Gesundheitswesen
Einführung der Fallpauschalen: Was aus den blutigen Entlassungen wurde

Die Horrorszenarien nach Einführung der Fallpauschalen haben sich bis jetzt nicht bewahrheite. Dafür steigen die Kosten an, obwohl das Gegenteil hätte eintreffen sollen .

Manuel Bühlmann
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Auf die OP folgt die Rehabilitation: Seitdem nach Fall- statt nach Tagespauschalen abgerechnet wird, kommen die Patienten tendenziell kränker zur Reha. Key

Auf die OP folgt die Rehabilitation: Seitdem nach Fall- statt nach Tagespauschalen abgerechnet wird, kommen die Patienten tendenziell kränker zur Reha. Key

Schrecklich tönt allein schon der Begriff. Die Angst vor blutigen Entlassungen war gross, als 2012 die Fallpauschale für Akutspitäler kam. Das Horrorszenario: Patienten werden von den Spitälern möglichst schnell nach Hause oder in die Reha-Kliniken entlassen – auch dann, wenn ihr Gesundheitszustand dies nicht empfiehlt.

Seit Einführung der Fallpauschale mit dem Swiss DRG-System verrechnen die Akutspitäler den Krankenkassen die Behandlungen nicht mehr mit einer Tagespauschale, also nach Dauer des Spitalaufenthalts. Stattdessen erhalten sie eine pauschale Entschädigung, berechnet nach festgelegten Faktoren wie Diagnose, Behandlung, Alter oder Geschlecht. Belohnt wird, wer Patienten schnell entlässt. Das Ziel: Wettbewerb steigern, Kosten senken.

Patienten bleiben weniger lang im Spital

Knapp zwei Jahre nach dem Systemwechsel drängt sich die Frage auf: Haben sich die Befürchtungen bewahrheitet? Nein, lautete die erstaunlich einhellige Antwort der Vertreter von Krankenversicherer, Reha-Kliniken und Akutspitäler am Schinznacher Round-Table diese Woche. «Die Spitäler versuchen, möglichst früh zu verlegen. Aber sie tun das nur, wenn dies auch möglich ist», sagte etwa Beat Schläfli, Direktor der aarReha Schinznach. Und Verena Nold, Direktorin von Santésuisse, hielt aus Sicht der Krankenversicherer fest: «Die Patienten haben keinen Schaden genommen. Zum Glück gibt es keine blutigen Entlassungen.»

Beim Kanton bestätigt man diesen Eindruck: «Es gibt keine soliden Hinweise auf blutige Entlassungen seit der Einführung des Fallpauschalensystems.»

Dennoch bleiben Patienten im Durchschnitt immer weniger lang im Spital. Im Kantonsspital Baden (KSB) beispielsweise sank die durchschnittliche Aufenthaltsdauer seit 2009 von 6,55 auf 5,71 Tage. Der Trend setzt sich auch nach Einführung der Fallpauschalen 2012 fort. In Aarau lässt sich eine ähnliche Entwicklung beobachten. Sprecherin Andrea Rüegg erklärt die Reduktion allerdings nicht nur mit dem Systemwechsel, sondern auch mit dem medizinischen Fortschritt und dem Wunsch der Patienten nach möglichst kurzen Spitalaufenthalten.

Natürlich schaue auch das KSB, die Prozesse optimieren zu können, sagt Mediensprecher Marco Bellafiore. Von blutigen Entlassungen sei ihm aber nichts bekannt, sagt Bellafiore. «Patienten zu früh aus dem Spital zu entlassen, ist nicht nur unethisch, sondern auch unwirtschaftlich.»

Ausgaben für Reha steigen überdurchschnittlich

Der Grund: Werden Patienten von der Reha-Klinik innerhalb von 18 Tagen wieder zurück ins Spital überwiesen, wird der Fall unter derselben Pauschale verrechnet – Fallzusammenführung nennt sich das. Anders gesagt: Das Spital verdient nichts an den zusätzlichen Behandlungen. Allein schon wegen der Fallzusammenführung lohne es sich für die Akutspitäler nicht, Patienten zu früh zu entlassen, sagt Martha Brem, Mediensprecherin der Klinik Barmelweid. «Dieser Mechanismus spielt.»

Die Anzahl der Rückverlegungen von Patienten, die zu früh in der Reha-Klinik landen und wieder zurück in die Akutspitäler müssen, sei seit 2012 nicht gestiegen, heisst es bei den Reha-Kliniken. Allerdings melden sie ein anderes Phänomen: Die Patienten kommen kränker und unselbstständiger zur Rehabilitation. Dazu trägt neben der neuen Verlegungsstrategie auch die demografische Entwicklung bei. «Es gibt mehr ältere und mehr kränkere Menschen», sagt Martha Brem.

Die Ausgaben haben seit der Einführung der Fallpauschalen zugenommen – auch wenn der Systemwechsel das Gegenteil hätte bewirken sollen. Seit 2012 seien die Kosten in den Spitälern um rund sieben Prozent gestiegen, sagt Verena Nold von Santésuisse. Die Schuld dafür liege aber nicht allein bei den Fallpauschalen.

Überdurchschnittlich stark sind die Kosten im Reha-Bereich gestiegen – um rund zehn Prozent, wie Santésuisse vorrechnet. Dies lässt sich einerseits mit einer Zunahme der Fälle erklären, andererseits sind auch die Kosten gestiegen – vor allem aufgrund längerer Aufenthalte. Als heimliche Gewinner des Systemwechsels wollte am Schinznacher Round-Table die Reha-Kliniken dennoch niemand bezeichnen. Dafür sei es noch zu früh, lautete der Grundtenor.