«Wir fordern nationale Standards – Umsetzung muss aber kantonal bleiben»

Der Zürcher Regierungsrat und Vizepräsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren, Thomas Heiniger, nimmt zur Verantwortung und Rolle der Kantone in der Gesundheitsversorgung Stellung.

Interview: Claudia Schoch
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Herr Regierungsrat Heiniger, im Gesundheitswesen setzt der Bund viele Inputs. Bleibt da noch Raum für die Eigenständigkeit der Kantone? Oder sind sie zu reinen Vollzugsorganen degradiert?

Die Kantone haben die Voraussetzungen und Möglichkeiten, eine eigenständige Gesundheitspolitik zu verfolgen. Es liegt in ihrer Verantwortung, diese Aufgabe wahrzunehmen, so dass die Gesundheitsversorgung für ihre Bevölkerung stimmt. Sie orientieren sich an den Erfordernissen für den eigenen Kanton. Das heisst aber nicht, dass der Blick nur bis zur Kantonsgrenze reicht: Die Kantone stehen bei ihren Planungen auch vor der Herausforderung, zusammenzuarbeiten und über die eigenen Kantonsgrenzen hinauszudenken.

Aber, der Bund bestimmt doch weitgehend, was an medizinischen Leistungen angeboten wird.

Er bestimmt, welche Leistungen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bezahlt werden. Aber es liegt in der kantonalen Hoheit, wie diese Leistungen sinnvoll medizinisch gruppiert werden. Der Kanton Zürich etwa hat mit seinem Leistungsgruppensystem in der Spitalplanung eine eigentliche Vorreiterrolle für die Schweiz gespielt.

Es bleibt somit trotz der massiven Zunahme des Bundesrechts genügend Freiraum für die Kantone.

Die Kantone bleiben in der Verantwortung. Das heisst aber auch: in der Verantwortung, den Handlungs- und Gestaltungsspielraum, über den sie nach wie vor verfügen, richtig umzusetzen. Das gilt für alle Kantone, unabhängig von ihrer Grösse. Sie sind dabei gefordert, die Versorgung pyramidenförmig sicherzustellen: von der im eigenen Kanton zu organisierenden Grundversorgung über den Einbezug regionaler Zentrumsspitäler – sei dies im eigenen Kanton oder in Zusammenarbeit mit Nachbarkantonen – bis zur schweizweit koordinierten hochspezialisierten Medizin. So will es auch das Krankenversicherungsgesetz (KVG).

Sind je nach Kanton Unterschiede in der Qualität der Versorgung festzustellen?

Qualität hat in der Gesundheitsversorgung verschiedene Aspekte: Die Zugänglichkeit gehört ebenso dazu wie das Angebot insgesamt oder die konkret erbrachte medizinische Leistung. Die Qualität des Systems hängt also direkt von den Leistungen, Fähigkeiten und Routinen der Ärzte und Spitäler ab. Sie wird aber auch beeinflusst durch den einzelnen Kanton, zum Beispiel im Rahmen seiner Spitalplanung. Hier sind Unterschiede festzustellen. Etwa beim Einbezug von Fall- beziehungsweise Mindestfallzahlen.

Versorgen Zürichs Spitäler neben der eigenen auch die Bevölkerung benachbarter Kantone?

Ja, Zürcher Spitäler haben Leistungsaufträge von anderen Kantonen, und sie kooperieren selbst in verschiedensten Bereichen mit anderen Spitälern auch über die Kantonsgrenzen hinaus. Umgekehrt finden sich auf den Zürcher Spitallisten ausserkantonale Leistungserbringer. Das alles dient der Koordination unter den Kantonen. Diese leisten wir, fordern sie aber auch von unseren Nachbarn. Wo dies nicht der Fall ist, kann es zu einer gerichtlichen Beurteilung kommen.

Es besteht also ein Konfliktpotenzial?

Die neue Spitalplanung ist erst drei Jahre alt. Die allgemeinen Grundsätze und das gemeinsame Grundverständnis müssen sich daher erst noch festigen. Das gilt zum Beispiel für die kantonsübergreifende Zusammenarbeit der Leistungserbringer.

Ist es denn wirklich sinnvoll, dass jeder Kanton seine Spitalplanung einzeln erstellt? Wäre es nicht zweckmässiger, grössere Planungsräume zu schaffen?

Nein, die Planungsverantwortung liegt sinnvollerweise beim Kanton. Das ist im Gesundheitswesen nicht anders als bei der Bildung oder der Sicherheit. Hingegen ist es nicht zweckmässig, wenn sich kleinere Kantone ihre eigene spezialisierte oder gar hochspezialisierte Versorgung aufbauen würden. Dazu sind Zentren besser geeignet, die grossräumig die Versorgung abdecken – das gilt in qualitativer wie in wirtschaftlicher Hinsicht.

Vertrauen die Kantone auch innerkantonal auf das Prinzip der Subsidiarität?

Wichtiger Ausfluss der kantonalen Planungs- oder Steuerungshoheit ist es gerade, dass jeder Kanton die innerkantonalen Verhältnisse selbst ordnet. Jeder bestimmt, was im Verantwortungsbereich der Gemeinden und was in jenem des Kantons liegt, und legt fest, in welchen Strukturen die Versorgungsverantwortung wahrgenommen werden soll.

Wie sieht das in Zürich aus?

Der Kanton Zürich hat mit seiner neuen Spitalplanung sinnvolle Rahmenbedingungen unter gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen für die Spitäler geschaffen. Diese sind von ihrer Trägerschaft und Rechtsform her sehr unterschiedlich. Durch die Entflechtung der Aufgaben und Finanzströme sind zudem klare Kompetenzen geschaffen worden: Für den Pflegebereich – Heime und Spitex – sind die Gemeinden verantwortlich. Für die stationäre Akutversorgung hingegen ist der Kanton zuständig.

Stellen die Kantone für Entwicklungen im Gesundheitswesen einen Motor oder doch eher einen Hemmschuh dar? Und welche Rolle spielt der Bund?

Auch die Kantone sind Motoren. Ihnen kommt zum Beispiel eine Laborfunktion zu. Dieser «Laborföderalismus» schafft Möglichkeiten, im Kanton etwas anzustossen, das sich später vielleicht gesamtschweizerisch durchsetzen wird. Ich erinnere an die Institution des Medical Board, die in Zürich als Pilotprojekt gestartet wurde und inzwischen auf nationaler Ebene mit einer breit abgestützten Trägerschaft etabliert ist.

Sie akzeptieren also die faktische Gegebenheit, dass Bereiche, die viel Spezialistenwissen und Fachqualität verlangen sowie teuer sind, auf nationaler Ebene geregelt werden?

Wir fordern gar vom Bund nationale Standards oder nationale Bemühungen und Lösungen. Die Qualitätsanforderungen etwa, die das KVG ins Zentrum stellt, müssen landesweit definiert werden. Auch im Präventionsbereich brauchen wir nationale Vorgaben. Doch die Umsetzung muss schwergewichtig den Kantonen überlassen bleiben. Sie haben den direkten Draht zur Bevölkerung.

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