Der Zentralismus im Gesundheitswesen wächst

Rasante Fortschritte in der Medizin und wachsende Gesundheitskosten führen zu Kompetenzverschiebungen von den Kantonen auf den Bund. Den Kantonen muss dabei aber weiter eine wichtige Rolle verbleiben.

Claudia Schoch
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Bundesbern wird zunehmend aktiv im Gesundheitswesen. (Bild: GAETAN BALLY / Keystone)

Bundesbern wird zunehmend aktiv im Gesundheitswesen. (Bild: GAETAN BALLY / Keystone)

Das Gesundheitswesen gilt an sich als Domäne der Kantone. Nur punktuell sind in der Bundesverfassung an den Bund delegierte Kompetenzen verankert. Dennoch wird Bundesbern zunehmend umfassender aktiv. Die Hauptverantwortung liegt dabei aber eigentlich noch immer bei den Kantonen. Umfassende Kompetenzen haben die Bundesbehörden bei der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnologie im Humanbereich sowie bei der Transplantationsmedizin. Ferner hat der Bund für den Schutz der Gesundheit zu sorgen, wobei es um den Lebensmittelschutz, den Umgang mit Heilmitteln und Betäubungsmitteln sowie Chemikalien und die Bekämpfung von übertragbaren und bösartigen Krankheiten geht. Weiter fällt die Regelung der Forschung am Menschen in die Verantwortung des Bundes.

KVG Einfallstor für den Bund

Das Einfallstor für eine weitreichende Einflussnahme des Bundes auf das Gesundheitswesen stellt indessen die ihm übertragene Kompetenz zum Erlass von Vorschriften zur Kranken- und Unfallversicherung dar. Getrieben vom medizinisch technischen Fortschritt und unter dem Eindruck der wachsenden Kosten, nutzt er sie zunehmend extensiver. Er steuert, zumindest beeinflusst fast die gesamte medizinische Versorgung.

Als umfassende Strategie für das Gesundheitswesen hat der Bundesrat etwa die im Januar 2013 verabschiedete Gesamtschau «Gesundheit2020» überschrieben. Darin formulierte er 36 Massnahmen, mit denen in den Bereichen des Gesundheitssystems die Lebensqualität gesichert werden soll. Im September des gleichen Jahres hatte Gesundheitsminister Alain Berset zur ersten nationalen Konferenz «Gesundheit2020» eingeladen. Rund 350 Vertreter aller wichtigen Organisationen des Gesundheitswesens setzten Prioritäten hinsichtlich der Ziele und Massnahmen der bundesrätlichen Strategie und bezeichneten die Partner für die Umsetzung. Doch wie passen solche Aktivitäten zur kantonalen Zuständigkeit für das Gesundheitswesen?

Über das Krankenversicherungsgesetz (KVG) bestimmt Bundesbern, welche medizinischen Leistungen entschädigt werden. Damit ist aber weitgehend auch gesagt, welche medizinischen Leistungen der Grossteil der Bevölkerung nutzen kann. Die Preise der Leistungen handeln zwar die Tarifpartner – Leistungserbringer und Krankenversicherer – aus, und die Kantone genehmigen sie. Die Wertigkeit der Leistungen wird jedoch über die Tarifstruktur auf Bundesebene bestimmt. Zunächst ist auch sie durch die Tarifpartner auszuhandeln, im Falle der Uneinigkeit entscheidet der Bund. So nahm der Bundesrat, nachdem sich die Tarifpartner nicht hatten einigen können, auf welchem Weg die Hausarztmedizin finanziell bessergestellt werden soll, das Heft in die Hand. Das Parlament hatte ihm dazu im KVG die subsidiäre Kompetenz erteilt.

Bundesbern macht den Kantonen aber auch ganz direkt Vorgaben für die Prämienverbilligung, die Finanzierung beziehungsweise Überwälzung der Pflegekosten, setzt Eckwerte für die Zulassung von Leistungserbringern, schreibt Planungskriterien und Kriterien für die Preisgestaltung usw. vor. Das Gesetz über die Krankenversicherung hat sich im Laufe der Zeit zu einem eigentlichen Gesundheitsgesetz für die gesamte Schweiz entwickelt.

Die Tendenz, zentrale beziehungsweise gesamtschweizerische Ordnungen im Gesundheitswesen zu finden, geht aber nicht nur von Bundesbern aus. Auch die Kantone arbeiten daran. Das Krankenversicherungsgesetz fordert sie zunächst auf, ihre Spitalplanung zu koordinieren. Die Planung erfolgt zwar noch immer in den Kantonen einzeln. Diese sind jedoch mit Blick auf eine effiziente Versorgung über die Kantonsgrenzen hinweg zur Zusammenarbeit mit Spitälern ihrer Nachbarn verpflichtet (vgl. Grafik zum Kanton Schwyz).

Weiter geht die Vereinheitlichung bei der hochspezialisierten Medizin. Es ist weder zweckmässig noch effizient, noch für die Qualität förderlich, wenn zu viele Institutionen Spitzenmedizin betreiben. Deshalb ist diese schweizweit zu planen (vgl. Grafik zu Beispiel Transplantationsmedizin). Die Kantone haben ihre Planungen denn auch gemäss KVG für die ganze Schweiz gemeinsam zu beschliessen. Kommen sie dieser Aufgabe nicht nach, legt der Bundesrat fest, welche Spitäler für welche Leistungen zuständig sind.

Zehn Kantone entscheiden

Vor einigen Jahren haben die Kantone die interkantonale Vereinbarung zur hochspezialisierten Medizin abgeschlossen. Die Entscheide, in welchen Spitälern diese angeboten wird, haben sie an das Beschlussorgan delegiert. Dabei gingen sie gar so weit, darauf zu verzichten, jeweils gemeinsam über die Standorte zu entscheiden. Sie haben die Beschlüsse zur Spitzenmedizin vielmehr an ein Beschlussorgan delegiert, in welchem nur die Gesundheitsdirektoren aus zehn Kantonen präsent sind (jene der fünf Kantone mit einem Universitätsspital und fünf weitere auf bestimmte Zeit gewählte). Eine so weit reichende Delegation von kantonalen Kompetenzen an ein gemeinsames Organ ist im kooperativen Föderalismus der Schweiz bis jetzt wohl einzigartig.

Die Tendenz zu Zentralisierung und gesamtschweizerischer Steuerung im Gesundheitswesen und der Ausbau der Verbundaufgaben zwischen Bund und Kantonen sowie des kooperativen Föderalismus unter den Kantonen sind Ausfluss der zunehmend spezialisierteren und teureren Medizin. Trotzdem müssen zentrale Aufgaben und namentlich der Vollzug Sache der Kantone bleiben. Denn diese sind näher beim Patienten und kennen die Bedürfnisse der Bevölkerung besser als Bundesbern. Dies zu gewährleisten und ein zweckmässiges Zusammenwirken sicherzustellen, sind die bundesstaatlichen Herausforderungen im Gesundheitswesen.

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