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„Patienten brauchen Trägervielfalt“

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Der Krankenhausmarkt im Rhein-Main-Gebiet ist so hart umkämpft wie kaum ein anderer in der Republik. Weil es zu viele Kliniken gibt, tobt ein erbitterter Wettbewerb um die Patienten. Darüber sowie über die Möglichkeiten und Grenzen der Krankenhausreform, die Bund und Länder auf den Weg bringen wollen, hat sich FNP-Redakteurin mit Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) unterhalten.

170 Krankenhäuser gibt es in Hessen, davon steht fast jedes zehnte in Frankfurt. Die Überkapazitäten sind groß. Dennoch ist die Bettenzahl seit 2007 um mehr als 1300 gestiegen. Warum?

STEFAN GRÜTTNER: In den letzten Jahren hat es in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet längst viele Strukturanpassungen gegeben: Wir hatten vor einigen Jahren noch 20 Kliniken in Frankfurt, jetzt haben wir noch 12 an 17 Standorten. An diesen Strukturveränderungen müssen wir weiterarbeiten. Wir befinden uns aber auch in einer Region, in der es ein Bevölkerungswachstum gibt, und diejenigen, die hier leben, werden, wie überall, immer älter. Damit haben wir eine ganz erhebliche Zunahme chronischer und altersbedingter Krankheiten. Das hat dazu geführt, dass seit 2007 die Behandlungszahlen im Rhein-Main-Gebiet um mehr als zehn Prozent gestiegen sind und natürlich auch ein höherer Bedarf an Betten da ist. Von den zusätzlichen Betten sind mehr als 400 Intensivbetten, die, etwa im harten Winter im vorletzten Jahr, monatelang komplett ausgelastet waren. Immer wieder wird die gestiegene Bettenzahl beklagt, aber wehe, es steht einmal ein Bett auf dem Flur. Bei der Krankenhausplanung müssen wir immer berücksichtigen, dass wir auch für Notsituationen gerüstet sein müssen. Der Bedarf wird in der Rhein-Main-Region in Zukunft eher noch steigen. Aber es ist weiterhin dringend notwendig, dass sich Kliniken zu Verbünden zusammenschließen und kooperieren.

Diese Kooperationen gestalten sich in Frankfurt nicht ganz so einfach. Nehmen wir die Stiftungskrankenhäuser – der Wille zur Fusion war da, nun liegt diese seit gut einem Jahr auf Eis. . .

GRÜTTNER: Wir sind immer noch mit den Verantwortlichen im Gespräch, die uns gegenüber erklären, dass sie in den unterschiedlichsten Bereichen Kooperationen eingehen und sich die Geschäftsführer regelmäßig austauschen. Das ist ein erster kleiner Schritt. Aber natürlich hätte ich mir gewünscht, dass es zu einer größeren Lösung im Sinne eines Zusammenschlusses kommt, weil ich von der Kraft der Kooperation überzeugt bin.

Warum ist die Kooperation zwischen Krankenhäusern so schwierig?

GRÜTTNER: Die unterschiedlichen Träger betreiben ihre Kliniken aus unterschiedlichen Beweggründen. Das ist aus der Tradition heraus zu erklären. Und bei jedem Zusammenschluss muss man auch etwas aufgeben. Das scheint nicht einfach zu sein. Es sind eher die psychologischen Schwellen, die Hürden darstellen, zu Verbünden zu kommen, weniger die inhaltlichen. Wir werden mit der Krankenhausreform im Bund einen Beitrag leisten, dass dies in Zukunft einfacher möglich ist.

Inwiefern?

GRÜTTNER: Wir haben gesagt: Wir müssen immer vom Patienten und vom Bürger her denken. Wir wollen für die Patientinnen und Patienten eine Qualitätsverbesserung und einen Qualitätswettbewerb haben. Wenn transparent gemacht ist, welche Klinik besonders gut beziehungsweise gegebenenfalls schlechter ist, werden die Menschen sich sehr bewusst für oder gegen einzelne Krankenhäuser entscheiden. Damit wird der Druck für Verbundlösungen, Zusammenschlüsse und Strukturveränderungen noch sehr viel größer werden. Darauf setzen wir.

Das wird nicht von heute auf morgen passieren. . .

GRÜTTNER: Dieser Prozess braucht Zeit, weil der Gemeinsame Bundesausschuss erst einmal die Qualitätskriterien entwickeln wird, die Transparenz schaffen müssen. Bisher hatten wir als Länder gar kaum Informationen über Qualität. Das wird sich nun ändern. Dann haben wir auch endlich die Chance, diese Qualitätskriterien in unsere Krankenhausplanung einfließen zu lassen. Nicht zuletzt werden sie eine Rolle dabei spielen, wie wir mit unseren Investitionsmitteln umgehen.

Wann rechnen Sie mit Effekten aus der Krankenhausreform?

GRÜTTNER: Erste Effekte werden sehr zeitnah kommen, etwa mit dem Recht auf eine Zweitmeinung im Hinblick auf Operationen. Hier wird sich schnell zeigen, dass die ein oder andere Operation möglicherweise vermeidbar ist. Zudem werden Mehrleistungen für die Krankenhäuser finanziell schon bald nicht mehr attraktiv sein. Das sind Effekte, die sehr schnell auszumachen sind. Langfristig ist es zunächst notwendig, dass die Qualitätskriterien entwickelt werden und diese zu einem verstärkten Qualitätswettbewerb führen, weil es dann Abschläge und Leistungsverbote für schlechte und Zuschläge für gute Qualität gibt.

Was heißt langfristig? Reden wir da von drei Jahren? Von fünf? Von acht?

GRÜTTNER: Bei den Qualitätskriterien reden wir sicherlich von einem Zeitraum nach Inkrafttreten des Gesetzes von drei bis fünf Jahren.

Erwarten Sie konkrete Auswirkungen auf die Kapazitäten in Frankfurt?

GRÜTTNER: Ich kann nicht vorhersagen, welche Klinik eine gute Qualität erbringen wird und welche eine schlechtere. Aber natürlich wird es dort, wo es die Struktur nicht erlaubt, gute Qualität zu erbringen, zu Veränderung kommen. Das kann bedeuten, dass sich Kliniken zusammenschließen oder sich auf einzelne gute Leistungen konzentrieren. Es kann aber auch bedeuten, dass man sich fragen muss, ob es nicht sinnvoll ist, in einem Gebäude andere Angebote unterzubringen.

Momentan haben wir einen extrem aggressiven Wettbewerb in der Region. Die Hochtaunuskliniken und das Klinikum Offenbach sind nur zwei Beispiele. Machen sich die Krankenhäuser gegenseitig das Leben schwer?

GRÜTTNER: Dieses sogenannte „Kannibalisieren“ zulasten des Nachbarn wird mit der Krankenhausreform der Vergangenheit angehören. Es darf nicht darum gehen, dem Nachbarhaus offensiv Patienten abzuwerben, weil es dann wieder nur um die Menge geht. Das war bisher der Fall. Künftig werden Fallzahlsteigerungen nur noch da preissenkend wirken, wo sie anfallen, also beim betreffenden Krankenhaus. Die Krankenhausreform setzt also genau da an mit dem Ziel, in Zukunft Menge durch Qualität zu ersetzen. Dann werden sich die Kliniken so aufstellen müssen, dass sie ihre Qualität steigern. Am Klinikum Offenbach kann man sehr gut sehen, dass es dem Betreiber innerhalb kurzer Zeit gelungen ist, die Klinik aus den negativen Schlagzeilen herauszubringen und ein Krankenhaus zu führen, das keinen exorbitanten Verlust erwirtschaftet. Das hat auch etwas damit zu tun, dass im Hintergrund ein leistungsstarker Konzern steht, der von seiner Verbundstruktur profitiert. Solche Beispiele müssen Schule machen, und zwar trägerübergreifend.

Sie sagen, in großen Verbünden mit einem starken Konzern im Rücken sei ein wirtschaftlicheres Arbeiten möglich. Brauchen wir dann überhaupt noch kommunale Kliniken, wenn die Großen das sowieso besser können?

GRÜTTNER: Ich plädiere nicht für Große oder Private. Ich bin immer für Trägervielfalt und der Überzeugung, dass diese im Interesse der Patienten ist. Deshalb brauchen wir auch kommunale Kliniken genauso. Aber wir brauchen kommunale Träger, die über die Stadt- und die Kreisgrenze hinausdenken und die bereit sind, Kooperationen einzugehen, die ihnen die Vorteile von größeren Verbünden bieten, ohne dass die Vorteile der kommunalen Trägerschaft als solcher verloren gehen. Da gibt es Ansätze, etwa die Gespräche zwischen den Main-Taunus-Kliniken und Höchst. Aber man sieht dort auch, welche Herausforderungen damit verbunden sein können, wenn es etwa in Frankfurt arbeitsrechtliche Grundlagen gibt, die mit denen im Main-Taunus-Kreis nicht kompatibel sind. Das ist kein einfacher Prozess.

Sollte es mit der Fusion klappen: Werden die Kliniken auf dieser Basis wirtschaftlich arbeiten können oder ist das erst der Anfang?

GRÜTTNER: Zunächst einmal müssen andere Kliniken aufmerksam schauen: Was entwickelt sich dort. Wenn sowohl ein wirtschaftlicher als auch ein inhaltlicher Benefit daraus zu ziehen ist, werden Einzelkämpfer sich überlegen, ob es für sie nicht sinnvoll ist, sich dort einbinden zu lassen, oder ob es andere Partner für sie gibt. Deswegen halte ich das als Initialzündung für ausgesprochen gut.

Sie spielen auf die Hochtaunuskliniken an als möglichen Partner?

GRÜTTNER: Ich spiele auf gar keine Klinik an. Jeder, der sich in der Region bewegt, muss überlegen, ob er es schafft, alleine zu sein. Ich werbe bei jeder Gelegenheit, auch wenn ich in den Hochtaunuskliniken bin, dafür, sich zu öffnen.

Bleiben wir bei den Hochtaunuskliniken. Diese haben in ihrem Neubau 474 Betten, 80 mehr als zuvor, und von den zehn Operationssälen sollen einige leerstehen. Das Höchster Klinikum bekommt in seinem Neubau 664 Betten, aber auch nur zehn OPs. Die sagen schon jetzt: Das reicht ihnen hinten und vorne nicht. Wie ist das in der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen?

GRÜTTNER: Natürlich lassen wir mit Blick auf die Investitionsförderung gründlich überprüfen, inwiefern die Prognosen, die einer Planung zugrunde liegen, übereinstimmen mit den Daten, die wir haben. Beide Häuser haben laut Gesetz einen Anspruch auf Förderung. Die Prüfungen haben sowohl im Hochtaunuskreis als auch in Höchst ergeben, dass sie die entsprechenden Kapazitäten benötigen. Zudem sind in den Hochtaunuskliniken zwei der Operationssäle ausschließlich für ambulante Operationen vorgesehen.

Wenn man die Geschäftsführerin der Hochtaunuskliniken Julia Hefty hört, erschließt sich eher der Eindruck, dass die umfangreichen OP-Kapazitäten darauf abzielen, anderen Kliniken die Patienten abzuwerben. Hätte man das nicht verhindern und das Krankenhaus von vorneherein kleiner konzipieren müssen?

GRÜTTNER: Wir bemessen unsere Investitionsförderung daran, was wir als förderfähige Kosten ansehen, das ist etwas restriktiver als der tatsächlich erfolgte Neubau. Es ist am Ende aber eine Trägerentscheidung, wie viel Geld er zusätzlich in die Hand nimmt, um eine entsprechende Ausstattung, Größe und eigene Vorstellungen zu verwirklichen. Insofern gibt es immer auch Trägerentscheidungen, die von unserer Seite nicht zu beeinflussen sind. Aber noch mal: Wenn man darauf aus ist, intensiv Patienten abzuwerben, reicht es nicht, die Kapazitäten zu haben. In Zukunft werden die Kliniken auch die entsprechende Qualität bieten müssen. Wir werden sicherlich beobachten können, ob die Vorstellungen Realität werden, die im Hochtaunuskreis vorhanden sind, oder ob es nicht ganz andere Entscheidungen und Strukturen geben wird, weil die Welt sich anders verändert, als der Hochtaunuskreis oder andere Kliniken es heute vorhersehen können.

Eine andere Situation, die nicht gerade zur Entspannung auf dem Frankfurter Krankenhausmarkt beiträgt, ist die Absicht der Stadt, auf dem Areal des Marienkrankenhauses auch in Zukunft eine Krankenhausnutzung festzuschreiben. Das Bürgerhospital möchte dort erweitern. Ist das sinnvoll?

GRÜTTNER: Wir können die Stadtplanung nicht beeinflussen. Für die Stadt Frankfurt würde es sich sicherlich lohnen, nochmals zu überdenken, was sie hier vorhat. Gegenüber dem Bürgerhospital werde ich betonen, dass Verbundlösungen nach wie vor anzustreben sind.

Aktuell bauen fast alle Krankenhäuser in der Stadt neu. Überall müssen Sie sich gemäß Ihrer Investitionsverpflichtung finanziell beteiligen und subventionieren so die Überversorgung. . .

GRÜTTNER: Nein, wir subventionieren keine Überversorgung. Wir kommen unserer rechtlichen Verpflichtung nach auf der Grundlage von Trägerentscheidungen und weisen immer wieder darauf hin, welche Vorstellungen wir an der Stelle haben. Solange wir auf der Grundlage unserer Informationen nicht feststellen können, dass es in einer Klinik zu wenige Behandlungsfälle gibt, haben wir wenig Möglichkeiten, Investitionen zu verweigern. Hier gilt es, das Handeln an der rechtlich sicheren Seite auszurichten. Das ist unsere Pflicht und das tun wir.

Ist das nicht frustrierend: Sie müssen Ihre Schatulle öffnen, wohl wissend, dass die Kliniken machen, was sie wollen?

GRÜTTNER: Wir öffnen ja nicht einfach unsere Schatulle, sondern wir prüfen sehr intensiv, und die Krankenhäuser unterliegen einer Menge von Regularien. Die Krux an der jetzigen Investitionsförderung ist, dass wir uns heute zum Teil mit Anträgen beschäftigen, die vor fünf, sechs, sieben Jahren gestellt worden sind. Da gibt es einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Förderung, aber die Situation stellt sich heute ganz anders dar. Dann können wir nur versuchen, klarzumachen, dass möglicherweise eine andere Entscheidung als ein Neubau oder eine Modernisierung sinnvoller wäre, im Einzelfall gar eine Schließung. Aber solange es einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Investitionsförderung gibt, werden wir ihn dem Grunde nach erfüllen müssen. Wir wollen aber die künftigen, ab 2016 geltenden Förderpauschalen verstärkt mit Bedingungen verknüpfen, etwa bezüglich der Qualitätssicherung oder bezüglich der Pflicht zur Kooperation. Ich bin überzeugt, dass dies, zusammen mit der Krankenhausreform, die Landschaft weiter zugunsten der Patienten verändern wird. Dafür stehe ich.

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