Eine Region kämpft um ihr Spital

La Chaux-de-Fonds hat zwar mehr Einwohner als Neuenburg. Trotzdem droht dem Spital der Uhrenstadt die Schliessung. Die Bevölkerung kocht vor Wut. Die Kantonsregierung ringt um eine Erklärung.

Andrea Kucera, La Chaux-de-Fonds
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La Chaux-de-Fonds: Dem Spital der Uhrenstadt droht die Schliessung (Aufnahme: Demonstration am 7. Februar). (Bild: Laurent Gillieron / Keystone)

La Chaux-de-Fonds: Dem Spital der Uhrenstadt droht die Schliessung (Aufnahme: Demonstration am 7. Februar). (Bild: Laurent Gillieron / Keystone)

Man stelle sich vor, der Bundesrat trete dereinst vor die Bevölkerung und sagte, er sei nicht in der Lage, die Masseneinwanderungsinitiative umzusetzen – der Aufschrei der Empörung wäre immens, das Ganze ein Affront gegen die direkte Demokratie. Eine vergleichbare «mission impossible» hatte am Mittwochabend der Neuenburger Staatsrat zu erfüllen: der Bevölkerung von La Chaux-de-Fonds erklären, weshalb ihr Spital nicht renoviert und mittelfristig womöglich gar geschlossen wird, obwohl Volk und Parlament vor rund einem Jahr anders entschieden hatten. Am 20. Januar war publik geworden, dass die Renovation auf Eis gelegt wird – seither herrscht Krisenstimmung im Kanton .

Lügen oder kapitulieren?

Blenden wir zurück. Am 24. November 2013 sagt die Bevölkerung von Neuenburg an der Urne Ja zu zwei Akutspitälern im Kanton – eines in La Chaux-de-Fonds und eines in Neuenburg. Festgelegt wird auch, welche Aufgaben von welchem Spital übernommen werden: In La Chaux-de-Fonds soll die stationäre Chirurgie angesiedelt werden, in Neuenburg die ambulante. Nun soll dieser als historisch gefeierte Kompromiss bereits Makulatur sein? Der Plan sei schlicht nicht umsetzbar, sagte der Neuenburger Gesundheitsminister Laurent Kurth am Mittwochabend vor vollen Rängen im Musiksaal von La Chaux-de-Fonds. Zu Hunderten waren die Einwohner der Uhrenstadt und der umliegenden Ortschaften erschienen, um sich die Erklärungen des Staatsrates anzuhören – und um ihrer Wut freien Lauf zu lassen.

«Was ist besser, zu lügen oder vor dem Unmöglichen zu kapitulieren?», fragte Kurth in den Saal. Es fehle dem Kantonsspital Neuenburg an Personal, an Patienten und an Geld, um die Infrastruktur für zwei Akutspitäler aufrechtzuerhalten. Im Klartext: «Uns laufen die Ärzte davon.» Habe ein Mediziner die Wahl zwischen einem Spital, in dem alle Abteilungen von der Intensiv- bis zur Gebärstation vereinigt seien, und dem dezentral organisierten Spital Neuenburg, so sei das erste Angebot weitaus attraktiver. In der Tat kämpfen die zwei Neuenburger Akutspitäler mit Rekrutierungsproblemen; jüngst waren die Abgänge mehrerer Chefärzte zu verkraften.

Hundert Spitäler müssten geschlossen werden, sagte der damalige Direktor der Bundesamtes für Gesundheit, Thomas Zeltner, bereits 2009. Der Grund: Es bestünden Überkapazitäten. 20 Krankenhäuser haben laut Angaben des Bundesamtes für Statistik zwischen 2009 und 2013 dichtgemacht. Ist das Spital von La Chaux-de-Fonds der nächste Kandidat? Er könne keine Garantie abgeben, dass es das Spital in zehn Jahren noch geben werde, sagte Kurth vor dem Treffen mit der Bevölkerung im Gespräch mit der NZZ.

Im Musiksaal drückte er sich diplomatischer aus. Die seit November 2013 angepeilte Aufgabenteilung sei nicht realisierbar, die zukünftige Struktur müsse neu definiert werden. Ein Raunen geht durch den Saal. Im Grunde ist allen schon heute klar: In absehbarer Zukunft wird es in La Chaux-de-Fonds zwar immer noch ein Gebäude geben, das als «hôpital» betitelt werden wird. Doch dieses Spital wird kein Akutspital, sondern aller Voraussicht nach eine Rehaklinik sein. Will heissen: ein Spital ohne Notfall, ohne Intensivstation und mit nur sporadisch ausgerüsteten Operationssälen. Bereits seit 2009 können Frauen im Kanton Neuenburg nur noch in der Kantonshauptstadt gebären – obwohl es ursprünglich geheissen hatte, die Geburtsklinik inklusive Pädiatrie werde in La Chaux-de-Fonds angesiedelt.

Zukunftsängste einer Region

Diese ungehaltenen Versprechen sind es denn auch, die der Bevölkerung von La Chaux-de-Fonds besonders sauer aufstossen. Hinzu kommt das Gefühl, zunehmend zur «banlieue» von Neuenburg degradiert zu werden. «Ils veulent tout mettre en bas», so empörte sich am Mittwochabend der Sitznachbar der Journalistin, ein 82-jähriger Uhrmacher aus La Chaux-de-Fonds. Was er damit meint: Immer mehr Ämter, Schulen und Infrastrukturen werden «en bas», also im unteren Kantonsteil und damit näher am Rest der Schweiz, konzentriert. Er ist nicht der Einzige, der so denkt. Und in der Tat mangelt es nicht an Beispielen. Die Fachhochschule von Le Locle wurde nach Neuenburg umgesiedelt, und nun droht dem Konservatorium von La Chaux-de-Fonds das gleiche Schicksal.

Dabei hat La Chaux-de-Fonds (noch immer) mehr Einwohner als Neuenburg. Zudem war es die Uhrenstadt, die den Kanton einst reich gemacht hat. Heute befürchten die Bewohner der «montagnes neuchâteloises», dass nicht nur ihrem Spital, sondern der ganzen Region mehr und mehr die Existenzgrundlage entzogen wird. Da kann Regierungsrat Kurth – selber ein Kind des Neuenburger Juras – noch so sehr beteuern, die Zukunft der Region liege ihm am Herzen. Man glaubt ihm nicht. Am Mittwoch erntete er für diese Aussage nur Buhrufe.