Erpressung durch Angehörige

  • Liebe Mitdenker,

    haben Sie auch solche Fälle, wo Patienten oder Angehörige einfach nicht nachhause oder in eine Kurzzeitpflege entlassen werden wollen?
    Wie verhält man sich dann? Vor allem, wenn noch Pflege notwendig ist? Im konkreten Fall hatte der Patient und seine Angehörigen zunächst die Kurzzeitpflege gewünscht, dann aber am Tag vor der Entlassung plötzlich abgelehnt. Er wolle eine geriatrische Reha, die dann beantragt wurde, aber da kann man Wochen warten auf den Platz, und die obere Grenzverweildauer ist schon weit überschritten. Wie mir der Sozialdienst sagte, gibt es sehr oft Fälle von erpresserischem Verhalten im Blick auf die Entlassung. Macht sich der Arzt strafbar, wenn er den Patienten dann nachhause entlässt, wenn die Kurzzeitpflege abgelehnt wird?

    Freundliche Grüße aus der Lausitz

    E. Kosche

  • Hallo Frau Kosche,

    grundsätzlich ist der Wille des Patienten ausschlaggebend. Wenn Sie eine KZP für sinnvoll erachten und der Patient dies ablehnt, müssen Sie dies entsprechend dokumentieren. Strafrechtliche Konsequenzen dürften dann nicht folgen.
    Wir haben auch gelegentlich die Situation, dass ein Patient in eine weiterbehandelnde Einrichtung, Reha oder stationäre Pflege, verlegt werden kann, er aber im Krankenhaus bleiben möchte. Oftmals hat es hier bereits während des stationären Aufenthaltes Konflikte mit den behandelnden Ärzten oder den Pflegemitarbeitern gegeben. Wir versuchen dann, einen "neutralen" Mitarbeiter einzuschalten, z.B. Sozialarbeiter oder Casemanager. Wenn dies nicht hilft, informieren wir den Hausarzt und die Krankenkasse. Viele Kassen und Hausärzte kümmern sich um diese Probleme, sprechen mit den Angehörigen oder dem Patienten. Diskussionen wg. der Überschreitung der oGVD sind dann einfacher zu führen.
    Gruß, S. Stephan

  • Danke, Herr (oder Frau?) Stephan.
    Wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie, dass strafrechtliche Konsequenzen dann nicht folgen, wenn der Patient gegen seinen Willen entlassen wird, wenn alles gut dokumentiert ist. "Grundsätzlich ist der Wille des Patienten ausschlaggebend" ist dahingehend eingeschränkt, dass er natürlich nicht bestimmen kann, wie lange er dabehalten werden muss - richtig?

    Freundliche Grüße
    E. Kosche

  • Hallo Frau Kosche,

    bei medizinischen Behandlungen muss zunächst eine Indikation bestehen. Der Wille des Patienten ist dann nur im Rahmen der Indikation zu bachten, d.h. er darf zwar indizierte Behandlungen ablehnen aber keine nicht-indzierten Behandlungen verlangen (Kosmetische Operationen z.B. sind gegenseitige Privatverträge und haben Formal bzw. vertragsrechtlich nichts mit medziinischer Behandlung zu tun). Wenn die stationäre Behandlung nicht indiziert ist, kann sie der Patient (und schon gar die Angehörigen) nicht verlangen.

    Schwierig wird es allerdings, wenn zwar keine medzinische staionäre Behandlung, wohl aber eine irgendwie geartete Versorgung erforderlich ist, aber nicht vorhanden ist. Wenn der Patient selbst sagt, dass er unbedingt nach Hause möchte und sie ihn darüber aufgeklärt haben, dass Sie die dortige Versorgung für nicht ausreichend halten, mag das noch gehen (denn Unterbringen könnten Sie ihn dann nur gegen seinen expliziten Willen, und dafür wäre das Gericht einzuschalten). Der Wunsch der Angehören dagegen ist hier nachrangig. Wenn es eine Betreuung gibt und der Betreuer das nicht möchte, müsste in diesem Fall (unterschiedliche Ansicht über die Notwendigkeit bzw. den mutmaßlichen Willen / das Wohl des Patienten) das Betreuungsgericht eingeschaltet werden.

    Auf jeden Fall endet mit der medizinischen Indikation zur stationären Behandlung die Zahlungspflicht der Krankenkasse. Die medzinisch nicht indizierten im Krankenhaus verbrachten Tage müssten dann ggf. dem Patienten / den Angehörigen in Rechnung gestellt werden. Manchmal hilft vielleicht bereits ein solcher Hinweis.

    Gruß

    P.S.: Natürlich müssen Sie sich bei einer solchen Argumentation schon sicher sein, dass hinterher niemand eine weiterbestehende Indikation feststellt. Das macht die Sache natürlich riskant.

  • Danke, GW

    für die gute Klarstellung. Dem Patienten die nicht indizierten Krankenhaustage in Rechnung zu stellen hatte hier auch schon mal jemand erwogen, aber ich fürchte, dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage. Da müsste man wahrscheinlich vorher einen Vertrag machen mit dem Patienten für private Behandlung.

    Freundliche Grüße aus der spätsommerlichen Lausitz

    E. Kosche

  • Guten Tag zusammen,

    ich finde, der von Frau Kosche vorgestellte Fall ist hochinteressant und aus meiner Sicht bei weitem nicht geklärt. Die formalen Regeln sind hinreichend bekannt (medizinische Indikation, Behandlungsbedürftigkeit, Zahlungspflicht), die praktische Umsetzung - auch und gerade im Hinblick auf haftungsrechtliche Fragen bei Dissens zwischen Klinik und Patient/Angehörigen - in einem multimorbiden internistisch-geriatrischen Patientenklientel dagegen brisant.

    Die meisten dieser Patienten werden - auch wenn alles glatt und unstrittig läuft - nie "gesund" sondern lediglich "stabil" entlassen. Der MDK zieht die Grenze, wann seiner Meinung nach ein stabiler Zustand (auf welch niedrigem Niveau auch immer) erreicht ist, somit die medizinische Behandlung endet und eine rein pflegerische Versorgung dominiert, recht rigoros. Naturgemäß ist eine (erneute) Verschlechterung des Patientenzustandes um so wahrscheinlicher, je niedriger dieses Stabilitätsniveau angesiedelt ist.
    Bei Entlassung im Konsens wird diese Verschlechterung vermutlich von allen Beteiligten (Krankenhaus, Patient, Angehörige) als schicksalhafter Verlauf der chronischen Erkrankung verstanden werden (was sie in den meisten Fällen faktisch auch ist).
    Bei Dissens halte ich es dagegen für absolut denkbar, dass - trotz identischer medizinischer Rahmenbedingungen - der Klinik seitens der Angehörigen ein Vorwurf gemacht wird ("die haben sie/ihn zu früh entlassen und das ist das Ergebnis.."). Nicht auszuschließen, dass sich so ein Vorwurf auch in einer juristischen Auseinandersetzung niederschlägt und schließlich ein Gutachter auseinanderpflücken darf, was "hätte/wäre" usw....

    Im konkreten Fall war die Anschlussversorgung zudem ja bereits geklärt, wie Frau Kosche schreibt (KZP), nur vom Patienten aber kurzfristig nicht mehr in dieser Form gewünscht. Einfach nachhause ging nicht ohne weiteres, GeriReha (sofern sie denn überhaupt genehmigt wird) dauert. Was mache ich in so einem Fall in praxi? Den Patienten (gegen seinen Willen) in die KZP schicken? Geht natürlich nicht! Der KK anrufen und den Fall schildern, in der Hoffnung, diese lässt bei der Fehlbelegungsprüfung Gnade walten? Und WEN konkret rufe ich da an? Der "normale" Sachbearbeiter wird - wenn er sich denn überhaupt zuständig sieht - den Sachverhalt bestenfalls erst einmal aufnehmen.... Die Klinik dagegen steht von Anfang an unter dem Zeitdruck des Wirtschaftlichkeitsgebots, während sich eine KK in solchen Angelegenheiten kaum mit ihren Versicherten ernsthaft anlegen dürfte. Warum sollte sie auch? Das ökonomische Risiko ist für die KK hier null. Im Gegenteil, sie wird noch mit der Nase auf sekundäres Fehlbelegungspotential gestoßen, wenn die Klinik quasi selbst erklärt, es gehe nur um die Organisation der Weiterversorgung.

    Meine Überzeugung ist, in 99% der Kliniken werden Fälle wie der geschilderte so ausgehen, dass sich das KH im Zweifelsfall ohne Kassentelefonate o.ä. dem Pat-/Angehörigenwillen beugt, versucht, die gewünschte Maßnahme (hier: GeriReha) zu beantragen und die Tage >OVD ansonsten abschreibt.

    Das Patienten oder Angehörigen Rechnungen über nach dem Sozialrecht nicht vom Kostenträger zu vergütende Belegungstage gestellt werden, lese ich als "Tipp" zwar immer wieder, kenne aber niemanden, der dies schon einmal tatsächlich (erfolgreich) versucht hat.

    Persönlich würde es mich unwahrscheinlich interessieren, wie KK-/MDK-Vertreter (oder auch Juristen) das Problem - oder sollte ich sagen: Dilemma - sehen.

    Beste Grüße aus dem Nebel

  • Hallo,
    Sie haben als KH hier schon Möglichkeiten. Zum einen ist die Kasse verpflichtet, beim Übergang der verschiedenen Versorgungsbereiche zu unterstützen. Sie kann sich also nicht bequem zurücklehnen.
    Und dann gibt es noch den § 39c SGB V, der bei "fehlenden Terminen" oder Kostenzusagen wahre Wunder bewirken kann.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Guten Tag,

    aus der bei uns gängigen Praxis übernehmen wir die Kosten der stat. Krankenhausbehandlung bis zum Zeitpunkt der Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme durch uns. Es muss dafür nur zum Zeitpunkt der Antragstellung die medizinische Notwendigkeit für die stat. Behandlung bestanden haben und der Patient ist nicht in der Lage sich selbst (auch unter Einbeziehung einer Häuslichen Krankenpflege) zu versorgen.

    Für den Fall von Frau Kosch bzw. ähnlich gelagerte Fälle kann ich nur anbieten, dass Sie die Patienten darauf hinweisen, dass keine medizinische Notwendigkeit der stat. Behandlung im Krankenhaus vorliegt und die Krankenkasse Ihnen die weiteren Kosten vermutlich nicht bezahlen wird. Falls die Patienten (oder Angehörigen) damit ein Problem haben, so können Sie sich gerne an ihre Krankenkasse wenden. Falls diese dann eine weitere Kostenübernahme genehmigt sind Sie als Krankenhaus auf der sicheren Seite. Ansonsten muss die Krankenkasse bei der weiteren Versorgung des Patienten (Pflegeberatung, Vermittlung Häuslicher Krankenpflege oder Kurzzeit-/ Verhinderungspflegeeinrichtungen, Rehabilitationseinrichtungen) mithelfen.

    Mit freundlichem Gruß
    Steffen Kreye

  • Guten Morgen!


    Für den Fall von Frau Kosch bzw. ähnlich gelagerte Fälle kann ich nur anbieten, dass Sie die Patienten darauf hinweisen, dass keine medizinische Notwendigkeit der stat. Behandlung im Krankenhaus vorliegt und die Krankenkasse Ihnen die weiteren Kosten vermutlich nicht bezahlen wird. Falls die Patienten (oder Angehörigen) damit ein Problem haben, so können Sie sich gerne an ihre Krankenkasse wenden. Falls diese dann eine weitere Kostenübernahme genehmigt ...

    Was bei Vorliegen einer rein "sozialen Indikation" aber in der Realität keine einzige Krankenkasse genehmigen wird.

    Viele Grüße

    Frank K.

  • Guten Morgen,

    vorab die Bemerkung, der Ansatz von Herrn Kreye gefällt mir prinzipiell sehr gut und würde den Interessen aller Beteiligten am ehesten entsprechen. Ich vermute aber, es handelt sich dabei (nur) um individuellen "good will", d.h. die Sichtweise dürfte von Kasse zu Kasse bzw von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter unterschiedlich ausfallen. Wenn eine KK das Spiel wirklich hart nach Regeln spielen möchte, so muss gemäß BSG bis zum letzten Tag im KH ein med. Grund vorgelegen haben.
    So wie ich die Frage von Frau Kosche verstanden habe geht es aber darum, ob das Warten auf die spezielle, vom Pat. gewünschte Maßnahme (eine andere, von diesem abgelegnte - KZP - war ja bereits organisiert) komplett auf die Kappe des KH geht.
    Ob ein Hinweis an die Angehörigen u/o den Patienten zu den nicht von der KK übernommenen Kosten eines Krankenhauses selbige ernsthaft beeindrucken dürfte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Patienten, welche so altruistisch veranlagt sind, dass sie sich Sorgen um die finanzielle Situation des KH machen (welche sie selbst ja in keiner Weise tangiert) werden kaum den "Erpressungsversuch" starten. Die anderen stellen ohnehin ihre eigenen Interessen vornan, daher wird sie es kaum jucken, was KK und KH miteinander streiten.

    Beste Grüße

  • Ob ein Hinweis an die Angehörigen u/o den Patienten zu den nicht von der KK übernommenen Kosten eines Krankenhauses selbige ernsthaft beeindrucken dürfte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Patienten, welche so altruistisch veranlagt sind, dass sie sich Sorgen um die finanzielle Situation des KH machen (welche sie selbst ja in keiner Weise tangiert) werden kaum den "Erpressungsversuch" starten. Die anderen stellen ohnehin ihre eigenen Interessen vornan, daher wird sie es kaum jucken, was KK und KH miteinander streiten.

    Da haben Sie natürlich völlig recht!
    Beeindrucken dürfte die Patienten aber schon, wenn Sie vorab erfahren, welche Summen pro medizinisch überflüssigen KHS-Tag auf Sie zukommen könnten. Rein formal gilt ja $12 SGB V: Maßnahmen die unwirtschaftlich sind, dürfen Leistungserbringer nicht bewirken, Kostenträger nicht vergüten und Patienten nicht beanspruchen.
    Überspitzt formuliert, begehen KHS und KK einen Rechtsbruch, wenn sie das beschriebene Warten auf den Wunschplatz in der KZP untereinander in einem Deal finanziell regeln...

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier