Die Charité weist Vorwürfe zu mangelndem Schutz und Sauberkeit im Umgang mit multiresistenten Keimen zurück. Ein Reporter des Recherchebüros hatte als Praktikant auf der Gastroenterologie gearbeitet.

Die Vorwürfe waren deutlich: mangelnde Hygiene, Unwissenheit, Bequemlichkeit. Nach der Veröffentlichung einer Undercoverreportage des Recherchebüros „Correctiv“ in der Berliner Morgenpost, die den Umgang mit multiresistenten Keimen auf einer Station des Virchow-Klinikums beschreibt, hat die Charité nun Stellung genommen.

Ein Reporter des Recherchebüros hatte zwölf Tage lang verdeckt als Praktikant auf der Gastroenterologie gearbeitet. Er deckte auf, dass Hygienevorschriften auf der Station vom Pflegepersonal nicht eingehalten würden und Patienten sowie Besucher schlecht über Risiken mangelnder Hygiene und Gefahren durch multiresistente Keime informiert gewesen seien. Er als Praktikant sei erst nach sechs Tagen in erste Hygienemaßnahmen eingeführt worden.

Besiedlung ist keine Infektion

Die Charité reagierte jetzt auf die Anschuldigungen. Zu dem Vorwurf, mit multiresistenten Keimen infizierte Patienten hätten sich ohne Schutzkleidung frei auf der Station bewegt, weist die Charité darauf hin, dass in der Öffentlichkeit der Unterschied zwischen Kolonisation und Infektion nicht klar genug getrennt würde, was in der Kommunikation zu Verständnisschwierigkeiten führe. In der Medizin spricht man von einer Infektion, wenn der Erreger, zum Beispiel ein multiresistenter Keim, in den Blutkreislauf gelangt ist, eine Kolonisation ist nur eine Besiedlung zum Beispiel der Haut oder einer Wunde.

Die Berliner Morgenpost hatte berichtet, wie sich eine Patientin, die einen multiresistenten Keim hat, in der Kaffeeküche der Station aufhielt. Nach Ansicht der Charité sind „die Vorgehensweise und Hygienemaßnahmen bei Besiedlung mit multiresistenten Erregern, die bei schätzungsweise 25 Prozent nachweisbar sind, völlig undifferenziert“ dargestellt worden. Es werde suggeriert, „dass das Vorliegen des Nachweises eines multiresistenten Keims zwingend die strikte Isolation nach sich ziehen müsse“. Dies sei falsch. Bei tatsächlich infizierten Patienten dürfte es sich um seltene und gut begründete Ausnahmen handeln, wenn diese ihr Zimmer verließen, „da infizierte Patienten in der Regel Krankheitssymptome haben, die allgemeine Schwäche beinhalten und auch die Notwendigkeit einer Überwachung begründen können“.

Patienten, die mit einem multiresistenten Keim infiziert sind, müssen eigentlich auf ihrem Zimmer isoliert werden und dürfen nur in Begleitung von Krankenschwestern das Zimmer verlassen. Die Charité betont: Kontaminierte Patienten dürften, abhängig vom Typ des multiresistenten Erregers und dem Verständnis des Patienten für notwendige Hygienemaßnahmen, ihr Zimmer verlassen, wenn die Gefährdung anderer Patienten auszuschließen sei.

Probleme bei der Desinfektion von medizinischem Gerät

Nach Informationen der Berliner Morgenpost gibt es an der Charité auch Probleme bei der Desinfektion von medizinischem Gerät. So habe beispielsweise die Auszubildende, die dem Undercoverreporter das Blutzuckermessgerät erklärt habe, keine Handschuhe getragen und weder ihre Hände noch das Gerät desinfiziert. „Richtig ist, dass hier selbstverständlich grundsätzliche Hygienemaßnahmen einzuhalten sind, der Kontakt mit dem Patienten jedoch nicht durch das Gerät, sondern durch Einmalartikel wie Teststreifen zustande kommt“, so die Charité.

Problematisch ist auch die Tatsache, dass das Pflegepersonal der Station in den Zimmern isolierter Patienten und solcher, deren Immunsystem zum Beispiel nach einer Organtransplantation künstlich geschwächt wurde, offensichtlich nicht immer einen Mund-Nasenschutz anlegt, auch wenn mit einem direkten Kontakt zum Patienten zu rechnen ist. So habe sich ein Patient bei der Transplantation in der Charité mit dem bekannten Keim MRSA infiziert. Der Mann sei extrem schwach und anfällig gewesen. Er habe zu dem als Pfleger getarnten Reporter gesagt: „Wenn jemand das Zimmer betritt, ist die Schutzkleidung mal so, mal so.“ Er, der Pfleger, sei der Einzige, der immer den Mundschutz trage.

Die Charité räumt dazu zwar ein, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ein Bestandteil der Umkehrisolierung sei, also der Isolation von immungeschwächten Patienten, um sie vor Infektionen zu schützen. „Grundsätzlich ist aber nicht bei allen immunsupprimierten Patienten eine Umkehrisolierung zu empfehlen. Dies hängt von der Grunderkrankung, den durchgeführten Therapieformen und dem Grad der Immunsuppression ab“, betont das Universitätsklinikum. Außerdem würden seit Jahrzehnten keine Herztransplantation mehr in der Charité durchgeführt.

Multiresistente Erreger sind in ganz Deutschland ein Problem. Das Bundesgesundheitsministerium spricht von 7500 bis 15.000 Toten im Jahr durch Infektionen, wobei sich die Zahlen des Ministeriums auf die Infektionen insgesamt beziehen. Doch Wissenschaftler sagen, für die meisten der tödlichen Infektionen seien multiresistente Erreger verantwortlich. Nach Recherchen der Wochenzeitung „Die Zeit“, „Zeit Online“, des Recherchebüros „Correctiv“ und der Funke-Mediengruppe, in der auch die Berliner Morgenpost erscheint, ist die Zahl der Toten weitaus höher als offiziell angegeben. So haben Ärzte im vergangenen Jahr mehr als 30.000 Mal einen der drei am meisten verbreiteten Keime MRSA, ESBL oder VRE abgerechnet. Ob die Menschen an den Keimen gestorbenen sind, lässt sich aus den Daten nicht ablesen.

Eine Serie der Wochenzeitung „Die Zeit“, „Zeit Online“, des Recherchebüros „Correctiv“ und der Funke-Mediengruppe, in der auch die Berliner Morgenpost erscheint