Thomas Lemke, Vorstand des privaten Klinikriesen Sana AG, ist der Überzeugung, dass noch viele Krankenhäuser sterben werden – und dass Unternehmen wie seines die Rettung sein könnten.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ismaning -
Kein Marmor, nüchterne Büros, das ist die Zentrale der Sana AG in Ismaning. Vorstand Thomas Lemke ist geübt im Kontern von Kritik.

 

Herr Lemke, wie viele notleidende Landräte haben Sie dieses Jahr schon angerufen?
Offiziell ruft bei uns keiner an. Das gehört zum guten Ton. Wir haben viele Kontakte über unsere Krankenhäuser in Baden-Württemberg, jetzt auch durch die Referenz Biberach. Auf kommunaler Ebene wird schon gefragt: Wer sind die, was machen die, kann man mit denen arbeiten?

Nach einer Studie des Rheinisch-westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung ist jede fünfte deutsche Kommunalklinik insolvenzgefährdet. Wo wird das noch enden?
Der Trend verstärkt sich weiter. Das hängt aus unserer Sicht an drei Faktoren. Der erste ist, dass die Politik Rahmenbedingungen gesetzt hat, die dazu führen, dass wir in einem wettbewerbsintensiven System leben. Zweitens: Wir haben zu viele Krankenhausbetten in Deutschland. Drittens: Insbesondere kommunal geführte Häuser, bei allem Respekt für die Verantwortlichen, stecken in Zwängen der politischen Einflussnahme, die so weder freigemeinnützige noch private Träger haben.

Die Überkapazitäten können doch nicht nur mit dem rückläufigen Bevölkerungswachstum zu tun haben?
Eine Vielzahl der Krankenhäuser wurde in den siebziger Jahren errichtet. Also in einer Zeit, in der mit Krankenhauspolitik auch Strukturpolitik betrieben wurde. Dreißig Jahre später haben sich unsere medizinischen und organisatorischen Möglichkeiten stark weiter entwickelt. Die damals aufgebauten Bettenkapazitäten werden deshalb heute nicht mehr benötigt.

Lassen sich Landkreise, denen das Wasser bis zum Hals steht, bei Übernahmeverhandlungen leicht über den Tisch ziehen?
Wir ziehen niemanden über den Tisch. Unsere Krankenhäuser finden Sie in allen Flächenregionen der Bundesrepublik. In der Uckermark, auf den Inseln Fehmarn und Rügen, aber auch auf der Schwäbischen Alb und ebenso im Nordschwarzwald. Sie erfüllen einen wichtigen Versorgungsauftrag und bieten eine Versorgungskette von der Ambulanz über den voll- und teilstationären Aufenthalt bis hin zur Reha und ambulanten Therapiezentren.

Sie sind Wohltäter und nicht Rosinenpicker?
Wir sind weder das eine noch das andere. Unabhängig von der wirtschaftlichen Lage garantieren unsere Krankenhäuser, wie übrigens auch alle öffentlichen oder freigemeinnützigen Kliniken, den gesetzlichen Versorgungsauftrag. Zunehmend stehen aber Landkreise und Kommunen vor der Frage, ob in den bestehenden Strukturen dieser Versorgungsauftrag noch erfüllt werden kann.

Und Sie müssen dann die Grausamkeiten begehen, zu denen sich Kommunalpolitiker nie überwinden konnten? Im Landkreis Biberach, wo Sie gerade eingestiegen sind, wird es laut Übernahmevertrag mittelfristig zur Schließung zweier Krankenhäuser kommen.
Ein häufiges Problem ist, dass strukturelle Veränderungen nicht rechtzeitig in Gang gesetzt wurden. In den Biberacher Krankenhäusern haben wir eine Patientenauslastung von nur noch 43 Prozent vorgefunden. Die Menschen in der Region haben längst mit den Füßen abgestimmt und sich für andere Kliniken entschieden. Unsere erste Aufgabe ist es, dieses Vertrauen zurückzugewinnen.

Was können Sie so viel besser als kommunale Träger?
Als Klinikkonzern profitieren wir von bereits bestehenden Versorgungsnetzwerken unserer Krankenhäuser. Dieser Ansatz gestattet es uns, Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung mit Schwerpunktversorgern und Fachkliniken zu verknüpfen. Darum ist Biberach so interessant für Sana, weil wir in der Region entsprechend vertreten sind. Wir denken Versorgung ganzheitlich und sprechen dann von Cluster- und Versorgungskonzepten.

Wo liegen konkret solche Synergieeffekte?
Ein Konzern unserer Größenordnung mit 1,8 Milliarden Euro Umsatz kann ganz andere Skaleneffekte erzielen als ein einzelnes Haus. Das reicht vom Einkaufsverbund bis zur Apotheke. Der Erfolg liegt in der Bündelung von Mengen. Auf diese Weise erreichen wir bei gleicher Qualität eine Preisreduktion, die ein einzelnes Haus nie erzielen kann. Es braucht heute eine Vielzahl an Spezialisten, um eine Klinik erfolgreich zu führen. Diese können wir einfacher gewinnen und bereitstellen, als kleinere Einheiten. Ein weiterer Punkt ist, dass unsere Entscheidungen frei sind von politischer Einflussnahme, wodurch wir schneller reagieren können.

Damit sind wir wieder bei den Fesseln der Politik.
Ich würde lieber von der Fähigkeit zur Veränderung sprechen. Die Bundesländer haben sich angesichts des Kostendrucks in den öffentlichen Haushalten zunehmend aus der Investitionsfinanzierung zurückgezogen. Was bedeutet, dass immer weniger Fördermittel zur Finanzierung der Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Wir laufen Gefahr, die Grundlagen unseres Krankenhauswesens massiv anzugreifen und den wirtschaftlichen Druck auf die Kliniken ins Unermessliche zu steigern. In dieser Entwicklung liegt ein Hauptgrund für die steigende Anzahl an Privatisierungen. Durch eine entsprechende Kapitalkraft können private Klinikgruppen schneller und rechtzeitiger reagieren.

Warum muss Krankenversorgung eigentlich immer als Profitcenter funktionieren? Es könnte auch politische Aufgabe sein, die wohnortnahe Grundversorgung auf dem flachen Land zu finanzieren?
Gesundheit und Pflege sind elementare Bestandteile der Basisversorgung einer Gesellschaft. Ich bin bei Ihnen, dass Themen der Grundversorgung einer staatlichen Absicherung bedürfen, was übrigens auch die Diskussion um die Privatisierung in der Wasserversorgung zeigt. Gleichwohl werden wir darüber sprechen müssen, wie wir unser Gesundheitssystem so weiter entwickeln, das es mit den vorhandenen Ressourcen auskommt. Unsere Kosten sind nach wie vor die höchsten nach den USA.

Wo liegt der größte Fehler im System?
Deutschland ist weltweit die einzige Nation mit einer strikten Trennung der ambulanten und stationären Versorgung. Diese Doppelstrukturen verursachen hohe Kosten. Deshalb braucht es den weiteren Ausbau der integrierten Versorgung. Gerade für ländliche Regionen ist das wichtig, weil wir hier zunehmend mit Versorgungsengpässen konfrontiert sind, die im Ärztemangel ihre Ursache haben. Hier leisten die Privaten einen wichtigen Beitrag, weil wir ganz andere Herangehensweisen haben, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Im von Ihnen geführten Rehabilitationskrankenhaus Ulm gärt der Unfriede. Sie bauen Personal ab, Mitarbeitern wurden von der Geschäftsführung ungefragt Stellenanzeigen als Pizzafahrer oder Leichenwäscher nach Hause geschickt. Gehört so etwas zu den Methoden, an denen sich Kommunalkliniken ein Beispiel nehmen sollten?
Auch für das RKU Ulm gilt, dass wir bis heute alle so genannten Tertiärbereiche, also Küche, Reinigung und Technikservice, noch im Krankenhaus organisiert haben. Das ist völlig ungewöhnlich und nicht mehr zu finanzieren, weil das über die Fallpauschalen nicht mehr adäquat vergütet wird. Wir haben unser Wort gehalten und die notwendigen Personalanpassungen für die betroffenen 60 Mitarbeiter sozialverträglich umgesetzt. Ein mit dem Betriebsrat vereinbarter Sozialplan im siebenstelligen Eurobereich regelt die Höhe der Abfindungen. Dazu gehört auch ein Fonds für die Milderung sozialer Härten.

Der Kassenzahler muss immer höhere Beiträge entrichten, und wenn er Patient wird, trifft er auf Klinikbeschäftigte am Rand der Überlastung. Ist das die traurige Zukunft?
Ihre Beobachtung ist richtig. Das Fallpauschalensystem hat dazu geführt, dass Ärzte und Pflegekräfte immer weniger Zeit für den Patienten haben. Wir müssen endlich darüber reden, wie viel dieser Gesellschaft der Dienst am Patienten letztlich wert ist.

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