Die studierte Krankenschwester – Seite 1

Pflege studieren – das geht? Und was haben Hebammen eigentlich in einem Hörsaal zu suchen? Viele sind überrascht, wenn sie hören, dass klassische Ausbildungsberufe der Gesundheitsbranche mittlerweile an Hochschulen erlernt werden können. Der Wissenschaftsrat empfliehlt, dass zehn bis 20 Prozent eines Jahrgangs studieren. Die Bundesärztekammer sieht das skeptisch und bemängelt, dass mit dem Studium von Gesundheitsberufen eine zusätzliche Ebene eingeführt werde, die es im System nicht brauche.   

"Wir wollen nicht in Konkurrenz zum dualen Ausbildungssystem treten", sagt der Rektor der Alice Salomon Hochschule Berlin, Uwe Bettig. "Aber wir müssen im Gesundheitssystem zunehmend eine sektorenübergreifende und interdisziplinäre Versorgung organisieren." Und um diese komplexen Aufgaben zu bewältigen, bedürfe es akademisch geschulter Fachleute, die in der Lage seien, ihr Handeln auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu reflektieren, den Gegebenheiten anzupassen und flexibel zu reagieren. Ein Beispiel ist die Qualitätssicherung. Dabei werden Behandlungsverläufe in Praxen und Kliniken erfasst und bewertet.

Bundesweit bieten Hochschulen daher Bachelor- und Master-Studiengänge in den Fächern Hebammenkunde, Logopädie, Physio- oder Ergotherapie und Pflege an. Wer bereits eine Ausbildung in seinem Fachbereich gemacht hat, kann sich diese für das Studium anrechnen lassen. "Mit dem Bachelor-Abschluss qualifizieren sich unsere Absolventen für Positionen in der mittleren Managementebene", sagt Bettig. Viele Absolventen fänden ihren Platz im Controlling, bei Pflegedienstleitungen oder in der Gesundheitsförderung.  

Doch nicht immer sind diese Positionen auch verfügbar oder gar existent. Vor allem Physio- und Ergotherapeuten passiert es noch häufig, dass sie trotz eines Studiums auf denselben Positionen arbeiten, wie diejenigen mit einer dualen Ausbildung – und auch zu denselben finanziellen Konditionen. "Nach unseren Erhebungen verdient nur ein Drittel der Absolventen adäquat", so Bettig. Überdurchschnittlich verdiene nur, wer sich selbstständig mache oder eine wissenschaftliche Tätigkeit ausübe.   

Warum also studieren, wenn es die betreffenden Berufsfelder im deutschen Gesundheitswesen teilweise noch gar nicht gibt? Drei Studenten erzählen.

Meine Bachelor-Arbeit schreibe ich über Online-Fitness-Wettbewerbe

Mein Bruder hat mich auf die Idee gebracht, Ergotherapie zu studieren. Er hat ADHS. In der Ergotherapie hat er mit Beruhigungsaufgaben gelernt, seine Hausaufgaben zu machen oder vor dem Zubettgehen runter zu fahren. Dafür hat er die Augen geschlossen und Sätze zu sich gesagt, wie "Ich werde ruhig".

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Dass das funktioniert, hat mich echt beeindruckt. Ich habe in der neunten Klasse ein Schülerpraktikum bei seiner Therapeutin gemacht und gesehen, wie vielfältig der Job ist. Nach dem Abi wollte ich studieren und habe im Internet die Möglichkeit gefunden, beides zu machen: die Ergotherapie und das Studium. Das Studium ist von den Inhalten recht ähnlich zur Ausbildung – es ist nur weniger handwerklich ausgerichtet ist. Wir haben Fächer wie Praxisorganisation, wissenschaftliches Arbeiten oder Qualitätsmanagement. Praxisphasen gibt es reichlich – dafür so gut wie keine Semesterferien.

Super finde ich, dass ich, ebenso wie die Physiotherapeuten, eine Doppelqualifikation an der Hochschule erwerbe: Mein Staatsexamen habe ich im September bereits bestanden, gerade schreibe ich an meiner Bachelorarbeit zum Thema Online-Fitness-Wettbewerbe. Ich schaue mir die Zielgruppe und ihre Motivation zur Gesundheitsförderung an. Danach soll noch nicht Schluss sein, der Wissenshunger hat mich gepackt und ich möchte meinen Master dranhängen. So will ich mir die Option eröffnen, eine führende Position in einem Krankenhaus zu bekommen oder eine Praxis zu leiten. Ich weiß, dass man in Deutschland eigentlich keinen akademischen Abschluss in der Ergotherapie braucht und dass man in Vorstellungsgesprächen schon sehr viel Überzeugungsarbeit leisten muss, um aufgrund eines Bachelor oder Master ein höheres Gehalt zu bekommen. Viele Arbeitgeber sehen die Notwendigkeit nicht.

Laura Geißlinger, 22, Studentin der Ergotherapie

"Ich hinterfrage das hohe Arbeitspensum als Krankenschwester"

Ich habe acht Jahre als Krankenschwester gearbeitet

Das Interesse für Medizin liegt bei uns in der Familie. Mein Vater ist Arzt und für mich war früh klar, dass ich Krankenschwester werden möchte. Mein Abitur habe ich frühzeitig aufgegeben und direkt mit der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin bei Vivantes begonnen. Insgesamt habe ich acht Jahre in dem Beruf gearbeitet. Aber ich war mit der Arbeitssituation sehr unzufrieden: das hohe Arbeitspensum, der ständige Zeitdruck und der Schichtdienst verlangen einem einiges ab. Auch deshalb habe mich zu dem Studium Gesundheits- und Pflegemanagement entschlossen. 

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Ich möchte mich persönlich weiter entwickeln und ich will die strukturellen Hintergründe kennenlernen, die ich als Pflegekraft oft infrage stellte. Die Schwerpunkte des Studiums sind Betriebswirtschaft, Ökonomie, Politik, Ethik, Recht, Wissenschaft und Personalmanagement. In der Ausbildung zur Krankenschwester liegt der Fokus eher auf dem Patienten, den Krankheitsbildern und Therapiemöglichkeiten. Ich studiere jetzt im 4. Semester und sehe ein vielversprechendes Berufsfeld: Es bestehen Jobaussichten in Kliniken, in der Unternehmensberatung, bei privaten Trägern, den Krankenkassen, auf der politischen Ebene, in Gesundheitsämtern, aber auch die eigene Selbstständigkeit oder eine Beschäftigung in Unternehmen außerhalb des Gesundheitswesens.

Momentan reizt mich besonders das betriebliche Gesundheitsmanagement. Da werden Betriebe beraten, wie sie die Gesundheit ihrer Mitarbeiter durch Angebote fördern können, zum Beispiel durch andere Arbeitsplatzgestaltung, Rückenkurse oder Ernährungsberatung. Ich habe den Schritt zu studieren nie bereut und kann es allen Mitarbeitern des Gesundheitswesens nur empfehlen. Auch wenn ich nebenbei noch im Krankenhaus arbeite, sehe ich meine Zukunft auf der Managementebene, wo ich strukturelle Veränderungsprozesse veranlassen kann. Auch, wenn es nur Lösungen im Kleinen sind, wie den Mitarbeitern ihren Zeitdruck zu nehmen.

Kathleen Schübler, 28, Studentin im Gesundheits- und Pflegemanagement

Wird sich mein Idealismus in der Praxis erfüllen?

Mit der Physiotherapie habe ich schon nach dem Abi geliebäugelt, wollte aber auch auf jeden Fall studieren. Eigentlich hatte ich schon einen Ausbildungsplatz an der Physiotherapieschule in Dresden sicher, doch als dann die Zusage von der Hochschule in Berlin kam, war ich echt glücklich. Ich möchte selbstbestimmt lernen und finde das wissenschaftliche Arbeiten sehr wichtig. So kann ich besser einschätzen, welche Quellen brauchbar und relevant fürs Studium und die Therapie sind und wo ich diese Informationen finde. Außerdem lerne ich zu reflektieren. Dafür nutzen wir während der praktischen Studienphase extra Reflexionstage, bei denen wir auf die Behandlung oder den Beruf von der Metaebene aus blicken. Wir versuchen uns darin, Theorie und Praxis zu verknüpfen. 

Mira Rühl studiert Physiotherapie. © privat

Ich finde den Ansatz sehr sinnvoll, die Ausbildung mit dem Studium zu kombinieren und den Absolventen zwei Abschlüsse zu bieten. Später bin ich dann eine Physiotherapeutin, die Zusatzaufgaben wie Qualitätssicherung in einer Praxis übernehmen kann. Was mir sehr gut gefällt ist, dass an der Alice Salomon Hochschule Wert auf Interdisziplinarität gelegt wird: Wir haben Kurse gemeinsam mit den Ergotherapeuten, da sich unsere Berufsfelder teilweise überschneiden. Das gibt eine gewisse Weitsicht. Außerdem steht mir durch das Studium die Wissenschaft offen. Während eines Praktikums an der Charitè konnte ich an einer Studie zur Beckenbodenforschung mitarbeiten und durfte für eine weitere Studie sogar in die Schweiz fahren. Im Januar kann ich dort als Praktikantin weitermachen. Das Schöne ist, dass die Kollegen im Ausland auch einen Bachelor-Abschluss haben, der international anerkannt ist. Ich bin sehr gespannt auf den Austausch und die Erfahrungen, die ich wieder mit nach Deutschland bringe. Hier als normale Physiotherapeutin zu arbeiten, könnte mir nach dem Studium schwer fallen, weil sich mein Idealismus von dem Beruf in der Praxis oft nicht erfüllt hat. Gesundheitsberufe haben in anderen Ländern einen anderen Stellenwert, den würde ich mir auch in Deutschland wünschen. Einfach mehr Anerkennung. 

Mira Rühl, 23, Studentin der Physiotherapie