Ärzte trauen ihren eigenen Spitälern nicht

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HygienemängelÄrzte trauen ihren eigenen Spitälern nicht

Die Hygiene in den Spitälern hat sich gemäss einer Umfrage verschlechtert. Manche Ärzte würden deshalb eine OP in der eigenen Klinik ablehnen.

J. Büchi
von
J. Büchi
In einer Comparis-Umfrage gibt fast ein Viertel an, die Hygienevorschriften würden «nicht von allen Spitalmitarbeitern eingehalten».

In einer Comparis-Umfrage gibt fast ein Viertel an, die Hygienevorschriften würden «nicht von allen Spitalmitarbeitern eingehalten».

Wenn ein Koch nicht in seinem eigenen Restaurant essen will, muss das die Gäste skeptisch stimmen. Noch viel gravierender ist es jedoch, wenn sich Medizinpersonal nicht im eigenen Operationssaal unters Messer legen will. Genau dies ist laut einer Umfrage von Comparis.ch aber in vielen Schweizer Spitälern der Fall. Demnach würden sich drei von zehn befragten Pflegern nicht im eigenen Spital operieren lassen - bei den Ärzten ist es einer von zehn.

Fast ein Viertel der Befragten gibt an, die Hygienevorschriften würden «nicht von allen Spitalmitarbeitern eingehalten». Gleich viele glauben, die Situation habe sich in den letzten zwei Jahren verschlechtert. Felix Schneuwly, der Krankenkassenexperte von Comparis.ch, bezeichnet die Umfrageresultate als «erschreckend». «Vom viel gelobten Schweizer Gesundheitssystem hätten die Versicherten sicher mehr erwartet.»

Arbeitslast soll schuld sein

Schätzungsweise 70'000 Menschen erkranken im Spital jährlich an Harn-, Wund- oder anderen Infektionen, rund 200 sterben daran. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) beziffert die dadurch entstehenden Kosten auf 230 Millionen Franken pro Jahr. «Gerade weil das Problem bekannt ist, sind die Umfrageresultate bedenklich», sagt Margrit Kessler, GLP-Nationalrätin und Patientenschützerin.

Für den Missstand macht sie zwei Faktoren verantwortlich: einerseits die Arbeitsbelastung in den Spitälern, die laut den befragten Ärzten zugenommen hat. «Auf der anderen Seite ist aber auch eine gewisse Bequemlichkeit des Personals feststellbar - die Einstellung: ?Es wird schon nichts passieren, wenn ich die Hände nicht wasche.?»

Transparenz gefordert

Auch SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher fordert deshalb, dass nun das medizinische Personal aufgestockt wird. Zudem müssten Patienten die Spitäler im Falle einer Infektion leichter zur Rechenschaft ziehen können. Mit einer entsprechenden Motion ist die Thurgauerin im März im Ständerat gescheitert. Für sie steht dennoch fest: «Könnten sich die Patienten leichter wehren, würden die Spitäler mehr in Hygienemassnahmen investieren.»

Eine wichtige Massnahme wäre laut Patientenschützerin Kessler, dass in jeder Klinik ein Oberarzt mit der Hygieneschulung und -kontrolle betraut würde. Zudem müssten die Infektionsraten der einzelnen Spitäler transparenter kommuniziert werden. «Die Patienten müssen in Erfahrung bringen können, in welchen Kliniken das Infektionsrisiko am höchsten ist.» Die Statistiken, die derzeit dazu erhältlich seien, seien für Laien nur schwer verständlich.

Reduktion um 30 Prozent möglich

Darüber, wo am meisten gepfuscht wird, gibt auch die Studie von Comparis keinen Aufschluss. Der Vergleichsdienst hat seine Befragung unter 350 Ärzten und Pflegekräften anonym durchgeführt. Auch Comparis-Experte Schneuwly ist jedoch der Meinung, die Patienten seien heute unzureichend informiert. «Wir planen deshalb per nächstes Jahr eine Internetplattform, auf der die Versicherten ihre Zufriedenheit mit den Spitälern bewerten können.» In erster Linie müssten aber die Kantone ihre gesundheitspolizeiliche Verantwortung wahrnehmen, damit die Patienten sich sicher fühlten.

Seit dem Frühling arbeitet auch der Bund an einer Strategie, mit der die bestehenden Massnahmen und Anforderungen schweizweit koordiniert und überwacht werden sollen. Das Ergebnis soll Ende 2015 vorliegen. Laut BAG liessen sich mit den richtigen Massnahmen bis zu ein Drittel aller Spitalinfektionen verhindern.

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