Leitartikel

Notbremse für PEPP-System ist notwendig

Das neue Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Kliniken (PEPP) hat viele Tücken, die immer mehr zutage treten. Erste Änderungen hat es schon gegeben - weitere Nachbesserungen sind dringend erforderlich.

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:
Fallpauschalen in der Psychiatrie: Die Umstellung auf ein das neue Entgeltsystem gestaltet sich schwierig.

Fallpauschalen in der Psychiatrie: Die Umstellung auf ein das neue Entgeltsystem gestaltet sich schwierig.

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Leistungsgerechter und transparenter sollte das neue Pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) werden, das Ende 2012 per Ersatzvornahme in Kraft gesetzt wurde und zum 1. Januar 2015 verpflichtend eingeführt werden soll.

Doch PEPP stieß von Anfang an auf heftigen Widerstand der Fachverbände, Kliniken, Ärzte, Therapeuten, Pflegenden und Patienten, der in der Bundestagspetition "Weg mit PEPP" mit über 43.000 Stimmen gegen die Einführung des neuen Entgeltsystems gipfelte.

Diese finden offensichtlich nun Gehör. Der Gesundheitsausschuss des Bundestages hat für den 7. Mai eine Expertenanhörung zu der umstrittenen Neuregelung anberaumt. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat eine Verlängerung der Options- und budgetneutralen Phase bis 2017 in Aussicht gestellt.

Diese Notbremse ist notwendig, um Schaden für Patienten und Psychiatrische und Psychosomatische Kliniken abzuwenden. Denn würde PEPP in seiner jetzigen Form mit einer verweildauerabhängigen degressiven Vergütung umgesetzt, würde der Geburtsfehler des DRG-Systems in den somatischen Kliniken, nämlich stetig verkürzten Verweildauern und "blutigen Entlassungen", durch eine zur Kostendeckung in Gang gesetzte Leistungsspirale 1 zu1 abgebildet werden.

Psychiatrische Kliniken gut ausgelastet

Inzwischen haben die Selbstverwaltungspartner reagiert. So sind der GKV-Spitzenverband, die DKG und PKV auf die Forderungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) eingegangen, kostenaufwendigere Einzelelemente im Verlauf der stationären Behandlung wie 1 zu1 Betreuung und Intensivbehandlungen für Erwachsene gesondert auszuweisen und dafür Zusatzentgelte zu vergüten.

Auch sind jetzt abhängig von Indikation und Verweildauer gleiche Tagessätze vorgesehen. Eine entsprechende Vereinbarung wurde vor kurzem getroffen. Zwar wird weiterhin fallgruppiert vorgegangen, aber die Degressionskurve wird durch diese Neuerungen abgemildert.

"Das sind Schritte in die richtige Richtung" sagt die designierte DGPPN-Vorsitzende Dr. Iris Hauth aus Berlin.

Bei den Verweildauern ist kaum mehr Luft nach unten. Sie haben sich in den Psychiatrischen Kliniken in den letzten 20 Jahren stetig verkürzt - auf derzeit durchschnittlich knapp 24 Tage in der Erwachsenenpsychiatrie und auf deutlich unter 40 Tage in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (minus 70 Prozent).

Klinikträger bestätigen unisono, am unteren Limit angelangt zu sein. Kostendruck kommt schon jetzt "von außen" durch die Überprüfungen der Kassen durch den MDK und "von innen" durch die stetige Zunahme der Fallzahlen.

Die Auslastung der Psychiatrischen Kliniken liegt bei durchschnittlich 94 Prozent und darüber. Wird weiter an dieser Schraube gedreht, bedeutet dies für Ärzte, Therapeuten und Pflegende (noch) mehr Dokumentationsarbeit und (noch) weniger Zeit für die Patienten.

Das geht zu Lasten der beziehungsorientierten Arbeit als Grundpfeiler psychiatrischer Therapiekonzepte. Kliniker wie Professor Franz Resch, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uni Heidelberg, befürchten, dass evidenzbasierte Methoden zum Beispiel in der Psychotherapie nun dem neuen Vergütungssystem geopfert werden.

Bezahlung orientiert sich nicht am therapeutischen Aufwand

Kritiker befürchten zudem, dass der Besonderheit psychiatrischer Krankheitsverläufe mit der im PEPP vorgesehenen fallgruppierten Kalkulierung nicht Rechnung getragen wird.

Beispiel Depression: Die Behandlungsdauer hängt nicht allein vom Schweregrad bei der stationären Aufnahme ab, die Verläufe sind oft schwankend und Rückfälle innerhalb des stationären Behandlungssettings nicht selten, gibt die Ärztliche Direktorin der Universitätsklinik für Allgemeine Psychiatrie in Heidelberg, Professor Sabine Herpertz zu bedenken.

Dazu komme das Problem der Suizidgefahr. "Wir werden bei allem möglichen Kostendruck nicht einen Patienten entlassen, der Selbstmordgedanken hat!" Die Folge: Entweder müssen die Klinikträger finanziell drauflegen oder die Patienten werden zu früh entlassen.

Würde an der verweildauerabhängigen Degression festgehalten werden, so wäre der Drehtüreffekt programmiert und fatale Fehlanreize würden gesetzt. Die Berliner Psychiaterin Dr. Iris Hauth (DGPPN) schildert das Szenario: Die behandelnden Ärzte würden von den Controllern und Geschäftsführern angehalten werden, Patienten ungeachtet des Therapiefortschrittes vor dem Degressionsknick zu entlassen und neue Fälle im Sinne der Wirtschaftlichkeit aufzunehmen.

Das wäre nicht verantwortbar im Sinne der Betroffenen, denn im ambulanten Sektor können sie nicht adäquat aufgefangen werden, da es zu wenige niedergelassene Psychiater gibt und diese mit 50 Euro pro Fall pro Quartal ebenfalls stark unterfinanziert sind.

Ein weiterer Kritikpunkt: Eine Bezahlung, die primär am Schweregrad bestimmter Diagnosen wie Depression oder Persönlichkeitsstörungen ausgerichtet ist und nicht am therapeutischen Aufwand, den die Patienten brauchen, wird der realen Situation in der Praxis nicht gerecht.

So benötigen etwa Patienten mit einer traumabedingten oder einer chronischen Depression nicht selten eine längere Behandlungszeit und personalintensive Leistungen wie zum Beispiel Psychotherapie, als jene mit einer schweren Depression, die primär biologisch bedingt ist und gut auf Psychopharmaka anspricht.

Bei der Schizophrenie wiederum kann eine hochdramatische Form zu Behandlungsbeginn mit einer guten Prognose und schnellem Therapieansprechen einhergehen und eine sich langsam entwickelnde Form einen weit höheren therapeutischen Aufwand mit hohem Personaleinsatz bedeuten.

Nach der PEPP-Systematik würde der hoch akute Schizophrenieschub in eine bessere Bezahlstufe eingeordnet, als der mit den diskreteren Symptomen, obgleich letzterer viel mehr Therapie- und Zeitaufwand erfordert.

Mehr komplizierte Fälle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Besonders in der Kinder- und Jugendpsychiatrie würde die PEPP-Einstufung nach Diagnosen den eigentlichen Betreuungsaufwand gar nicht abbilden, kritisiert der Heidelberger Kinderpsychiater Professor Franz Resch: "Die psychosozialen Umstände sind viel entscheidender als die Diagnose."

Patienten mit ein und derselben Diagnose - etwa einer Schizophrenie - brauchen je nach sozialer Einbettung und familiären Rahmenbedingungen einen unterschiedlichen Betreuungsaufwand in unterschiedlichen Behandlungssettings.

Gerade in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mehren sich multimorbide komplizierte Fälle wie etwa Patienten mit Essstörungen und schwerem Risikoverhalten wie Suizidalität und /oder Selbstverletzung.

Hier wäre ein flexibles Setting mit voll- und teilstationärem Angebot sowie ambulanter Weiterbetreuung dringend geboten. Doch sektorenübergreifende moderne Versorgungskonzepte werden durch das PEPP- System nicht abgebildet, denn es ist ausschließlich auf die vollstationäre Versorgung ausgerichtet und damit laut Resch ein "äußerst konservatives System".

Die massiven Widerstände scheinen Wirkung zu zeigen. Erste Korrekturen wurden vorgenommen. PEPP bleibt indes weiter auf dem Prüfstand und weitere Differenzierungen und Verbesserungen im Vergütungssystem wird es geben müssen.

Dafür braucht es Zeit. Die sollte der Gesetzgeber gewähren.

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