Krankenhaus bei Bremen:Schwere Panne bei Organ-Entnahme

Erst in letzter Minute fiel auf, dass der Nachweis fehlte: In einem norddeutschen Krankenhaus wurde ein Mensch ohne die vorgeschriebenen Untersuchungen zum Hirntoten erklärt. Beinahe hätte man ihm Spenderorgane entnommen.

Von Christina Berndt

Fast alles war gut vorbereitet: Der Organspender lag im Operationssaal, seine Organe waren der Stiftung Eurotransplant zum Verteilen gemeldet worden. Manche Patienten freuten sich wohl schon, dass sie endlich ein Organ bekommen würden. Doch nachdem einer der Chirurgen dem Organspender den Bauch aufgeschnitten hatte, fiel plötzlich auf, dass der Spender womöglich gar nicht tot war: Sein Hirntod war nicht nach den dafür vorgeschriebenen Regeln nachgewiesen worden. Unter keinen Umständen durften nun Organe entnommen werden - die Chirurgen würden sich der Tötung schuldig machen. Flugs wurde das ganze Prozedere abgebrochen.

Der Fall, der sich nach SZ-Informationen Anfang Dezember 2014 in einem Krankenhaus im Raum Bremen/Bremerhaven ereignete, sorgt derzeit für erhebliche Aufregung unter den Beteiligten. Mitarbeiter erzählten Kollegen unter Tränen von dem Vorfall, andere kündigten an, sich nun ganz aus der Organspende zurückziehen zu wollen. "Es ist gut möglich, dass das Gehirn dieses Menschen schon so weit geschädigt war, dass er nie wieder ins normale Leben zurückgefunden hätte", sagt ein Insider, der anonym bleiben will. "Aber solange der Hirntod nicht korrekt diagnostiziert worden ist, weiß das eben niemand."

Besonders schrecklich sei die Vorstellung, dass ein Patient, dessen Gehirn noch Restaktivität zeigt, im Gegensatz zu einem Hirntoten die Schmerzen der Operation und Organentnahme erleiden kann.

Die zuständigen Gremien wehren Auskünfte über den Fall mit dem Verweis auf noch laufende Untersuchungen ab. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), deren Mitarbeiter die Korrektheit der Hirntoddiagnostik vor der Organspende überprüfen müssen, teilt immerhin mit, sie habe die bei der Bundesärztekammer (BÄK) angesiedelte Überwachungskommission über die "Unklarheiten in Bezug auf die Hirntoddiagnostik bzw. ihre Dokumentation" informiert.

DSO-Vorstand Axel Rahmel betont: "Der DSO und mir persönlich ist es ein besonderes Anliegen", dass die Feststellung des Hirntods "ordnungsgemäß nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft erfolgt." Dies sei eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Organspende.

Die BÄK lässt nur wissen, dass "zu laufenden Verfahren in konkreten Einzelfällen keine Auskünfte gegeben werden können". Am kommenden Montag werde sich die Überwachungskommission aber "mit der Überprüfung bestimmter Hirntod-Untersuchungen und -Diagnosen befassen". Offenbar gibt es neben dem Fall aus dem Raum Bremen/Bremerhaven aktuell weitere problematische Fälle, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß.

In ihrer Sitzung am Montag wird die Kommission auch der Frage nachgehen müssen, was in dem norddeutschen Krankenhaus genau geschah, als der Fehler bei der Feststellung des Hirntods endlich auffiel. Ob es zum Beispiel stimmt, dass sich die Ärzte dazu entschlossen, die Beatmung des Patienten einfach einzustellen, wie der SZ zugetragen wurde. Die Spende sei aufgrund von "Herz-Kreislaufversagen" abgebrochen worden, heißt es in der Dokumentation der DSO. Ob das Herz zufällig stehen blieb oder ob ihm der Sauerstoff abgedreht wurde, steht da nicht. Jedenfalls wäre es für die Ärzte nicht nur wegen der Krankenhausbürokratie unangenehm gewesen, einen Menschen, für den schon ein Totenschein ausgestellt wurde, formal wieder zum Leben zu erwecken: Jemand hätte auch den Angehörigen erklären müssen, ihr Verwandter sei doch noch nicht verstorben.

Kritiker mahnen schon länger: Die Hirntoddiagnostik ist unsicher

Der Fall belegt erneut, was Kritiker seit Langem anmahnen: Die Hirntoddiagnostik ist in Deutschland nicht sicher genug. Ärzte sind nicht hinreichend darin ausgebildet, wie sie den Ausfall der Hirnfunktionen bei einem Patienten korrekt zu bestimmen haben. So kommt es immer wieder zu Fehlern.

Im März 2014 hatten drei medizinische Fachgesellschaften nach SZ-Berichten, die mehrere Fälle falscher Hirntodfeststellungen in den Jahren 2011 bis 2013 bekannt gemacht hatten, gefordert, die Anforderungen an die Untersucher zu erhöhen. "Überprüfen sollten das Fachärzte, die auch speziell für dieses Organ ausgebildet sind, und nicht etwa Kardiologen oder Nephrologen", sagte Cornelius Weiller, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Direktor der Neurologischen Universitätsklinik in Freiburg. "Es sollte jemand machen, der viel vom Gehirn versteht."

Bislang wird in den Richtlinien nur "eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen" verlangt. Zwei solche Ärzte müssen unabhängig voneinander den Hirntod feststellen, bevor ein Totenschein ausgestellt werden darf und der Patient Organspender werden kann. Einen Hirntoten müssen diese Ärzte zuvor nie gesehen haben. Sie müssen noch nicht einmal bei einer solchen Diagnose dabei gewesen sein.

Anlässlich des aktuellen Falls aus Norddeutschland erneuert auch der Neurochirurg Christoph Goetz, der Chefarzt an einer Privatklinik in Hamburg-Harburg ist, seine Forderung nach einer besseren Ausbildung von Ärzten in diesem Bereich: "Gerade bei dieser sensiblen Diagnose ist mehr Sorgfalt nötig", sagt Goetz. "Der Hirntod ist eine ausgesprochen sichere Diagnose - aber eben nur, wenn er auch ordnungsgemäß bestimmt wird."

Goetz hatte Ende März 2014 gemeinsam mit anderen Fachleuten, die langjährige Erfahrung in der Hirntoddiagnostik haben, einen offenen Brief an die BÄK geschrieben und darin strengere Richtlinien für die Bestimmung des Hirntods und eine höhere Qualifikation der Untersucher verlangt: "Die spendebereiten Menschen haben Anspruch auf die höchstmögliche Sicherheit", schrieben die Mediziner. "Derzeit ist diese Sicherheit nicht ausreichend."

Eine Antwort erhielten sie nie. Die BÄK betonte dagegen stets, die Hirntoddiagnostik sei sicher genug. Ihres Wissens seien hierzulande noch nie einem Lebenden Organe entnommen worden. An der Aktualisierung der Richtlinien für die Feststellung des Hirntods arbeitet der Wissenschaftliche Beirat der BÄK nun schon seit Jahren.

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