Einfahrt zum Olgahospital: Doch nicht immer finden Kinder hier Aufnahme – mangels Personal musste das Krankenhaus wiederholt Patienten abweisen. Foto: Peter Petsch

Das Olgahospital gerät zunehmend auch in die Kritik niedergelassener Kinderärzte in Stuttgart. Seit Monaten werden ihre Patienten häufig aus Mangel an Pflegekräften in Deutschlands größter Kinderklinik nicht stationär aufgenommen. 43 Prozent der Mediziner überweisen ihre Patienten verstärkt in die Region. Mit Wohnungen soll nun um Mitarbeiter geworben werden.

Stuttgart - Seit Jahresbeginn ist die Zahl der Kinder, die vom Olgahospital an Kliniken in der Region verwiesen werden, auf rund 200 gestiegen, weil 15 Pflegekräfte fehlen. Die niedergelassenen Kinderärzte in Stuttgart attestieren dem Hospital hervorragende Arbeit, sprechen aber auch von erschreckenden Zuständen: „Selbst wenn ein Kind nicht lebensbedrohlich erkrankt ist, sind die Eltern im Ausnahmezustand“, sagt einer, der früher im Olgahospital gearbeitet hat und nicht genannt werden möchte. Er hält es für unzumutbar, dass er und seine Kollegen Kliniken für die Patienten suchen müssen.

Häufige Gründe für die stationäre Unterbringung sind, dass Kinder unter Atemnot leiden, wie die zweijährige Sera, die mit Lungenentzündung per Krankenwagen vom Olgahospital nach Böblingen transportiert wurde (diese Zeitung berichtete). Viele haben Flüssigkeitsmangel, brauchen Infusionen oder müssen überwacht werden. „Das können wir niedergelassenen Ärzte nicht leisten. Dafür ist die Klinik da“, sagt der Arzt. Er weiß, wie sehr Eltern mit ihrem kranken Kind leiden. „Sie haben riesige Angst.“ Eventuell mit einem Baby in die Region zu müssen, sei purer Stress. Selbst Krankenbesuche würden schwierig – vor allem, wenn Eltern kein Auto hätten.

Birgit Schmidt-Lachenmann, die in ihrer beruflich aktiven Zeit als Kinderärztin tätig war, hatte Angst um ihren 16 Monate alten Enkel. „Er kam mit starker Bronchitis ins Olgahospital. Erst nach drei Stunden wurde er untersucht, aber nicht behandelt. Die Eltern wurden mit ihm nach Ludwigsburg geschickt“, so die frühere Kinderärztin, die den Zustand des Jungen nicht als lebensgefährlich, aber als kritisch beschreibt. „Es war eine sehr belastende Situation für die Eltern, auch ich war in großer Sorge“, sagt sie und fordert, dass in einer „reichen Stadt wie Stuttgart, die sich „kinderfreundlich“ nenne, eine gute Versorgung kranker Kinder gewährleistet sein müsse.

„Die Situation ist eine schreckliche Erfahrung“

Unzufrieden ist auch Thomas Jansen, Sprecher der Stuttgarter Kinderärzte. Bei seiner Umfrage stellte sich heraus, dass 43 Prozent seiner Kollegen Kinder mit akuten Erkrankungen, die keine Maximalversorgung benötigen, vermehrt in Kliniken im Umland einweisen. „Ich habe das vor dem Krankenhausausschuss im Februar vorgetragen, geändert hat sich nichts“, klagt er und stellt fest, dass trotz guter Arbeit am Olgahospital der Ruf des Hauses beschädigt ist.

Die Problematik sieht Jansen darin, dass alle komplizierten Fälle, „ solche, mit denen andere Kliniken nicht zurechtkommen“, im Olgahospital landen und nicht adäquat, sondern per Fallpauschale von den Kassen vergütet werden. Er sagt aber auch: „Wir Stuttgarter Kinderärzte sind aufs Olgahospital angewiesen, weil es die einzige Kinderklinik in der Landeshauptstadt ist“, und er fordert: „Dort muss es wieder laufen.“

In der Chefetage des Olgahospitals ist die Betroffenheit groß: „Die Situation ist eine schreckliche Erfahrung. Jedes Kind, das wir nicht aufnehmen können, tut weh“, sagt der Ärztliche Direktor Franz-Josef Kretz. Seine Klinik, die in vielen Spezialbereichen europaweit vorne mitspielt, macht ausgerechnet gerade deshalb hohe Defizite. „Bei komplexen Krankheitsbildern mit großem medizinischem und personellem Aufwand machen wir 3,5 Millionen Euro pro Jahr Verlust, noch mal 3,5 Millionen fallen im ambulanten Bereich an“, sagt Kretz . Solche Defizite hatten in der Vergangenheit zur Folge, dass Stellen eingespart werden mussten. Dadurch steigen für die übrigen Mitarbeiter Stress und Arbeitsbelastung – mit dem Ergebnis, dass auch die Fluktuation steigt. Weil die hohen Mieten in der Landeshauptstadt Pflegekräfte abschrecken, sich nach Stuttgart zu orientieren , befürwortet Kretz die Überlegungen der Krankenhausverwaltung, Arbeitsplatz- mit Wohnungsangeboten zu kombinieren.

Wartezeit für Unterkünfte bis zu zwei Monate

Etwa 1000 Zimmer und Apartments im Besitz des Klinikums stehen für die rund 6800 Mitarbeiter des gesamten Klinikums zur Verfügung. Obwohl sie nicht mehr heutigem Standard entsprechen, gibt es Vormerklisten. Die Wartezeit für die rund 100 bis 300 Euro teuren Unterkünfte beträgt bis zu zwei Monate. Nach Informationen der Stuttgarter Nachrichten sollen sie der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) übertragen werden, die sie sanieren soll. Dadurch sind allerdings noch nicht mehr Wohnungen geschaffen. Außerdem werden die Mieten für sanierte Apartments steigen. Damit die Preise laut Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle „attraktiv bleiben“, wird derzeit mit der SWSG verhandelt.

FDP-Stadtrat Heinz Lübbe, selbst Mediziner und Mitglied des Krankenhausausschusses, ist skeptisch: „Das ist schneller versprochen als getan.“ Sein CDU-Kollege im Ausschuss, Cornelius Kübler, ebenfalls Mediziner, stellt fest: „So geht es nicht weiter. Wir müssen beim Personal nachjustieren und Jobpakete anbieten, die Kita-Platz, Parkplatz und eine Wohnung enthalten.“