Ärzte-Provision
Wer Schmiergeld annimmt, soll bestraft werden

Anscheinend ist die Praxis, dass Ärzte Zahlungen erhalten, wenn sie Patienten an bestimmte Spitäler überweisen, weiter verbreitet als angenommen. Kantonsbehörden und Versicherer verlangen nun Auskunft. Doch es besteht noch mehr Handlungsbedarf.

Roman Seiler
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Der Tabubruch schlug ein: 500 Franken kassiere ein Arzt der Gruppenpraxis J, wenn er seine privat versicherten Patienten dem Privatspital S überweise. Das war ein Beispiel von vier, wie Mediziner aus der Überweisung von Patienten Kapital schlagen. Geschildert hatte sie ein Arzt an einem Kongress in Bern, wie die «Nordwestschweiz» exklusiv berichtete.

Dabei ist klar: Wenn Ärzte solche Kick-backs, umgangssprachlich Schmiergelder, annehmen, verstösst dies nicht nur gegen die Standesregeln der Ärzteverbindung FMH. Es verstösst auch gegen das Medizinalberufegesetz und kann mit einer Busse von bis zu 20 000 Franken geahndet werden. Tun dies Spitäler, so begehen sie möglicherweise eine «Amtsträgerbestechung», sagen Experten.

Das sind keine Einzelfälle

Nach dem Tabubruch reagieren nun Politiker, kantonale Behörden und Krankenversicherer: Sie wollen wissen, ob Spitäler, Ärztenetzwerke oder Gruppenpraxen aktiv unerlaubte Entschädigungen für die Überweisung von Patienten annehmen oder bezahlen. Denn es geht nicht nur um wenige, verwerfliche Einzelfälle, wie Ärzte in Leserbriefen behaupten.

Der Chef eines Krankenversicherers, der nicht namentlich genannt sein will, sagt: «Selbstverständlich gibt es Entschädigungen für die Überweisung von Patienten, sei es mittels Geld oder anderen Anreizen.» Das mache nicht jeder Arzt: «Aber Einzelfälle sind das nicht.» Das sei hinlänglich bekannt: «Nur nachgewiesen werden kann es nicht.»

Vor kurzem habe ihm ein Arzt zwei Beispiele geschildert. Eines davon: Ein Herzspezialist eröffnete eine Praxis. Ein Spital bot ihm an, ein 200 000 Franken teures Ultraschallgerät zu finanzieren. Für das Gratisgerät hätte der Kardiologe Patienten ans Spital überweisen sollen, die operiert werden müssen.

Spitäler übten laut dem Kassenchef nach der Einführung von Fallpauschalen zur Vergütung von Behandlungen Druck auf ihre Ärzte aus, mehr zu operieren. Sie müssen ihre Betten füllen: «Daher haben Spitäler ein Interesse daran, möglichst viele Patienten überwiesen zu erhalten.» Dabei helfen Entschädigungen, in welcher Form auch immer.

Gefordert seien nun auch die Kantone, sagt Peter Indra, Leiter des Bereichs Gesundheitsversorgung im Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt. Er werde dies bei den nächsten Gesprächen mit den Direktoren der öffentlichen und privaten Spitäler im Kanton thematisieren: «Ich werde den Spitalvertretern mitteilen, dass keine Provisionen für Überweisungen an einzelne Ärzte bezahlt werden dürfen. Das akzeptieren wir als Regulator nicht.» Zudem werde er darauf hinweisen, zu intervenieren, wenn auskäme, dass solche Entschädigungen flössen.

Revisoren sollen hinschauen

Auch der Zentralsekretär der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK), Michael Jordi, sagt: «Wir erwarten, dass die dafür zuständigen, kantonalen Behörden dieses Thema im Rahmen der Leistungsauftragsdiskussionen mit den Spitälern ansprechen.» Zudem müssten die unabhängigen Revisionsgesellschaften der Spitäler bei ihrem Prüfauftrag diesbezüglich verschärfen: «Sie müssen bei ihren Kontrollen genau darauf achten, ob es solche Zahlungen gibt. Sie müssten ja in der Buchhaltung ausgewiesen werden.»

Gefordert sind aber auch die Krankenversicherer. Wenn Kick-backs im Spiel seien, bestehe das Risiko, dass «vorschnell oder gar unnötig» operiert werde, warnen Indra und das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Das schadet in erster Linie den Betroffenen, geht aber letztendlich alle Versicherten etwas an: Denn sie müssen die Operationen mit ihren Prämiengeldern berappen.

Daher sagt Felix Schneuwly, Gesundheitsexperte des Internetvergleichsdiensts Comparis: «Krankenversicherer müssen überprüfen, für was Ärzte oder Spitäler Geld erhalten, wenn sie deren Versicherte behandeln.» Kassen sollten daher aktiv auf Gruppenpraxen und Ärztenetzwerke zugehen und verlangen, dass sie keine Entschädigungen entgegennehmen dürfen, ohne dass dafür auch eine Leistung erbracht wird: «Wenn ein Spital die Überweisung von Patienten vergütet, sollten Zuweiser und Spital belegen müssen, dass die Qualität entscheidend für die Zuweisung ist.»

Entschädigungen müssten denen zugutekommen, die entweder einen Mehrwert schaffen oder zu Kosteneinsparungen beitragen sowie den Versicherten, welche die Leistungen solidarisch finanzieren. Ärzte, die für Überweisungen Geld in die eigenen Taschen stecken, sollten bestraft werden.

Gesetzliche Grundlage fehlt

Doch die meisten grossen Deutschschweizer Krankenversicherer halten sich vornehm zurück, wie eine Umfrage der «Nordwestschweiz» ergeben hat. Visana-Sprecher Daniel Müller sagt gar: «Wir gehen von Einzelfällen aus, die es nicht verdienen, gleich alle Ärzte unter Generalverdacht zu stellen.»

Aktiv werden wollen nur die CSS, die Concordia und die Helsana. Auch wenn es für einen Versicherer sehr schwierig bis unmöglich» sei, diesbezüglich Überprüfungen durchzuführen, sagt CSS-Sprecherin Ute Dehn: «Auf den Rechnungen gibt es keine Hinweise auf solche Machenschaften.»

Und KPT-Chef Reto Egloff sagt: «Wir haben keine Möglichkeiten, kontrollieren zu können, ob Ärzte oder Spitäler Kick-backs annehmen oder zahlen. Dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage.»

In die Bresche springen müssen nun nicht nur kantonale Behörden. Das BAG könne sich nicht einfach auf den Standpunkt stellen, es sei nur für die Aufsicht über die Krankenversicherer zuständig, sagt Schneuwly von Comparis: «Das Bundesamt muss auch prüfen, ob Leistungserbringer das Krankenversicherungsgesetz einhalten.»

Vorerst allerdings hiess es beim BAG, es gebe keinen Handlungsbedarf. Massnahmen würden erst geprüft, wenn sich solche Praktiken ausweiten sollten.

Nur 3 von 10 Krankenversicherern reagieren

Die «Nordwestschweiz» machte eine Umfrage unter den zehn grössten Deutschschweizer Krankenversicherern. Wir wollten wissen, ob sie die Hinweise auf die Zahlung von Kick-backs an Managed-Care-Organisationen wie Ärztenetzwerke oder Gruppenpraxen zum Anlass nähmen, bei ihren Vertragspartnern Überprüfungen vorzunehmen.

Wer reagiert:
- CSS: Nehmen die Hinweise sehr ernst und verlangen von «Vertragspartnern Stellungnahmen zum Thema».
- Helsana: Beabsichtigen, die Vorwürfe mit Managed-Care-Partnern «explizit» zu thematisieren».
- Concordia: Gehen von Unschuldsvermutung aus. Planen «geeignete Massnahmen zur Überprüfung unserer Vertragspartner».

Wer nicht reagiert:
- Swica: Schliessen dies für eigene Gesundheitszentren und -praxen aus. «Spezielle Überprüfungen» drängen sich keine auf.
- Visana: Das sind Einzelfälle. «Unter Zugzwang ist die Ärzteverbindung FMH». Verletzt wurden ihre Standesregeln.
- Sanitas: Überprüfen müssten dies Standesorganisationen wie die FMH oder der Gesetzgeber.
- KPT: Können nicht kontrollieren, ob Ärzte oder Spitäler Kick-backs annehmen. «Gesetzliche Grundlage» dazu fehlt.
- Sympany: Halten an bewährten Kontrollmechanismen fest. Zusätzlicher Bedarf besteht nicht.
- ÖKK: FMH verbietet Kick-backs. Sie müsste tätig werden.
- Atupri: Prüfen Rechnungen und verlangen allenfalls weitere Unterlagen. Haben keine weiteren Einsichts- oder Kontrollmöglichkeiten. (Sei)