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Jede siebte deutsche Klinik ist überflüssig

Viele Krankenhäuser könnten in den nächsten Jahren vom Markt verschwinden Viele Krankenhäuser könnten in den nächsten Jahren vom Markt verschwinden
Viele Krankenhäuser könnten in den nächsten Jahren vom Markt verschwinden
Quelle: Infografik Die Welt
Es gibt zu viele Krankenhäuser in Deutschland, die zu viele Patienten unnötig behandeln, klagen die Krankenkassen. Sie fordern radikale Reformen. Für schlechte Kliniken wollen sie nicht mehr zahlen.

Worum geht es

Jede siebte Klinik in Deutschland ist überflüssig und könnte geschlossen werden, ohne die Versorgung der Patienten zu verschlechtern. 99,6 Prozent der Deutschen können das nächste Krankenhaus der Grundversorgung innerhalb von 30 Autominuten erreichen, ergab ein Gutachten des Forschungsinstituts RWI für den Verband der Ersatzkassen (vdek).

Nur 0,4 Prozent oder 300.000 Bürger brauchen länger, um zu einer Klinik mit zumindest einer Abteilung für Innere Medizin und Chirurgie zu kommen. Für sie müsse die Flugrettung und die Telemedizin ausgebaut werden.

Auch Maximalversorger, die kompliziertere Fälle behandeln könnten, seien für 96,3 Prozent der Deutschen innerhalb von einer Stunde Autofahrt zu erreichen.

„Zu viele kleine Einheiten, eine zu hohe Krankenhausdichte, zu wenig Spezialisierungen, eine zu geringe Qualitätsorientierung“ – so beschreibt RWI-Gesundheitsexperte Boris Augurzky die Probleme der deutschen Kliniken. Auf 200 der 1300 Grundversorger könnte problemlos verzichtet werden, sagt Augurzky.

Jede dritte Klinik machte 2012 einen Verlust

Die Ersatzkassen fordern als Konsequenz eine radikale Reform der Krankenhauslandschaft und eine bessere Planung. Eine grundlegende Klinikreform plant auch die große Koalition. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll Lösungen suchen. Bislang gibt es keine bundesweite Planung – für die Krankenhäuser und die Investitionen sind die Länder zuständig.

Die Krankenkassen finanzieren über Fallpauschalen für die behandelten Patienten den laufenden Betrieb. Da die Länder die Investitionen zurückfahren, stehen die Kliniken unter erheblichem wirtschaftlichen Druck. Jedes dritte Haus machte 2012 einen Verlust. 16 Prozent sind von der Pleite bedroht.

Die Kassen werfen den Kliniken unnötige Krankenhausaufenthalte und unnötige Operationen vor, mit denen sie ihre Einnahmen in die Höhe treiben. „Das wollen wir unseren Versicherten nicht mehr zumuten“, sagte Vdek-Chefin Ulrike Elsner.

Seit 2005 sind die Ausgaben der Kassen für die Krankenhausbehandlungen um 32 Prozent auf knapp 65 Milliarden Euro gestiegen. Nur etwa ein Drittel des Anstiegs sei dadurch zu erklären, dass die Menschen älter und kränker geworden seien, sagte Elsner.

„Der Druck im Kessel wächst“

Die Krankenhaus-Kapazitäten würden häufig am Bedarf der Bevölkerung vorbeigeplant, die Qualität eines Krankenhauses und die ambulante Versorgung durch Haus- und Fachärzte zu wenig berücksichtigt.

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Die Krankenkassen als Hauptfinanziers müssten mehr Mitspracherechte bekommen. Elsner forderte „intelligente Lösungen“ für Kliniken, die schließen müssten. Sie könnten künftig etwa als Pflegeheime oder auch Versorgungszentren genutzt werden.

Bislang sperren sich Landes- und Kommunalpolitiker gegen die Schließung oder Fusion von Krankenhäusern. „Doch der Druck im Kessel wächst“, meinte Augurzky.

2020 steht nach Berechnungen des RWI schon fast jedes dritte Haus vor der Insolvenz. Der Fachkräftemangel komme hinzu. Für die klammen Kliniken werde es immer schwerer, Ärzte und Pfleger zu finden.

Angeschlagene Kliniken sollen „Sicherungszuschlag“ erhalten

Die Kassenchefin forderte bundesweite Standards für die Qualität und Erreichbarkeit, die Grundlage der Planung sein sollten. Das könnten Mindestmengenregelungen wie heute schon bei den Knie-Operationen aber auch Personalvorgaben sein.

So habe der Gemeinsame Bundesausschuss aus Krankenkassen, Ärzten und Kliniken bereits festgelegt, wie viele Kinderkrankenpfleger Frühchen auf einer Neugeborenenstation betreuen sollen. Ein Rettungsdienst für Notfälle müsse innerhalb von zwölf Minuten eintreffen – wie es heute schon in einigen Ländergesetzen festgeschrieben ist.

Für schlechte Leistungen in den Krankhäusern wollen die Kassen nicht mehr bezahlen. „Krankenhäuser, die längerfristig schlechte Qualität erbringen oder besonders viel unnötige Operationen durchführen, sollten von der Versorgung ausgeschlossen werden“, forderte Elsner.

Umgekehrt wollen die Kassen besonders gute Krankenhäuser belohnen und mit ihnen „Selektivverträge“ – etwa für planbare Operationen – abschließen. Krankenhäuser, die aus wirtschaftlichen Gründen schließen müssen, oder weil sie die Qualitätsanforderungen nicht erreichen können, sollten einen „Sicherungszuschlag“ erhalten, wenn es für die Patienten kein anderes Angebot im 30-Minuten-Umkreis gibt.

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