Grosse Überkapazitäten in der Spitallandschaft

In der Schweiz gibt es zu viele Kliniken. Drei Jahre nach der Einführung der neuen Spitalfinanzierung kommt der Wettbewerb nur schleppend in Schwung. Versteckte Subventionen schützen teure Strukturen.

Daniel Gerny, Erich Aschwanden
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Den Überkapazitäten zum Trotz: Jeder Versuch, ein Spital zu schliessen, wird von politischen Protesten begleitet. (Bild: Gaëtan Bally / Keystone)

Den Überkapazitäten zum Trotz: Jeder Versuch, ein Spital zu schliessen, wird von politischen Protesten begleitet. (Bild: Gaëtan Bally / Keystone)

Hundert Spitäler müssten schliessen, konstatierte 2009 der damalige Direktor des Bundesamtes für Gesundheit, Thomas Zeltner – drei Jahre vor dem definitiven Inkrafttreten der neuen Spitalfinanzierung. Ein Konzentrationsprozess ist schon seit einiger Zeit im Gang: Gemäss dem Bundesamt für Statistik existierten 2013 insgesamt 293 Spitäler mit einer Kapazität von 37 744 Betten. 2009 waren es noch 313 Krankenhäuser mit 39 527 Betten gewesen. Jede Spitalschliessung ist von politischen Protesten begleitet – und dennoch ist man sich in der Branche praktisch einig darüber, dass Überkapazitäten bestehen. So forderte im Dezember der abtretende Santésuisse-Präsident Christoffel Brändli weitere Schliessungen.

Kantone planen weiter

Das neue Modell schafft in erster Linie Transparenz bei der Vergütung. Es werden nicht mehr Spitaltage abgerechnet, sondern neu Leistungen auf Basis einer Tarifstruktur (Swiss DRG) finanziert. Neu erhalten Spitäler für jeden Fall eine Pauschale, die sich am Schweregrad der Behandlung orientiert. Da die Preise für Spitalleistungen nun vergleichbar sind, lässt sich erkennen, ob ein Krankenhaus effizient arbeitet. Auf ein konsequentes Wettbewerbsmodell hat die Politik aber verzichtet: Die Kantone sind für die Planung verantwortlich und müssen Spitallisten verabschieden. Sie spielen eine Mehrfachrolle und befinden sich in Interessenkonflikten. Zudem wird die neue Spitalfinanzierung nicht überall gleich umgesetzt.

Für Branchenvertreter ist es deshalb nicht überraschend, dass der Wettbewerb nur schleppend in Gang kommt. Für Irritationen sorgen beispielsweise die Investitionen des Kantons St. Gallen in Höhe von 930 Millionen Franken in die Spitalinfrastruktur, die das Volk im letzten November beschloss. Die Investitionen sollen in Form von Mieterträgen an den Kanton zurückfliessen. Im benachbarten Kanton Schwyz betrachtet man dies als Verstoss gegen den Wettbewerb. Zu Recht, wie Felix Schneuwly, KVG-Experte beim Internetvergleichsdienst Comparis, findet: Anders als eine Bank investiere ein Kanton nicht nach marktwirtschaftlichen, sondern auch nach politischen Gesichtspunkten. Ausserdem seien die Investitionsrisiken anders verteilt. Das praktisch an der St. Galler Kantonsgrenze gelegene Schwyzer Spital Lachen, das seine Mittel selbst beschaffen muss, habe so gegenüber den Spitälern in St. Gallen einen Nachteil.

Das sieht die St. Galler Gesundheitsdirektorin Heidi Hanselmann (sp.) anders: Es liege in der Natur der Sache, dass der Kanton als Vermieter für die Kapitalbeschaffung zuständig sei – so wie auf dem Wohnungsmarkt. Von einer Wettbewerbsverzerrung könne nicht die Rede sein. Die öffentlichen Spitäler befürchteten sogar Nachteile – weshalb nun über eine Übertragung der Immobilien diskutiert werde.

Viele Fehlanreize

Doch es gibt weitere Fehlanreize. So werden nicht alle Spitalkosten via Swiss DRG abgerechnet. Die Kantone können sogenannt gemeinwirtschaftliche Leistungen vergüten, zum Beispiel für die Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus regionalpolitischen Gründen oder für die Forschung. Was gemeinwirtschaftliche Leistungen sind, wird aber nicht abschliessend definiert – ein Einfallstor für versteckte Subventionen, wie vom Preisüberwacher ebenfalls kritisiert wird. Es würden in anderen Kantonen teilweise «beträchtliche Entschädigungen» für den Notfall- und Bereitschaftsdienst, für die Seelsorge, für den Rettungsdienst und andere Leistungen fliessen, kritisiert auch Hanselmann. Und die Kantone haben weitere Möglichkeiten, um die Spitallandschaft zu steuern – zum Beispiel, indem eine Mindestfallzahl bei der Vergabe von Leistungsaufträgen definiert oder eine Bewilligungspflicht eingeführt wird. Strukturen werden so zementiert.

Eine von Comparis in Auftrag gegebene Studie kam 2013 zum Schluss, dass die Regulierungsdichte von Kanton zu Kanton stark variiert. Dabei ist unumstritten, dass in die an vielen Orten veraltete Spitalinfrastruktur massiv investiert werden muss. Eine CS-Studie bezifferte die bereits kommunizierten Investitionsvorhaben für die nächsten 15 Jahre auf neun Milliarden Franken – und bezeichnete diese Summe als blosse «Spitze des Eisbergs an Plänen, die noch in den Schubladen schlummern». Aus Sicht von Beat Knuchel, Direktor ad interim des Krankenversicherungsverbandes Curafutura, steht zwar fest, dass es zu viele Spitäler gibt, doch wo zu Recht investiert wird und wo nur Strukturen erhalten werden, sei insgesamt schwer zu sagen: «Wie viele Spitäler es in der Schweiz wirklich braucht, ist kaum zu beziffern, entscheidend ist die Effizienz der Versorgung.»

Auch Kleine mit Chancen

Auch nach Meinung von Schneuwly ist die Anzahl der Kliniken nicht entscheidend. Wichtiger seien die Kapazität insgesamt, die Preise und die transparente Qualität der Spitalleistungen. Die Preise seien wegen des mangelnden Wettbewerbs immer noch zu hoch. Auch die freie Spitalwahl sei ohne Transparenz bei der Qualität für die Patienten eine Farce. Beat Wegmüller, Direktor von H+, dem Dachverband der Spitäler, ist dabei der Ansicht, dass die Grösse einer Klinik nicht unbedingt ausschlaggebend ist: Auch kleinere Krankenhäuser, die sich spezialisierten, hätten Chancen.

Die Autoren der CS-Studie gehen davon aus, dass der Wettbewerb erst langfristig richtig einsetzt und es «bis dahin zwischen unterschiedlich privatwirtschaftlich orientierten Kantonen und zwischen öffentlichen und privaten Spitälern Verzerrungen geben wird, die das Risiko von Fehlinvestitionen bergen». Sie sprechen von einem «subventionierten Niveauausgleich». Auch bei H+ geht man davon aus, dass gleich lange Spiesse erst nach einer gewissen Anfangsphase entstehen. Doch Wegmüller beurteilt die Situation positiver: «Das transparentere System führt bereits dazu, dass politische Entscheide wie im Kanton St. Gallen kritisch hinterfragt werden. Bis vor wenigen Jahren war dies kaum denkbar.»

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