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Ausländische Pfleger helfen – und fordern heraus

Deutsch-spanische Zusammenarbeit: Jana Schüler (27, l.) und die 23-jährige Maria Teresa Gonzales Vicente in den Kliniken Beelitz in Brandenburg Deutsch-spanische Zusammenarbeit: Jana Schüler (27, l.) und die 23-jährige Maria Teresa Gonzales Vicente in den Kliniken Beelitz in Brandenburg
Deutsch-spanische Zusammenarbeit: Jana Schüler (27, l.) und die 23-jährige Maria Teresa Gonzales Vicente in den Kliniken Beelitz in Brandenburg
Quelle: Maria Menzel
Weil sie ihren Personalbedarf nicht decken konnte, hat eine Brandenburger Klinik 80 Pflegekräfte aus dem Ausland eingestellt. Bürokratische, sprachliche und kulturelle Hürden erschweren den Erfolg.

Wie bitte? Sandra Fleischer traut ihren Ohren nicht. Vor wenigen Tagen erst hat eine neue Kollegin als Pflegehelferin in den Kliniken Beelitz im Land Brandenburg angefangen. Jetzt steht sie am Bett eines Patienten. Sie hat seinen Blutdruck gemessen, seinen Verband gewechselt. Aber Umlagern? Auf gar keinen Fall. Nicht ihr Job. Das habe in ihrer Heimat immer ein großer, starker Mann erledigt, ein „Umlagerer“.

Es sind Situationen wie diese, mit denen Pflegedirektorin Sandra Fleischer in der Neurologischen Rehabilitationsklinik immer wieder konfrontiert ist. Oft sind es Missverständnisse, manchmal geht es um Arbeitsverweigerung – nicht aus Faulheit, sondern aufgrund unterschiedlicher Berufsverständnisse.

Pflegedirektorin Sandra Fleischer
Pflegedirektorin Sandra Fleischer
Quelle: Maria Menzel

Die Kollegin am Bett des Patienten ist eine junge Spanierin Mitte 20. Sie ist eine von 79 Fachkräften, die die private Klinik innerhalb nur eines Jahres aus dem Ausland nach Deutschland geholt hat, um den gestiegenen Personalbedarf zu decken.

Mitarbeiter statt Gastarbeiter

„Früher hatte man einen Stapel Bewerbungen auf dem Tisch und hat sich die besten herausgepickt. Heute müssen wir uns als Arbeitgeber bewerben“, sagt Georg Abel, Geschäftsführer der Klinken Beelitz; 600 Mitarbeiter, 310 Betten. Auf dem deutschen Markt 80 Pflegefachkräfte zu finden, sei zurzeit einfach nicht möglich. In Süddeutschland habe man erst gar nicht gesucht.

Aus Stuttgart oder Baden-Württemberg wolle niemand nach Brandenburg – schon wegen des Gehaltsgefälles. Dass die Einrichtung im etwas mehr als 11.000 Einwohner zählenden Beelitz im Schatten der 50 Kilometer entfernten Hauptstadt Berlin liegt, beschert dem Haus zusätzlich ein Standortproblem. Arbeiten? Gut, aber leben möchte hier eigentlich niemand.

Georg Abel
Georg Abel
Quelle: Maria Menzel

Vier Personalvermittlungsagenturen hat Abel darum beauftragt, Pflegekräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung in Spanien, Polen, Bulgarien, Rumänien und Ungarn zu suchen. Sie luden sie nach Deutschland ein, um sich und die Klinik vorzustellen und die Neuen unter die Lupe zu nehmen. Passt der ins Team? Ist das jemand, der sich auf die erforderliche Geduld und Ausdauer der Arbeit in der Neurologie und Rehabilitation einlassen kann – und sich auch in einer ländlichen Region zurechtfindet?

Mitarbeiter statt Gastarbeiter lautete die Parole, mit der Politik und Wirtschaft Mitte des Jahres Einwanderer vor allem aus den ost- und südeuropäischen Staaten begrüßte und die neue deutsche Willkommenskultur beschwor. Die OECD hatte Deutschland gerade nach den USA zum zweitbeliebtesten Einwanderungsland der westlichen Welt erklärt. Bundespräsident Joachim Gauck beschwor das „neue Wir“, lobte die „Einheit der Verschiedenen“. Doch so verschieden die Nationalitäten sind, so verschieden scheint auch das Maß des Erfolgs der gegenseitigen Bemühungen zu sein. Das zeigt das Experiment in Beelitz.

Das Wissen über die Grundpflege fehlt

„Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ist nach wie vor ein großes Problem“, sagt Uwe Prell, Geschäftsführer der Personalvermittlungsagentur Diwa mit Hauptsitz in München. Grundsätzlich würde er nur Pflegekräfte akquirieren, deren berufliche Anerkennung in Deutschland sehr sicher ist. Das Problem aber ist die Zeit. „Wenn das innerhalb von vier Monaten passiert, ist das schnell“, sagt Prell. Oft dauere es auch länger, manchmal fünf oder sechs Monate, bis eine Pflegekraft das Verfahren durchlaufen hat und auf der geplanten Stelle eingesetzt werden kann.

Wie unterschiedlich die Ausbildungsstandards von Land zu Land sind, zeigt sich vor allem auch im Arbeitsalltag. „Die polnischen und bulgarischen Kollegen wissen, was Grundpflege ist, wie man dem Patienten die Haare kämmt oder die Zähne putzt“, sagt Jana Schüler. Die 27-Jährige sitzt neben ihrer 23-jährigen Kollegin Maria Teresa Gonzales Vicente aus Spanien.

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Als sie im Juli 2013 nach Beelitz kam, hatte sie zwar einen Bachelor in Pflegemanagement. Von Grundpflege aber hatte sie kaum Ahnung. „Die spanischen Kollegen haben im Studium nur ein vierwöchiges Praktikum. Bei der Wundversorgung, beim Verbandswechsel und Blutdruckmessen sind sie absolut fit. Ihnen fehlt aber das Wissen über die Grundpflege“, so Fleischer. Darum gibt sie den ausländischen Kollegen regelmäßig Unterricht: Pflegedokumentation, -planung, -prozess, Nachhilfestunden in Parkinson, Querschnittslähmung.

Wir sind davon ausgegangen, dass die Kollegen es innerhalb eines halben Jahres auf das für die Anerkennung notwendige Sprachniveau B2 schaffen – da haben wir uns geirrt
Georg Abel, Geschäftsführer der Kliniken Beelitz

Abel stellt die neuen Kollegen auch darum zunächst als Pflegehelfer ein – und um die Zeit zu überbrücken, bis er sie mit der beruflichen Anerkennung in Deutschland auch als Pflegefachkräfte beschäftigen darf. Mehrmals in der Woche müssen sie neben der Arbeit währenddessen die Schulbank drücken. Deutschkurs.

Auch das verlängert die Wartezeit: „Wir sind davon ausgegangen, dass die Kollegen es innerhalb eines halben Jahres auf das für die Anerkennung notwendige Sprachniveau B2 schaffen – da haben wir uns geirrt“, sagt Abel. Nur ein Drittel habe das geschafft – 6 von 22 in der ersten Akquise-Runde. Das war der erste Dämpfer. Im zweiten Durchlauf haben es dann mit Zusatzstunden noch mal sechs geschafft. Auf B1 braucht es den Sprachschulen zufolge eigentlich etwa acht Monate und noch einmal ein halbes Jahr für B2. Doch der finanzielle Druck war groß, der Zeitplan eng.

Sprachprobleme besonders bei Fachausdrücken

Wegen eines nicht bestandenen Sprachkurses müsse aber niemand nach Hause fahren, sagt Pflegedirektorin Fleischer. „Die Kollegen stehen natürlich unter Druck.“ Acht haben auch nach dem dritten oder vierten Mal die B2-Prüfung nicht geschafft. Ihnen will Fleischer einen unbefristeten Vertrag als Pflegehelfer anbieten mit der Option, sich doch noch auf den Job als Schwester zu bewerben, sobald sie die Prüfung bestanden haben.

Die Sprachprobleme machen sich vor allem im Arbeitsalltag bemerkbar. „Hallo“, „Wie geht es“ und „Auf Wiedersehen“ – kein Problem. Bei den medizinischen Fachtermini aber wird es schwierig – vor allem in Notfallsituationen, wenn schnell gehandelt werden muss. Oder auch wenn der Patient einen stechenden Schmerz im unteren Rücken beschreiben möchte.

Quelle: Infografik Die Welt

Vor allem am Anfang sei die Belastung für die Organisation sehr groß gewesen, sagt Abel. „Wenn ich als Pflegekraft zum Spätdienst komme, an dem Tag vielleicht sowieso knapp besetzt bin und bekomme dann eine Spanierin an die linke und eine Ungarin an die rechte Seite gestellt, die noch nicht lange im Unternehmen sind, dann ist das sehr anstrengend.“ 30 bis 40 Prozent ausländische Kollegen und 60 Prozent deutsche Mitarbeiter seien eine machbare Besetzung in einer Schicht – mehr nicht. „Und ich ziehe den Hut vor meinen Mitarbeitern. Sie machen das großartig“, so Fleischer.

Auch das war nicht von Beginn an so. Anfangs machten Gerüchte die Runde, die Neuen bekämen ihre Wohnungen, die das Unternehmen organisiert hatte, komplett von der Firma bezahlt und hätten Weihnachten immer frei. Hinzu kam, dass einige der neuen Kollegen eine gewisse Forderungsmentalität an den Tag gelegt hätten, die bei den alten Mitarbeitern nicht gut ankam. „Nach einem Tag kamen die neuen Kollegen und sagten, sie hätten gern noch eine Mikrowelle und ein Bügeleisen von der Firma gestellt.“

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Natürlich wolle man, dass die Mitarbeiter aus Spanien, Ungarn und Co. sich wohl fühlen und habe versucht zu helfen, wo es ging, so Abel. Man müsse aber auch an die deutschen Mitarbeiter denken. Sie hätten sonst schnell das Gefühl, dass ihren neuen Kollegen eine bevorzugte Behandlung zuteil würde.

Grundsätzlich ist die Bereitschaft groß

Es war der Punkt, an dem Abel klar war, dass er für dieses Großprojekt externe Hilfe braucht. „Die Stimmung war sehr unterschiedlich im Team“, sagt Natalie Schröder, freiberufliche Organisationsberaterin. Abel hatte sie engagiert, um Integrationsworkshops abzuhalten – ein Mitarbeiter aus dem Ausland, drei deutsche, zehn bis 20 pro Workshop. „Manche waren sehr euphorisch. Andere waren enttäuscht, dass die neuen Kollegen sie nicht gleich so stark entlasten konnten, wie sie gehofft hatten“, so Schröder.

Es gab nur wenige Dauerquerulanten
Natalie Schröder, Organisationsberaterin

Erstaunlich groß aber sei die Bereitschaft gewesen, sich die Dinge anzuschauen, die grundsätzliche Offenheit. „Es gab nur wenige Dauerquerulanten“, sagt Schröder. Sie riet Abel, die Kommunikation noch zu verstärken und geäußerte Kritik auch umzusetzen – oder zu erklären, warum etwas so bleiben muss, wie es ist. Zuhören, regelmäßig mit den Oberschwestern sprechen, Flyer hier, Sprechstunden dort, jeden Donnerstag von 14 bis 15 Uhr. Auch wenn das nicht immer und von allen angenommen wird: „Das Wichtigste ist, dass die Leute sehen, dass etwas passiert“, so Abel.

Irgendwann fingen die deutschen Mitarbeiter an, zu Hause in ihren Regalen nach Märchenbüchern zu graben und sie ihren neuen Kollegen zum Lesen zu geben. In den Pausen werden im Schwesternzimmer heute Grammatikfragen geklärt, Vokabeln gelernt.

Die Spanier bringen aus dem Urlaub die Sonne im Herzen mit, die Ungarn den Palatschinken, und die Polen haben den besten Wodka, sagt Fleischer. Bei vielen habe die menschliche Sympathie und Neugierde den beiderseitigen Durchhaltewillen bestärkt – bei manchen aber hat es nicht gereicht. Es sei bei den deutschen wie bei den ausländischen Mitarbeitern das Gleiche: „Im Endeffekt entscheidet sich immer erst hier am Arbeitsplatz, ob der Kandidat wirklich passt oder nicht“, sagt Abel.

Leider fehlt nicht selten die Motivation

Die Bilanz zeichnet das Bild einer soliden Fifty-fifty-Chance: Fast die Hälfte der 79 ausländischen Pflegekräfte habe die Klinik mittlerweile wieder verlassen. Manche hat es zurück in die Heimat gezogen, oder sie haben ein besser bezahltes Angebot in Berlin wahrgenommen. Prell zufolge bleiben insgesamt 70 Prozent derer, die nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten, im Land – ob nun am ursprünglichen Arbeitsort oder einem anderen. 30 Prozent aber verlassen Deutschland wieder: weil sie das Heimweh packt oder die Familie doch nicht nachkommen will. Der Freundeskreis, Familie, der Schulwechsel der Kinder – Argumente, die in der Klinik durchaus auf Verständnis stoßen.

Nur fehlende Motivation ist für Fleischer kein Argument. Doch auch das ist leider keine Seltenheit, sagt sie. Die polnischen und ungarischen Pflegekräfte seien oft viel engagierter als ihre spanischen Kollegen, die mit Mitte 20 direkt aus dem Schutz des elterlichen Hauses in die Ferne ziehen, sich nicht nur in einem fremden Land, sondern auch in einer neuen Lebenssituation wiederfinden. Fleischer stellt fest: „Man merkt, dass sie deutlich jünger sind.“

Die Neurologische Rehabilitationsklinik der Kliniken Beelitz
Die Neurologische Rehabilitationsklinik der Kliniken Beelitz
Quelle: picture alliance / Arco Images

Auch Gonzales Vicente will irgendwann wieder zurück. Zu ihrer Familie, ihren Freunden. Ihre Kollegin Jana Schüler kann das verstehen – aber sie findet das sehr schade. Drei Jahre wird ihre Kollegin nur bleiben – es sind die drei Jahre, die sie laut Weiterbildungsvereinbarung bleiben muss, um das Geld, das die Klinik in sie investiert hat, nicht anteilig zurückzahlen zu müssen.

Abel gibt zu: „Die Rechtslage zu der Frage, wie lange so eine Weiterbildungsvereinbarung laufen darf, ist umstritten. Die Handhabe aber ist für ausländische wie deutsche Angestellte die gleiche.“ Die Berichte über angebliche Knebelverträge seien schlichtweg falsch.

Suche nach ausländischen Fachkräften geht weiter

Am meisten freut er sich, wenn die Mitarbeiter bleiben wollen. „Wir sagen immer: Wenn es passt, dann könnt ihr bis zur Rente bei uns arbeiten“, sagt Abel. Momentan kann er sich nicht vorstellen, dass er irgendwann jemanden aus wirtschaftlichen Gründen entlassen muss: Der Pflegebedarf wird größer. „In der Neurologie werden die Patientenzahlen in den kommenden Jahren stark steigen.“ Die Kliniken Beelitz werden darum auch weiter im Ausland nach Fachkräften Ausschau halten – trotz aller Schwierigkeiten.

Nur die Art der Anwerbung hat Abel ein wenig verändert: Neue Jobanwärter müssen den Sprachkurs schon in der Heimat machen. Erst dann bekommen sie den Vorvertrag als Pflegehelfer und erst dann wird das Anerkennungsverfahren in Deutschland eingeleitet. Der Klinikchef hofft, dass es zwischen deutschen und ausländischen Mitarbeitern so zukünftig weniger Schwierigkeiten auf dem Weg zu einer gemeinsamen Sprache gibt.

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