Seelische Erkrankungen:In die Psychiatrie-Pauschale gepresst

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Eigentlich soll ein neues Gesetz die Vergütung in der Psychiatrie umkrempeln. Belohnt werden demnach vor allem schnelle Entlassungen. Ärzten bereitet dies Sorgen - und nun zweifeln auch Koalitionspolitiker an dem Beschluss.

Von Nina von Hardenberg

Die große Koalition könnte das heftig kritisierte neue Abrechnungssystem für psychiatrische und psychosomatische Kliniken im letzten Moment noch stoppen. Gerade schwerkranke Patienten würden durch das neue System benachteiligt, warnen Kritiker seit Langem. Nun haben sie bei der schwarz-roten Regierung offensichtlich Gehör gefunden. Die Koalition will die Regeln überprüfen. "So wie es derzeit in der Erprobungsphase ist, wird es 2015 nicht kommen", sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn, stellte zumindest den Starttermin zur Diskussion: "Wir müssen uns ganz genau anschauen, ob der verpflichtende Start für alle Häuser ab dem 1.1.2015 sinnvoll ist."

Das seit Langem beschlossene Gesetz würde im kommenden Jahr die Vergütung der Psychiatrien von Grund auf verändern. Erhalten die Kliniken bislang vom Alkoholiker bis zum akut suizidgefährdeten Depressionspatienten für alle Patienten den gleichen Tagessatz, so soll künftig nach Diagnosen unterschieden werden. Kurze Aufenthalte würden zudem im Schnitt höher vergütet als lange.

Beide Punkte lehnen Ärzte und auch Betroffenen-Verbände vehement ab. Ihre Sorge: Eine Unterscheidung nach Diagnosen könnte Kliniken verleiten, den Patienten bei gleichen Symptomen die jeweils höher vergütete Krankheit zuzuschreiben. "Was das dann mit den Menschen macht, interessiert keinen", sagt Brigitte Richter, Vorsitzende des Nürnberger Selbsthilfe-Vereins Pandora.

"Wir fürchten, dass Patienten instabil entlassen werden"

Auch die im Behandlungsverlauf sinkende Vergütung hält sie für fatal: "Wir fürchten, dass die Patienten instabil entlassen werden." Ihr Verein hat deshalb eine Onlinepetition beim Bundestag gestartet. Der Bundestag solle die Einführung der neuen Regeln verschieben und Alternativen prüfen, heißt es darin. Die Petition muss bis zum 24. Februar 50 000 Unterstützer finden, damit der Petitionsausschuss des Bundestages das Thema in einer öffentlichen Sitzung berät. In den ersten Tagen fanden sich allerdings erst einige Hundert.

Doch auch so dürfen die Kritiker hoffen, dass die Regierung ihr Anliegen aufgreift. Immerhin hat es das Thema in den Koalitionsvertrag geschafft. Schwarz-Rot kündigt dort "systematische Veränderungen" an und verspricht: "Ein neues Vergütungssystem in der Psychiatrie und Psychosomatik darf schwerst psychisch Erkrankte nicht benachteiligen." Andererseits betonen die Parteien darin auch, dass sie eine Reform für nötig halten, die diese Kliniken effizienter und transparenter macht.

Psychiatrien genießen in Deutschland einen Sonderstatus. Während andere Kliniken schon seit dem Jahr 2012 ihre Patienten nach Diagnosen abrechnen und seither immer mehr Menschen in kürzerer Zeit durchschleusen, hat man die psychisch Kranken bei der Reform 2012 bewusst ausgenommen. Zu unvorhersehbar schien der Krankheitsverlauf, als dass man ihn in eine Pauschale pressen könnte. Diese Bedenken gelten bis heute. Andererseits wissen alle, dass eine Reform auch für psychiatrische Kliniken kommen muss. Denn das jetzige System gleicher Pauschalen ist keineswegs gerecht, benachteiligt es doch ebenfalls Kliniken mit vielen schweren Fällen. Auch rechnen die Kliniken historisch bedingt sehr unterschiedliche Tagessätze ab von 150 bis 230 Euro.

Wie aber könnte eine gerechte Vergütung aussehen, die keine Patienten benachteiligt? Sie müsste möglichst genau die tatsächlichen Kosten abbilden, die ein Kranker jeden Tag verursacht. Das aber hängt nach Ansicht von Ärzten eben weder von seiner Krankheit noch allein von der Zeit ab, die er schon in der Klinik ist. "Eine Schizophrenie kann leicht oder schwer verlaufen. Ein Patient der lange stabil war, kann erst nach Wochen in der Klinik richtig zusammenbrechen und plötzlich rund um die Uhr eine Einzelbetreuung brauchen", sagt Thomas Pollmächer, Vorsitzender der Direktorenkonferenz des Verbandes der leitenden Ärzte in Psychiatrien. Er fordert deshalb einheitliche Tagessätze mit Zuschlägen für Patienten mit schweren Verläufen.

Krankenkassen und Kliniken haben nun das zuständige "Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus" beauftragt zu prüfen, wie solche Komponenten stärker berücksichtigt werden können. Ein erster Vorschlag wird an diesem Mittwoch mit Krankenkassen und Kliniken diskutiert.

© SZ vom 03.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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