Dement im Akutspital – was dann?

Akutspitäler sind nicht auf demenzkranke Patienten eingestellt. Spezielle Stationen wie im Stadtzürcher Waidspital sollen deshalb kantonsweit entstehen. Aus Sicht der Ärzte fehlt jedoch ein langfristiges geriatrisches Rehabilitationsangebot.

Dorothee Vögeli
Drucken
Demenzkranke brauchen in der Regel länger, um sich von einer Operation zu erholen. (Bild: Adrian Baer / NZZ)

Demenzkranke brauchen in der Regel länger, um sich von einer Operation zu erholen. (Bild: Adrian Baer / NZZ)

Betagte Menschen stürzen schneller als junge und landen häufiger wegen Knochenbrüchen im Akutspital. Sind sie dement, verwirrt sie der Ortswechsel zusätzlich – im schlimmsten Fall delirieren sie und wehren sich nicht selten mit beängstigenden Energien gegen Sonden und Medikamente. Doch ist das Personal auf den chirurgischen Abteilungen weder fachlich noch personell, noch von den Abläufen her auf mehrfach erkrankte Patienten eingestellt. Die Gesundheitsdirektion hat daher vor gut einem Jahr acht Akutspitälern im Kanton Zürich einen befristeten Auftrag für den Aufbau geriatrischer Stationen erteilt.

Defizitäre Akutgeriatrie

Am meisten Erfahrung auf diesem Gebiet hat das Zürcher Stadtspital Waid, das bis jetzt als einziges Listenspital einen definitiven Leistungsauftrag hat und eine Klinik für Akutgeriatrie mit 72 Betten betreibt. Seit letztem Jahr werden ältere Unfallpatienten bereits auf der Notfallstation geriatrisch abgeklärt. Das chirurgisch-geriatrische Co-Management umfasst zum Teil zeitintensive Gespräche mit Angehörigen und soll eine möglichst adäquate Therapie ermöglichen. Der Nutzen einer solchen integrierten Versorgung ist unbestritten, senkt sie doch die Risiken für Delirien und Infektionen.

Gleichwohl zeichnet Daniel Grob, Chefarzt der Akutgeriatrie am Waidspital, ein düsteres Zukunftsbild: Die stationäre Akutgeriatrie lohne sich finanziell nicht, lautet sein Fazit, ein Jahr nach Einführung der diagnoseabhängigen Fallpauschalen. Denn diese trügen dem pflegerischen Aufwand bei kognitiv eingeschränkten Patienten zu wenig Rechnung. Demenzkranke blieben rund doppelt so lang im Spital – was vor 2012 mit der Abgeltung pro Behandlungstag unproblematisch war. Zu den Gründen für den längeren Spitalaufenthalt von Demenzkranken zählen für Grob neben dem höheren Risiko für Komplikationen etwa der schlechtere Ernährungszustand oder psychisch wirkende Medikamente.

Nur ein Drittel aller Patienten kommt von zu Hause auf die Akutgeriatrie. Ihre Aufenthaltsdauer beträgt im Durchschnitt 18 Tage. Zwei Drittel werden von andern Kliniken überwiesen. Da diese Patienten kränker sind, bleiben sie im Schnitt knapp 26 Tage. «Klar, wir können mit demenzkranken Patienten umgehen. Gleichzeitig tragen wir aber die finanziellen Risiken für die andern Spitäler und werden für das Jahr 2012 ein Defizit verbuchen», hält Grob fest. Wie die Gesundheitsdirektion auf Anfrage mitteilt, kann der Kanton aufgrund des Spitalgesetzes den Kliniken leistungsbezogene Subventionen gewähren. Falls die Fallpauschalen in der Akutgeriatrie zu tief angesetzt sein sollten, können die Spitäler zudem bei der Swiss DRG AG eine Anpassung der Berechnungsgrundlagen beantragen, wie die Kommunikationsabteilung schreibt.

Rehakliniken nicht gewappnet

Damit ist aber für Grob ein zentrales Problem nicht gelöst: Seines Erachtens fehlen im Kanton Zürich geriatrische Rehabilitationskliniken für Menschen, die auch nach einer Früh-Rehabilitation im Spital noch nicht nach Hause zurückkehren können. Krankenkassen würden nicht selten Kostengutsprachen für eine weiterführende Rehabilitation ablehnen. Deshalb müsse er Fälle, die er eigentlich nach zwei bis drei Wochen abschliessen könnte, länger behalten, sagt Grob. Nicht selten würden die Krankenkassen vorschlagen, demente Patienten statt in eine Rehaklinik in eine Übergangspflege zu verlegen. Kost und Logis müssen die Patienten in diesem Fall aber selber bezahlen.

Eine Übergangspflege nach einem Spitalaufenthalt, welche die gesetzlichen Mindestanforderungen übersteigt, bietet die Stadt Zürich in drei Pflegezentren an. Sie umfasst nicht nur Therapien, die sich an den Bedürfnissen und am Tempo alter Menschen und Demenzkranker orientieren, sondern auch ein geriatrisches Assessment. Laut Gabriela Bieri, der ärztlichen Direktorin der Stadtzürcher Pflegezentren und Chefärztin des städtischen geriatrischen Diensts, ersetzt das Angebot teilweise die fehlende geriatrische Rehabilitation. Rund die Hälfte der letztes Jahr zugewiesenen 1500 Patienten konnte dank Unterstützung durch ein Fachteam nach Hause zurückkehren. Damit auch verwirrte Menschen ausserhalb der Stadt Zürich eine Chance bekommen, nach einem Spitalaufenthalt zu Hause wenigstens für eine Weile wieder funktionieren zu können, plädiert Bieri für Leistungsaufträge zur geriatrischen Rehabilitation.

Solche seien bewusst nicht vergeben worden und seien auch für die Zukunft nicht geplant, schreibt die Gesundheitsdirektion. Sie begründet dies folgendermassen: «Braucht ein geriatrischer Patient zusätzlich eine Rehabilitationsbehandlung, wird er in einer Rehaklinik im Rahmen der organspezifischen Rehabilitation behandelt. Die Reha-Patienten haben in erster Linie organspezifische Probleme, und erst in zweiter Linie sind sie alt (geriatrisch). Alle Rehakliniken behandeln diese Patienten bereits heute und haben den Auftrag, diese Patienten im Rahmen der organspezifischen Rehabilitation adäquat zu betreuen und zu behandeln.»

Fachleute wie Irene Bopp, leitende Ärztin der ambulanten Dienste am Waidspital, können über eine solche Sicht nur den Kopf schütteln. Sie illustriert die Problematik am Beispiel einer privat versicherten Frau mit einem komplizierten Bruch, die kürzlich von der Chirurgie in die Klinik für Akutgeriatrie verlegt wurde: «Da wir sie wegen ihrer Demenz nicht in eine Rehaklinik überweisen konnten, kam sie ins Pflegheim. Früher hätten wir sie wenigstens noch sechs Wochen mit Physio- und Ergotherapie im Spital betreuen können.» Auch Demenzkranke hätten ein Recht auf eine ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechende Rehabilitation, hält sie fest. Trotzdem wollen die Ärzte am Waidspital den Teufel nicht an die Wand malen: «Noch sind wir in der Lernphase. Das System wird sicherlich Fortschritte machen», meint Akutgeriatrie-Chef Daniel Grob.

Auch eine Chance

Roland Kunz, Chefarzt für Geriatrie am Spital Affoltern, geht noch einen Schritt weiter: Das neue System sei auch eine Chance, die Strukturen von Grund auf durchlässiger zu machen und zu ergänzen, sagt er. Ein besonderes Anliegen ist ihm das generelle Zusammenführen von körperlicher und psychiatrischer Medizin. Um Odysseen von mehrfach erkrankten Patienten durch die Institutionen zu vermeiden, ist das Spital Affoltern momentan mit der psychiatrischen Klinik Kilchberg und dem See-Spital im Gespräch. Das Ziel ist eine geriatrische Spezialabteilung mit psychiatrisch und somatisch geschultem Personal. Doch vorerst konzentriert sich das Spital auf die bauliche Realisierung der Station für Akutgeriatrie. Therapeutisch begleitet in Affoltern aber bereits seit einem Jahr geriatrisch geschultes Personal ältere, frisch operierte Patienten. Die Nachfrage sei schon heute nicht nur im eigenen Spital sehr hoch, versichert Kunz. Das Limmattal- und das Triemlispital zum Beispiel schickten oft verwirrte Patienten mit komplexer Problematik postoperativ nach Affoltern.

Kunz geht mit Grob darin einig, dass unter den Fallpauschalen der zeitliche Druck sehr hoch ist und das ambitionierte Therapieprogramm im Akutspital Demenzkranke überfordert. Neben einer reizarmen Akutgeriatrie plädiert er ebenfalls für geriatrische Rehabilitationsangebote für jene, die länger brauchen, bis sie wieder selbständig sind. Im Gegensatz zur Gesundheitsdirektion sagt Kunz: «Es braucht beides.»