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Kreistag lehnt Klage gegen Kartellamt ab

Landrat Heinz Eininger: Ziel ist vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Städtischen Klinikum Esslingen

Mit großer Mehrheit hat der Esslinger Kreistag gestern Abend beschlossen, keine juristischen Schritte gegen die Kartellamtsentscheidung einzuleiten. Dazu scheinen die Gewinnchancen zu aussichtslos. Eine Fusion der Kreiskliniken Esslingen mit dem Städtischen Klinikum ist damit vom Tisch.

Das Kartellamt hat eine Fusion der Kreiskliniken Esslingen mit dem Städtischen Klinikum untersagt. Beschwerde dagegen wird der K
Das Kartellamt hat eine Fusion der Kreiskliniken Esslingen mit dem Städtischen Klinikum untersagt. Beschwerde dagegen wird der Kreistag nicht einlegen.Foto: Jean-Luc Jacques

Kreis Esslingen. Quer durch die Fraktionen bekannte sich das Gros des Kreistags nach wie vor zum Zusammenschluss der Kreiskliniken mit dem Städtischen Klinikum Esslingen. Doch wie bereits die Anwälte des Büros Ernst & Young zu Wochenbeginn, hatte das zweite Gutachten, das den Kreisräten gestern vorgelegt worden war, noch dringlicher davon abgeraten, Beschwerde gegen die Entscheidung des Kartellamts einzulegen. Nur neun Grünen-Kreisräte stimmten für eine Klage, vier weitere Kreistagsmitglieder enthielten sich der Stimme, darunter Esslingens Finanzbürgermeister Bertram Schiebel und Kulturbürgermeister Markus Raab.

„Kliniken in öffentlicher Trägerschaft sind Kern der sozialen Daseinsvorsorge wie Schulen und Kindergärten“, machte Landrat Heinz Eininger in einer engagierten, mehrfach von Applaus unterbrochenen, Rede deutlich. Nach jahrelanger Konkurrenz sei letztes Jahr beschlossen worden, die Kreiskliniken mit dem Städtischen Klinikum unter einem Dach zu vereinen. „Kooperation und Zusammenarbeit statt Konkurrenz.“ Dieser Weg sichere Qualität und Wirtschaftlichkeit in einem dichten Wettbewerbsumfeld. „Es fällt mir deshalb sehr schwer, mich vom Gedanken der Fusion zu verabschieden.“ Das Kartellamt fordere zur Privatisierung der Kliniken auf, so lautete ein Vorwurf des Kreisverwaltungschefs. Wenn das Miteinander von öffentlich getragenen Kliniken keine Zukunft habe, müsse man das Gesetz reformieren. „Sollen wir uns trotz des juristischen Rats gegen das Bundeskartellamt stellen? Lust hätte ich schon“, räumte Eininger ein. Doch hielt er die Risiken für zu groß. Er befürchtete für die Mitarbeiter der Kliniken eine zweijährige Hängepartie. „Wir entscheiden heute nicht für oder gegen die Fusion, sondern, ob man etwas Aussichtsloses bis zum bitteren Ende durchzieht.“ Jeder Weg sei respektabel, so Eininger. Er entschied sich dafür, nicht den „populären“ Weg der Klage zu gehen, sondern sie abzulehnen. Ziel sei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Städtischen Klinikum in dem Rahmen, den das Kartellamt einräumt. Dafür votierte, abgesehen von zwei Mitgliedern der Republikaner, das gesamte Gremium.

Eine Klage hielt auch der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Alfred Bachofer, für das falsche Signal. Nur um des Prinzips willen dürfe man 500 000 Euro nicht einfach zum Fenster hinauswerfen. „Wir wollen den medizinischen Wettbewerb zwischen den Kliniken nicht ausschalten. Ein ‚Wettrüsten‘ um jeden Preis darf aber keinesfalls ausgelöst werden“, so Bach­ofer. Nach dem Motto „Wo ein Wille ist . . .“ hielt er der Stadt Esslingen vor, auf das Gesprächsangebot am gestrigen Donnerstag aufgrund von „Terminproblemen“ nicht eingegangen zu sein. Martin Fritz, Chef der CDU-Fraktion, gab Einblick in die Hintergründe der Entscheidung des Kartellamts. „Die Zahlen der Patienten, die aus dem Kreis in Stuttgarter Krankenhäuser gehen, sind zu gering.“ Das dürfte nur schwer zu widerlegen sein. Er appellierte auch an die Stadt Esslingen, keine Beschwerde gegen das Kartellamt einzulegen. Gerhard Remppis (SPD) beklagte, die Behörde wolle Wettbewerb um jeden Preis. Die Kommunalpolitik sei aber aufgefordert, ein betriebswirtschaftlich gutes Ergebnis zu erzielen und eine bestmögliche Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. „Das ist schwer zu vereinbaren.“ Remppis empfahl, auf die Beschwerde gegen das Kartellamt zu verzichten. Die von Nikolas Fink präzisierte Forderung, eine Sondersitzung des Kreistags einzuberufen, sollte die Stadt Esslingen einen anderen Weg als der Kreis einschlagen, fand keine Mehrheit.

Grünen-Chefin Marianne Erddrich-Sommer machte die Zerrissenheit ihrer Fraktion deutlich. „Ich selbst werde der Klage mit heißem Herzen und kühlem Verstand nicht zustimmen können.“ Ulrich Fehrlen (FDP) verwies auf das Prinzip der Gewaltenteilung: „Der politische Wille unserer Ebene reicht nicht aus.“ Ulrich ­Deuschle (Republikaner) hielt den Rücktritt des Aufsichtsrats für geboten, und Peter Rauscher (Linke) betonte, die öffentliche Daseinsvorsorge gehöre in die öffentliche Hand.

Heute kommen die Vertreter der Fraktionen des Esslinger Gemeinderats mit der Verwaltungsspitze der Stadt zusammen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Wie der Sprecher, Roland Karpentier auf telefonische Nachfrage sagte, sei ein Treffen von Vertretern des Landratsamtes und der Stadt gestern nicht möglich gewesen. „Die Verwaltungsspitze und die Gemeinderatsfraktionen sind ein Stück weit irritiert, dass der Kreis einseitig eine Entscheidung trifft.“

Getrennte Wege

Die Spatzen pfiffen es bereits in den vergangenen Tagen von den Dächern: Eine Fusion des Städtischen Klinikums Esslingen mit den Kreiskliniken wird es nicht geben. Dass sich eine eindeutige Mehrheit in der gestrigen Kreistagssitzung dafür ausgesprochen hat, vom Rechtsweg gegen das Kartellamt abzusehen, verwundert kaum. Wenn zwei spezialisierte Anwaltskanzleien unabhängig voneinander zu dem Ergebnis kommen, eine Klage gegen die Bonner Behörde mache keinen Sinn, dann wäre es unverantwortlich, eine halbe Million Euro aufs Spiel zu setzen. Auch dem Klinikpersonal, das bei der Kreistagsdebatte übrigens zahlreich vertreten war, kann man nicht weitere ein oder zwei Jahre mit einer völlig unsicheren Perspektive zumuten.

Der gestrige Beschluss bedeutet aber auch: Die Krankenhäuser schlagen nun wieder getrennte Wege ein. Bleibt zu hoffen, dass die von Landrat und Kreistag bekräftigte Absicht, weiterhin vertrauensvoll mit der Stadt Esslingen zusammenzuarbeiten, bei der Gegenseite Gehör findet. Denn durch den Druck aufs Tempo bei der Entscheidung wurde von Seiten des Landratsamtes in Kauf genommen, dass sich die Verwaltungsspitze und die Gemeinderatsfraktionen der Stadt Esslingen regelrecht überfahren fühlen. Ein erneutes „Wettrüsten“ der beiden Klinikträger im Landkreis kann keiner wollen. Denn damit werden Gelder verpulvert, die Patienten anderweitig mehr helfen können.ANKE KIRSAMMER