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Hygieneskandal an Uni-Klinik Mannheim Totes Insekt im OP-Besteck

Haare, Keime und Knochensplitter an vermeintlich sterilen Instrumenten: In der Uni-Klinik Mannheim sind die Zustände internen Unterlagen zufolge noch schlimmer als bislang bekannt.
Steriler OP? Das Uni-Klinikum Mannheim hat mit Hygienemissständen zu kämpfen

Steriler OP? Das Uni-Klinikum Mannheim hat mit Hygienemissständen zu kämpfen

Foto: Uwe Anspach/ picture alliance / dpa

In Mannheim eskaliert der Streit um Hygienemängel im Operationsbereich des Uni-Klinikums: Der SPD-Oberbürgermeister sieht sich im Zentrum einer "Kampagne", der Dekan der Medizinischen Fakultät befürchtet "schwere und nachhaltige Schäden", der Aufsichtsrat des Klinikums tritt zu einer Sondersitzung zusammen.

Während die Amtsträger über die katastrophalen Hygienezustände in dem Krankenhaus zanken, arbeitet das Universitätsklinikum nur mit halber Kraft: Der OP-Betrieb kam schon in der vergangenen Woche fast zum Erliegen, Eingriffe fallen aus, Patienten werden nach Bensheim und Heidelberg ausgelagert. Neben den finanziellen Einbußen ist vor allem der Imageschaden gewaltig.

Lange war die Uni-Klinik mit 55.000 Patienten im Jahr und 20.000 Operationen der Stolz Mannheims. Organisatorisch ist das Krankenhaus ein Zwitter. Die Stadt ist für die kaufmännische Seite zuständig, das Land für Forschung und Lehre. Stolz sind Stadt und Geschäftsführer Alfred Dänzer darauf, dass das Hospital 4,5 Millionen im Jahr 2013 und im Vorjahr sogar knapp sechs Millionen Euro erwirtschaftete. Doch nun stellt sich die Frage: Wurde der rentable Betrieb mit einem harten Sparkurs und in der Folge mit Schlamperei und Unterausstattung erkauft?

Nach einer anonymen Anzeige hatte das Regierungspräsidium Karlsruhe Anfang Oktober Teile des OP-Betriebs wegen Hygienemängeln stillgelegt und mehr als ein Dutzend nichtqualifizierte Mitarbeiter nach Hause geschickt. Vergangenen Mittwoch legte die Behörde nach: Sie fanden erneut Instrumente, die eigentlich nicht hätten verwendet werden dürften. Die Mitarbeiter fühlten sich düpiert und riefen die Staatsanwaltschaft in die Klinik.

Klinikgeschäftsführer Alfred Dänzer rechtfertigte die Probleme bisher damit, dass "auf dem Markt kein qualifiziertes Personal vorhanden gewesen" sei. Im Übrigen habe es aus dem Haus "keinerlei Hinweise" auf die Probleme gegeben. Nun gibt die Klinik keine Stellungnahme mehr ab.

Stattdessen reden die Mitarbeiter. Lange haben sie aus Loyalität geschwiegen, jetzt zeigt sich, dass die Probleme lange bekannt waren. Im CIRS, einem Qualitätsmanagement-Tool der Klinik für anonyme Beschwerden und Verbesserungsvorschläge, sind insbesondere Defizite im Sterilisationsbereich seit mehr als zwei Jahren vermerkt. Das Beschwerdesystem enthält Dutzende Hilferufe des Personals, die die Klinikleitung längst hätten alarmieren müssen.

Haare und Knochensplitter

Schon im März 2012 hieß es in einer Antwort der Arbeitsgruppe, die die Beschwerden bearbeitet: "Es wurde besprochen, dass die Mitarbeiter der Sterilisation regelmäßig an den Instrumentenschulungen teilnehmen sollen." Die jedoch fanden offenbar nicht oder nur unzureichend statt. Die Pannen nahmen zu, die Hilferufe von Ärzten und Pflegern wurden dringlicher. Im Juni 2013 fragte ein Pfleger: "Wie viel Verantwortung für regelwidriges Verhalten soll die Pflege noch tolerieren?" Einige Monate später war zu lesen: "Wir sind kein Produktionsbetrieb, hier geht es um Menschenleben."

Im Oktober 2013 monierte ein Arzt schlimme Mängel am Operationsgerät: "Regelmäßig sind Siebe (Instrumentenkästen - d. Red.) unvollständig gepackt oder Instrumente und Geräte nicht vollständig funktionstüchtig." Und weiter: "In meiner OP heute fehlten vier Instrumente." Etwa zur gleichen Zeit wurden nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen in zwei Sieben der Orthopädieabteilung Staphylokokken nachgewiesen. Der Befund wurde auch der Geschäftsleitung gemeldet. Abhilfe geschaffen wurde offenbar nicht.

Ein OP-Mediziner bestätigt die Missstände. Vielfach hätten bei Operationen mehrere sterilisierte Instrumentensätze geöffnet werden müssen, weil darin Werkzeug fehlte. "Die Siebe sind fehlerhaft gepackt", sagt der Zeuge. Auch er berichtet von verschmutzten Geräten, weil sie unzureichend vorgereinigt waren oder die Sichtkontrolle ausfiel. "Es gab Haare und Knochensplitter, wo sie nicht sein sollten." Ein CIRS-Eintrag berichtet Anfang 2014 sogar von einem Insekt im Operationsbesteck: "Beim Öffnen eines OP-Siebes befand sich im sterilen OP-Sieb eine tote Fliege."

Das Mannheimer Personal verzweifelte schier an der Untätigkeit der Verantwortlichen. Im November 2013 war in CIRS zu lesen: "Patienten müssen verschoben werden, weil nicht genügend Instrumente/Siebe in einem Haus der Maximalversorgung zur Verfügung stehen." Und nur ein paar Tage später fast schon flehentlich: "Bitte, bitte lassen Sie es nicht dazu kommen, dass Patienten zu Tode gespart werden. Mehr, viel mehr Personal im Steri (Sterilisationsbereich - d. Red.)."

Nach wie vor ein "gut geführtes Haus"

Obendrein ist ein offener Streit zwischen der Stadt, die die Klinik betreibt, und dem universitären Teil, der Fakultät, entbrannt. In einem offenen Brief schreibt der Dekan der Medizinischen Fakultät, Uwe Bicker, an Oberbürgermeister und Aufsichtsratschef Peter Kurz (SPD): "Vergleichbare Vorgänge hat es nach unserer Kenntnis an einer deutschen Universitätsklinik bisher nicht gegeben." Der Ruf der Fakultät sei "deutschlandweit nachhaltig geschädigt". Die Mängel seien "einem betriebswirtschaftlichen Kalkül und dem Willen nach Kostensenkungen" geschuldet. Kurz verstand den Brief als Kampfansage. Er spricht weiter von einem "gut geführten Haus" und sieht einen "einmaligen Vorgang der Selbstgefährdung der Fakultät", die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Fakultätsführung "kaum mehr möglich" mache, berichtete der "Mannheimer Morgen" . Für Mittwoch hat er den Aufsichtsrat zu einer Sondersitzung einberufen und kündigte an, vorher mit den Chefärzten sprechen zu wollen.

Die Gespräche drängen, denn inzwischen drohen auch zivilrechtliche Konsequenzen. Eine Anwältin prüft eine Schadensersatzklage im Auftrag eines heute 66-jährigen, der sich bei einer Knie-OP im Jahr 2009 eine Infektion zuzog und heute nur noch an Krücken gehen kann. Es war in dem OP-Bereich unters Messer gekommen, in dem die meisten Beschwerden wegen unsteriler Instrumente angefallen waren.

Erste Konsequenzen hat die Klinikleitung nun gezogen. In einer Krisensitzung gab Geschäftsführer Dänzer die Parole aus, ab sofort allen Vorgaben des Regierungspräsidiums Folge zu leisten: "Geld spielt jetzt keine Rolle."