Wird in deutschen Krankenhäusern nur noch auf Gewinn geschaut?

MaioDas wäre eine sehr einseitige Sicht. Richtig ist aber, dass es einen sehr gefährlichen Trend zur Ökonomisierung der Medizin gibt. Die Wirtschaftlichkeit eines Hauses wird immer mehr zum neuen Qualitätsmerkmal.

Woher kommt dieser Trend?

MaioVor zehn Jahren wurde das Abrechnungssystem der Krankenhäuser radikal umgestellt. Die Krankenkassen zahlen nicht mehr nach der Aufenthaltsdauer des Kranken, sondern eine einheitliche Fallpauschale je nach Krankheit des Patienten – also für einen Leistenbruch 2200 Euro, für ein künstliches Kniegelenk 9000 Euro – unabhängig davon, wie lange der Patient behandelt wurde. Das hat die Kliniken unter massiven wirtschaftlichen Druck gesetzt und in einen Konkurrenzkampf getrieben.

Aber ist wirtschaftliches Denken nicht auch im Krankenhaus wichtig?

MaioMan kann dieses Fallpauschalen-System nicht einfach verdammen. Die frühere Abrechnung nach Aufenthaltsdauer hat Verschwendung belohnt und zu langen Aufenthaltszeiten in den Krankenhäusern geführt. Jetzt ist das Pendel zu stark in die andere Richtung ausgeschlagen. Die Behandlung der Patienten wird nach dem Muster der industriellen Produktion organisiert und standardisiert. Die Pflege leidet sehr darunter, und viele Ärzte haben ein schlechtes Gewissen.

Warum?

MaioWeil sie oft das Gefühl haben, unter den ökonomischen Zwängen ihren Patienten nicht gerecht werden zu können. Die Medizin beugt sich der ökonomischen Logik und wird dadurch verformt. Der Patient aber sucht eine Sorgebeziehung und keine Geschäftsbeziehung zu seinem Arzt.

In die Kritik geraten sind auch Zielvereinbarungen und besondere Boni-Zahlungen für Chefärzte. Sollten sie abgeschafft werden?

MaioGefährlich sind sie, wenn sie therapeutische Entscheidungen beeinflussen. Wenn also der Chefarzt eine höhere Gehaltszahlung erhält, wenn er die Zahl der Rückenoperationen jedes Jahr um fünf Prozent steigert. Sinnvoll können solche Boni oder Zielvereinbarungen aber sein, wenn sie zum Beispiel die Zufriedenheit der Patienten und Mitarbeiter oder die Zahl der Fortbildungen belohnen.