10 Jahre DRG

"Kliniken mit breitem Spektrum sind benachteiligt"

Vor zehn Jahren wurden in den deutschen Kliniken die DRG eingeführt. Die Bilanz für die Universitätskliniken fällt sehr gemischt aus, sagt VUD-Generalsekretär Rüdiger Strehl im Interview.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:

Rüdiger Strehl

'Kliniken mit breitem Spektrum sind benachteiligt'

© Uni Tübingen

Generalsekretär des Verbands der Universitätsklinika seit 2006

Vorsitzender des Stiftungsausschusses der Universitätsmedizin Göttingen seit 2009

Kaufmännischer Vorstand des Uniklinikums Tübingen von 1993 bis 2008

Ärzte Zeitung: Herr Strehl, vor zehn Jahren wurde das Abrechnungssystem in den deutschen Kliniken von Tagespflegesätzen auf Fallpauschalen umgestellt. Welche positiven und negativen Aspekte verbinden Sie mit der DRG-Einführung?

Rüdiger Strehl: Positiv ist die Preisbildung für die Routinefälle mit Standarddiagnostik und -therapie, ähnlichen Verweildauern, ohne Komplikationen. Hiermit wurden überlange Verweildauern systemisch vermieden. Leistung und Preis stehen in einem transparenten und unstrittigen Verhältnis.

Problematisch sind Kostenunterschiede in Kliniken mit hoher Spezialisierung oder extrem unterschiedlichen Fallzahlen pro DRG. Bei gleichen Preisen werden hier wirtschaftlich extrem unterschiedliche Effekte generiert.

Benachteiligt werden Krankenhäuser mit breitem Leistungsspektrum und kleinen Fallzahlen pro DRG. Es ergeben sich so zwangsläufig Konflikte zwischen Fallpauschalensystem und Zielen der Versorgungsplanung für Krankenhäuser.

Weiterhin sind Nichtroutinefälle ein Problem. Das DRG-System wird deren Leistungen und Kosten nur teilweise gerecht. Diese Problematik ist Ursache für die Aufblähung des Katalogs, ohne dass sie damit zufriedenstellend gelöst wurde. Vermutlich hätte man unserem Rat folgen sollen, nur 80 Prozent der Leistungen über Fallpauschalen abzurechnen. Dem haben sich die Kassen stur widersetzt und die Politik ist ihnen gefolgt.

Was wurde aus der Sicht der Uniklinika bei der Einführung der DRG zu wenig berücksichtigt?

Das Preismodell DRG hat Schwierigkeiten mit nichthomogenen Fällen in der Hochleistungsmedizin. Dann werden die Besonderheiten der Einführung von Innovationen mit Hochpreiselementen bei der Markteinführung in den DRG, Zusatz- und Sonderentgelten viel zu verzögert erfasst.

Drittens sprengt die zunehmende Bedeutung von interdisziplinären Zentren den Ansatz von Einzelleistungen mit Fallpauschalen, weil durch die Kassen in den Budgetverhandlungen der angemessene Zuschlag weitgehend verweigert wird. Weiterhin fehlen Finanzierungen für die ärztliche Weiterbildung und die Notfallversorgung.

Hierin involvierte Krankenhäuser, vor allem auch die Uniklinika, haben deshalb erheblich Mehrkosten, die nicht erstattet werden.

Wo sehen Sie Änderungsbedarf?

Vor allem im Gesamtsystem. Das Teilsystem DRG wird funktional nur verständlich im Zusammenspiel mit dem Budgetsystem und der dualen Finanzierung.

Der deutschen Krankenhausfinanzierung fehlt ein ökonomisches Basismodell. Preis- und Budgetdeckel bei steigenden, teilweise galoppierenden Faktorpreisen, zu nennen sind hier zum Beispiel Ärztetarifverträge, Energie- und Pharmapreise, entziehen einer Betriebsführung für das Krankenhaus die rationale wirtschaftliche Grundlage und produzieren rote Zahlen oder nicht erwünschte Nebenfolgen.

Mengensteigerungen sind Folge und nicht Ursache dieses Problems. Politik und Kassen haben kein Konzept, ihr ökonomisches Konzept für die Branche, die Vermeidung von Mehrausgaben, mit einem Ökonomiemodell für Krankenhausbetriebe zu synchronisieren. Es ist eben ein Fehler, nicht zwischen Volks- und Betriebswirtschaft zu unterscheiden.

Zu warnen ist außerdem vor stereotypen Wiederholungen von Parteipolitikern, es gäbe noch nicht gehobene Wirtschaftlichkeitsreserven im Krankenhausbereich ebenso wie vor konzeptionell wenig durchdachten Forderungen der Kassen, mit Selektivverträgen die Einheitspreise zu unterlaufen und so zu richten, was die Planung politisch in Bund und Ländern nicht anpackt.

Welche Lösungsvorschläge haben Sie dafür?

Lösungen können nur in einer Planung gesehen werden, die Überkapazitäten abbaut. Stationäre und ambulante Versorgung müssen neuartig integriert werden, indem durch Planungen mit Zulassungen und Nichtzulassungen vorgegeben wird, wer was anbieten und abrechnen darf.

Wie sieht für Sie das optimale Vergütungssystem für Uniklinika aus?

Die Basisfinanzierung kann weiterhin über DRG-Pauschalen erfolgen in der Größenordnung von circa 80 Prozent der Fälle. Für den Rest, komplizierte Nicht-Standardfälle, Innovationen, Interdisziplinäre Zentren, Weiterbildung und Notfallleistungen sollten separate Extrabudgets oder Komplettzuschläge vorgesehen werden.

Diese Finanzierungen sollten teils aus dem Gesundheitsfonds teils aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft fließen.

Die Investitionsfinanzierung durch die Länder hat keine Zukunft wegen der Schwäche der Haushalte. Für die Krankenversorgung ist die Investitionsfinanzierung auf Monistik umzustellen, für Forschung und Lehre ist wieder eine Mischfinanzierung von Bund und Ländern einzuführen.

Ist die Ökonomisierung im Gesundheitswesen Ihrer Meinung nach zu weit fortgeschritten oder wird das Thema von Ärzteverbänden übertrieben dargestellt?

Die Medien greifen hier lediglich Thesen auf, die bei genauer Betrachtung der harten Wirklichkeit nicht standhalten. Natürlich ist es scheinheilig von der Politik, den Kliniken Unwirtschaftlichkeit vorzuhalten und ihnen gleichzeitig die Instrumente für eine wirtschaftliche Betriebsführung aus der Hand zu nehmen.

Genauso unglaubwürdig ist die Hypothese von der Ökonomisierung aus dem Munde der Ärzte. Wer verhandelt denn die Chefarzt- oder Ärztetarifverträge?

Primitive, instrumentalisierte Verkürzungen und einseitige Ideologisierungen sind über die Rolle der "Ökonomisierung" im Gesundheitswesen ebenso unangebracht wie Thesen zu überbordenden Moralisierungen, Verrechtlichungen, Bürokratisierungen etcetera. Keines dieser Prinzipien bestimmt allein die Alltagswelt der Medizin, aber alle sind zusammen zu denken.

Nicht Geld oder Medizin ist das Thema, sondern Medizin und Geld: Wie funktioniert dieses Verhältnis, was ist gewollt, was nicht intendiert aber trotzdem wirksam? Nur über solche Fragen nähert man sich der Funktion und Dysfunktion von Geld im medizinischen System. Dazu ist aber noch einige Beschäftigung mit dem Thema nötig.

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