommt so zu einer ständigen Rechnerei.“

Der ZfP-Chefarzt ist nicht der Einzige, der so denkt. Die Bundesdirektorenkonferenz, der Metzger angehört, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde und viele weitere Fachverbände haben sich zum Aktionsbündnis „Zeit für psychische Gesundheit“ zusammengeschlossen und mehr als 35000 Unterschriften gegen das neue Vergütungssystem gesammelt. Mittlerweile hat die stufenweise Einführung zwar begonnen, übrigens gegen den Widerstand der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Dennoch haben die Ärzte ihren Kampf noch nicht aufgegeben. Schließlich sind im Herbst Bundestagswahlen. „Und ich denke schon, dass dies auch ein politisches Thema ist“, sagt Metzger: „Psychische Erkrankungen nehmen weiter zu, vor allem Erschöpfungszustände. Unsere Wartelisten sind voll.“