Carola Grodszinski, die DGB-Vizechefin im Kreis, stellt in einem Interview ein Gutachten über die geplante Großklinik in Frage. Sie will eine Bürgerbeteiligung.

Böblingen/Sindelfingen Ein vom Klinikverbund Südwest in Auftrag gegebenes Gutachten empfiehlt den Bau einer zentralen Klinik auf dem Flugfeld. Die Krankenhäuser von Böblingen und Sindelfingen sollen vom Jahr 2020 an unter ein Dach kommen.
Frau Grodszinski, Sie wenden sich gegen eine Großklinik auf dem Flugfeld? Weshalb?
So pauschal kann ich das nicht stehen lassen. Ich stelle erst einmal Fragen. Ich möchte wissen: Auf welcher Grundlage kommt das Klinikgutachten zu dem Ergebnis, dass ein Neubau eines zentralen Klinikums wirtschaftlich ist? Soll die Wirtschaftlichkeit an oberster Stelle stehen oder müsste vielmehr hinterfragt werden, welche Auswirkungen ein Großklinikum auf den Fortbestand der beiden anderen Häuser in Leonberg und in Herrenberg hat und damit auf die wohnortnahe medizinische Versorgung der Patienten?

Aber die beiden Kliniken sollen doch erhalten bleiben. Es ist auch die Rede davon, dass die Häuser in Leonberg und Herrenberg für 64 Millionen Euro saniert werden müssten.
Klar, aber es geht um mehr Konkurrenz, um Marktanteile. Der Neubau mit 734 Betten pro Jahr soll von 2025 an etwa 8000 neue Patienten jährlich bringen. Ein Zehntel davon soll aus den anderen vier Häusern des Klinikverbunds Südwest kommen. Ich halte diese Annahme für fragwürdig und denke, dass ein Großklinikum noch viel mehr Patienten aus dem Verbund anziehen und damit die Existenz der anderen Häuser gefährden würde.

Die Gutachter gehen davon aus, dass man im Wettbewerb mit den Kliniken in Stuttgart oder in anderen Kreisen Patienten hinzu gewinnen könne.
Ja, und das finde ich blauäugig. Auch dort wird viel Geld investiert und modernisiert, um die Position zu halten oder auszubauen.

Genau das soll doch durch ein Großklinikum auf dem Flugfeld auch möglich werden.
Wohin soll ein Wettbewerb um Marktanteile führen? Krankenhäuser dürfen nicht nach den Gesichtspunkten der Rentabilität um jeden Preis betrieben werden und dem Marktmechanismus unterworfen sein. Es wurde nicht öffentlich gemacht, was eine Zusammenlegung der Kliniken Böblingen und Sindelfingen für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten bedeutet. Durch die Rationalisierungsbestrebungen ist ein weiterer Personalabbau zu befürchten. Das kann bei der heute bereits herrschenden Hektik und Arbeitsverdichtung im Pflegealltag nicht zum Wohl der Patienten sein.

Wer soll aber für das Minus beim Klinikverbund aufkommen? Wie soll der für die Kliniken Böblingen und Sindelfingen errechnete Investitionsstau von 76 Millionen Euro bewältigt werden?
Dieses Argument des drohenden Defizits höre ich schon seit sechs Jahren. Wie konnte es überhaupt zu diesem Investitionsstau kommen? Wenn Defizite auftreten, ist auch die öffentliche Hand in der Verantwortung. Die Zuschüsse werden aber seit Jahren immer weniger, sodass der Nachholbedarf bei der technischen und baulichen Ausstattung der Kliniken immer größer wird. Die Politik muss da endlich reagieren. Wir müssen uns fragen, was uns ein gutes, funktionierendes Gesundheitswesen wert ist.

Woher soll das Geld dafür kommen?
Ganz grundsätzlich: Aktuell wird die Vermögensabgabe für Reiche diskutiert. Das wäre doch eine vernünftige Geldquelle. Es müssen mehr finanzielle Mittel in das Gesundheitssystem fließen. Ich wundere mich, dass darüber, was uns ein gutes Gesundheitswesen wert sein sollte, so wenige öffentliche Debatten stattfinden. Nach der Veröffentlichung des Gutachtens hat sich bisher auch noch niemand zu Wort gemeldet.

Es wurde Anfang August publik – jetzt sind Sommerferien.
Ja, aber über dieses für die Region so wichtige Großprojekt mit Festlegungen für die nächsten fünfzig Jahre muss doch breit diskutiert werden. Die Flugfeldklinik, für die 334 Millionen Euro aufgebracht werden sollen, soll von 2025 an schwarze Zahlen schreiben. Was ist mit den möglichen Kostensteigerungen bei einer so langen Planungs- und Bauphase? Dafür, dass die Kosten davonlaufen, gibt es genügend Negativbeispiele – siehe Stuttgart 21. Wir müssen endlich mit der Diskussion darüber beginnen.

An welches öffentliche Gremium denken Sie? Über die Großklinik wird doch diskutiert.
Wir brauchen eine Bürgerbeteiligung über die Gesundheitskonferenz auf kommunaler Ebene. Es geht um die Sicherstellung einer regional vernetzten Gesundheitsversorgung und die Frage: was braucht die Bevölkerung? Dazu sollten alle Betroffenen und Beteiligten an einen Tisch. Dazu zählen neben den üblichen politischen Entscheidungsträgern vor allem auch Mitglieder von Verbänden, Patientensprecher, die Beschäftigten aus den Krankenhäusern und ihre Interessensvertretungen. Nicht zu vergessen die ambulanten Dienste. Ein umfassender öffentlicher Dialog jedenfalls ist nach der Sommerpause überfällig.